Sachsen: Das BSW ist ohne Büro auf Regierungskurs

Im Freistaat gründet die Wagenknecht-Partei ein halbes Jahr vor der Landtagswahl ihren ersten Landesverband

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Wirkbau in Chemnitz ist ein traditionsreiches Industriegebäude. Ab 1883 wurden hier Textilmaschinen hergestellt. Die Industriegeschichte endete nach 110 Jahren. Nun soll in einer der sanierten Werkhallen sächsische Politikgeschichte geschrieben werden. An diesem Samstag gründet das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hier seinen ersten Landesverband. Sabine Zimmermann, die bei der Aufbauarbeit im Freistaat die Fäden zieht, hält die Ortswahl für naheliegend: »Ich bin schließlich Gewerkschafterin.«

Eine Arbeiterpartei wird im Wirkbau freilich nicht aus der Taufe gehoben. Unter den Menschen, die sich für das BSW in Sachsen interessierten, seien »Intensivpfleger und Professoren, Gewerkschafter und Leute aus der Kultur, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft«, sagt Zimmermann. Ihnen soll ein neues politisches Angebot unterbreitet werden – auch und gerade in Sachsen, wo dieses Jahr Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen anstehen und ein Rechtsruck befürchtet wird. Umfragen für die Wahl des Landesparlaments am 1. September sehen die AfD bei weit über 30 Prozent und klar vor der CDU.

Zimmermann glaubt, dass ein Gutteil des Zuspruchs für die AfD nicht rechtsextremer Überzeugung entspringt, sondern »weil sie Probleme anspricht, die sonst keiner artikuliert«. Ihnen wolle das BSW ein »seriöses Angebot machen«, ebenso wie vielen anderen, die von der Politik in Bund und Land enttäuscht seien: »Viele sagen mir, sie hätten sich zurückgezogen und wählten gar nicht mehr.« Sie wieder zu aktivieren und politische Alternativen zur rechtsextremen »Alternative« aufzuzeigen, sei »unsere historische Verantwortung«.

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Bevor die neue Partei die annehmen kann, muss sie die Mühen der bürokratischen Ebene meistern. In Chemnitz wollen die bisher 60 sächsischen BSW-Mitglieder Satzung und Finanzordnung beschließen und einen Vorstand wählen. Zimmermann, die einst in der SPD aktiv war, dann 16 Jahre für die Linke im Bundestag saß und DGB-Regionalchefin in Zwickau ist, soll einen der zwei Führungsposten übernehmen, den anderen Jörg Scheibe, Chef eines Ingenieurbüros mit 13 Mitarbeitern, Dozent an der Berufsakademie Glauchau und Neuling in der Politik. Von einer »guten Mischung« spricht Zimmermann, auch mit Blick auf die übrigen fünf Dutzend Mitglieder. Dass es nicht mehr sind, liegt am akribischen Auswahlprozess, der aber Gründe habe. »Bei mir hat sich auch schon ein Ex-AfD-Mann vorgestellt, mit Perücke und unter falschem Namen«, sagt sie: »Solche Leute wollen wir nicht haben.«

Der Parteitag, über dessen Verlauf die Öffentlichkeit erst im Anschluss auf einer Pressekonferenz informiert wird, sei formal »eine kleine Veranstaltung«, die aber »große Wirkung« haben soll, sagt Zimmermann. Damit beginnt das politische Wirken einer neuen Kraft im Freistaat, auf der einige Erwartungen ruhen. Jüngst gaben bei einer Umfrage von Infratest Dimap für den MDR acht Prozent der Sachsen an, BSW wählen zu wollen. Die Wagenknecht-Partei wäre damit drittstärkste Kraft, weit hinter AfD und CDU, aber noch vor Grünen, SPD und Linkspartei. Der Wert könnte noch wachsen: Laut einer Civey-Befragung für die »Sächsische Zeitung« sieht ein Viertel der Sachsen starke Übereinstimmungen zwischen persönlichen Ansichten und den politischen Positionen des BSW.

Diesem könnte durchaus eine Rolle bei der Regierungsbildung zukommen, die absehbar schwierig wird. Schon 2019 half nur ein Dreierbündnis aus CDU, Grünen und SPD, die AfD von der Macht fernzuhalten. In der Koalition kriselte es aber häufig. CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer ging zuletzt auf Distanz zu den Grünen. Wagenknecht zeigte sich schon im Oktober für eine Kooperation mit dessen CDU in Sachsen offen: »Im Zweifel ist das vielleicht besser, als wenn Kretschmer mit der AfD regiert.« Zimmermann fügte jetzt an, mit einer Regierungsbeteiligung könne man »mehr verändern als in der Opposition«. Als »Mehrheitsbeschaffer für ein Weiter-so« stehe man aber nicht zur Verfügung.

Sie weiß allerdings, dass all das Zukunftsmusik ist. Zunächst muss die Wahlbeteiligung organisatorisch abgesichert werden. Nächste Woche werden Kandidatenlisten für die Kommunalwahlen aufgestellt, bei denen das BSW sich auf Regionen konzentrieren will, in denen es viele Aktive gibt: um Zwickau, in Ostsachsen, um Riesa und Meißen sowie in Leipzig und Umgebung. Wann Bewerber für den Landtag nominiert werden, ist offen. Zudem müssen Unterschriften gesammelt werden, darunter allein 1000 für die Landtagswahl. Viel zu tun für eine Partei, die bisher nicht einmal über ein Domizil verfügt: »Unser Büro ist mein Handy«, sagt Zimmermann. »Das schalte ich früh um neun an und abends um elf aus, und dazwischen dreht sich fast alles um das BSW.« Wenn es nach ihrem Plan läuft, gibt es in sechs Monaten Büros im Landtag – und womöglich sogar in Ministerien.

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