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Endlosschleife beim Wachstumschancengesetz
Auch nach dem Vermittlungsausschuss ist eine Mehrheit im Bundesrat nicht absehbar
Es muss etwas geschehen – in diesem Punkt sind sich die Parteien im Bundestag einig. Schließlich zeichnet der Jahreswirtschaftsbericht, den Vizekanzler Robert Habeck am Donnerstag im Bundestag vorstellte, ein finsteres Bild. Danach erwartet die Bundesregierung für 2024 nur noch eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,2 Prozent. Zuvor lag die Vorhersage bei 1,3 Prozent. Ferner werden die Investitionen zurückgehen, die Arbeitslosenzahlen steigen. Um der schwächelnden Wirtschaft unter die Arme zu greifen, hat die rot-grün-gelbe Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz vor einem halben Jahr einen Zehn-Punkte-Plan beschlossen. Die »gezielte Angebotspolitik« setzt im Kern auf Anreize durch das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Christian Lindner.
Das kleinteilige Gesetz mit 19 Maßnahmenpaketen, das von den Wirtschaftsverbänden gelobt wird, sah zunächst Steuersenkungen im Volumen von sieben Milliarden Euro vor. Im Bundestag hatte die CDU/CSU-Opposition von »WC-Gesetz« gewitzelt, weil ihnen die Maßnahmen zu klein und detailliert ausfielen. Politisch will die Union mit ihrer Blockadepolitik die Ampel vor sich hertreiben. Gleichzeitig waren den meisten Ländern die Steuerausfälle zu groß. Ähnlich in den Kommunen, die wiederum am Tropf der Länder hängen. Werden deren Steuereinnahmen beschnitten, kriegen es auch Städte und Gemeinden zu spüren, so die Befürchtung. Im November rief der Bundesrat, der dem Gesetz zustimmen muss und in dem neun Länder mit CDU-Regierungsbeteiligung sitzen, den Vermittlungsausschuss an. Kurz vor dessen Treffen arbeitete eine informelle Arbeitsgruppe von Bundestag und Bundesrat Anfang der Woche einen Kompromiss aus. Einige Maßnahmen wurden gestrichen, andere eingedampft. Übrig blieben Entlastungen im Umfang von 3,2 Milliarden Euro.
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In der Wirtschaft hagelte es Kritik: Für besonders heftige Erregung sorgte die degressive Abschreibung auf Wohngebäude. Ursprünglich sollten sechs Prozent der Investitionskosten sechs Jahre lang steuerlich geltend gemacht werden können, was die Steuerlast der Immobilieninvestoren mindert und Gewinne erhöht. Übnrig blieben fünf Prozent. Dies erboste die Bauwirtschaft: »Wer heute baut, geht bankrott«, klagte der Zentrale Immobilienausschuss noch am Dienstag, als ob ein Prozent mehr oder weniger Abschreibung entscheidend für die Lösung der Wohnungsmisere in Deutschland wäre.
Hingegen warnte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft die Politik vor einer weiteren Schwächung der öffentlichen Haushalte. Verdi-Vorsitzender Frank Werneke forderte die Länder auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen: »Die Kommunen finanziell zu schwächen und die Unternehmen zu entlasten, das ist der falsche Weg.«
In der Vermittlung setzte die Union durch, dass die ursprünglich vorgesehene Anzeigepflicht für innerstaatliche Steuergestaltung entfällt – aus Sicht der Linkspartei ein weiteres Bonbon für große Unternehmen. Doch das reichte CDU und CSU nicht, die mit dem Protest der Bauern ihre traditionelle Nähe zu den Landwirten erneuert haben. Die Union will dem Wachstumschancengesetz nun nur dann zustimmen, wenn die Bundesregierung die geplante schrittweise Streichung der Subventionen beim Agrardiesel zurücknimmt.
Deshalb konnte der Vermittlungsausschuss den Streit über das Wachstumschancengesetz nicht beenden, auch wenn er den Kompromiss mit den Stimmen der Ampel-Parteien in Bund und Ländern mehrheitlich annahm. Doch dies ist nicht bindend. Politisch versuchen SPD, FDP und Grüne nun, die Union als Bremser dastehen zu lassen, der trotz des finsteren Bildes, den der Jahreswirtschaftsbericht zeichnet, aus parteitaktischen Gründen Entlastungen verhindert. Tatsächlich ist die erforderliche Mehrheit für die Schlussabstimmung im Bundesrat in weite Ferne gerückt. Am 22. März soll diese stattfinden.
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