Afghanistan-Einsatz: Falsche Prioritäten

Der deutsche Afghanistan-Einsatz gilt als gescheitertes Unternehmen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.
Deutsche Soldaten sichern die Kommandoübernahme der ISAF-Truppen in der Amani-Realschule im Zentrum von Kabul.
Deutsche Soldaten sichern die Kommandoübernahme der ISAF-Truppen in der Amani-Realschule im Zentrum von Kabul.

Woran ist der deutsche, fast 20 Jahre dauernde Einsatz in Afghanistan gescheitert? Auf diese Schlüsselfrage hat die 2022 eingesetzte Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags in ihrem vergangene Woche vorgestellten Zwischenbericht ein paar aufschlussreiche Antworten gegeben. Der Bundestag stimmte am Freitag einem gemeinsamen Antrag der Ampel-Parteien und der Union zu, die Kommission »über die parlamentarische Sommerpause 2024« hinaus fortzusetzen. Demnach soll das Gremium seine inhaltliche Arbeit bis Ende des Jahres abschließen.

Festzuhalten ist zuallererst, dass die Kommission nie den Auftrag hatte, dem Afghanistan-Einsatz die Rechtfertigung abzusprechen. Ob das deutsche Engagement und insbesondere der Bundeswehreinsatz in dem kriegsversehrten Land die richtige politische Entscheidung war, spielte in den Diskussionen keine Rolle. Für Andrej Hunko (BSW), der bis zum Ausscheiden Ende 2023 für die Linke in der Enquete-Kommission saß, ist das Fazit daher eindeutig: »Es ging nie um Afghanistan, sondern um falsch verstandene Bündnissolidarität«, sagte er am Freitag bei der Bundestagsaussprache zum Zwischenbericht. Hunko meint damit die deutsche Unterstützung für den maßgeblich von den USA mit Nato-Beistand geführten Angriffskrieg gegen die islamistischen Taliban – als Vergeltung für die Terroranschläge vom 11. September 2001. Und dieser »längste, teuerste und verlustreichste Militäreinsatz« sei gescheitert.

Deutlich belegen das die jüngsten Berichte über öffentliche Hinrichtungen, wie sie schon zur Zeit der ersten Taliban-Herrschaft (1996 und 2001) vorgekommen sind. Der Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und einer unabhängigen Justiz war eins der Teile im Puzzle einer aufzubauenden afghanischen Demokratie. Am Donnerstag haben die Taliban in einem Fußballstadion in der Provinz Ghazni zwei Personen hinrichten lassen, die wegen Mordes verurteilt worden waren. Es handelt sich um die dritte und vierte bekannte öffentliche Hinrichtung unter ihrer Herrschaft. Laut Amnesty International schauten Tausende Menschen zu; die tödlichen Schüsse seien von Verwandten der Männer abgegeben worden.

Ein wesentlicher Grund für den Misserfolg, den auch andere Kritiker und Sachverständige in ähnlicher Form anführten, ist Hunko zufolge, dass im Bundestag vor Mandatsverlängerung zwar immer wieder über den Bundeswehreinsatz debattiert worden sei, doch in Form von »Rechtfertigungsdiskursen«, »ohne eine ehrliche Analyse«, quasi zur Selbstbestätigung dessen, was man in Afghanistan tat. Ob gesteckte Ziele im Sinne einer Wirksamkeitsprüfung erreicht wurden, blieb weitgehend unbeantwortet. Und: »Es herrschte eine große Unkenntnis über die afghanische Gesellschaft, ihre Geschichte und ihre Machtstrukturen«, sagte Schahina Gambir, Vertreterin der Grünen in der Enquete-Kommision.

In der unbedingten Nato-Bündnistreue sieht auch Winfried Nachtwei einen essenziellen Grund, warum die schon während des Einsatzes bekannt gewordenen Missstände nicht angesprochen, geschweige denn behoben wurden. Nachtwei hat als ehemaliger Bundesabgeordneter der Grünen das Afghanistan-Abenteuer über Jahre mitverfolgt, war rund 20 Mal vor Ort und gehörte der Enquete-Kommission als Sachverständiger an. Auf der Entscheidungsebene der Bundesregierung wollte man nichts wissen von der tatsächlichen Situation, redete sich die Lage schön. Forderungen nach Evaluierung des Einsatzes seien abgewehrt worden.

»Die Spitzen der Bundesregierung hatten kein sonderliches Interesse an Afghanistan«, schrieb er im Juni 2017 in einem Leserbrief für die »Süddeutsche Zeitung«, »ausschlaggebend war Solidarität mit den USA«. Außerdem habe es »viel Wunschdenken gegeben, zumindest in den ersten zehn Jahren«, bescheinigt er den Entscheidern.

Dazu heißt es im Zwischenbericht der Enquete-Kommission: »Dass die Bewertungen zur Realität des Einsatzes zu positiv ausfielen, führten die Sachverständigen insbesondere darauf zurück, dass es sich um einen Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages gehandelt habe und das primäre Ziel der Verbündeten der USA gewesen sei, Bündnissolidarität im Rahmen der Nato zu demonstrieren.«

Eine weitere, maßgebliche Schwäche in der Konzeption des Afghanistan-Einsatzes war ein Zielkonflikt: Zum einen sollte ein demokratischer afghanischer Staat aufgebaut und stabilisiert, zum anderen Terrorismus bekämpft werden. »Das war ein Tabuthema in der Enquete-Kommission«, so Nachtwei. Dabei gab es ein Ungleichgewicht in der finanziellen Ausstattung: Laut Bundesregierung beliefen sich die Gesamtkosten des deutschen Afghanistaneinsatzes auf 17,3 Milliarden Euro, heißt es im Bericht, davon entfielen 12,3 Milliarden auf das Verteidigungsministerium.

Der Aufbau einer effektiven afghanischen Polizei war ein zentraler Baustein der Stabilisierungsmaßnahmen und Befriedung des Landes. Deutschland nahm ab Februar 2002 dabei eine führende Rolle ein, entsandte jedoch nur 17 Beamte. Demgegenüber standen geschätzt 60 000 Milizangehörige und 600 000 Bewaffnete insgesamt und eine waffenlose Polizei in Kabul. Das Bundesinnenministerium (BMI) investierte in den Polizeiaufbau fast 450 Millionen Euro. Das Ergebnis: »Das Ziel, eine effektive und bürger*innenfreundliche Zivilpolizei zu schaffen (...) wurde nicht erreicht. Die Kriminalitätsbekämpfung war im Jahr 2021 im Vergleich zu den Vorjahren nicht signifikant verbessert«, heißt es in einem Evaluierungsbericht des BMI.

Prof. Dr. Christoph Zürcher, der an der Universität Ottawa lehrt und als externer Sachverständiger zu zivilen Unterstützungsmaßnahmen angehört wurde, bezweifelte grundsätzlich, »dass Stabilisierungsmaßnahmen stabilisierend wirken können«. Der in Afghanistan verfolgte Ansatz konnte laut Zürcher nicht zu einer Befriedung und einer erhöhten Legitimität des Staates führen. Man werde die Taliban »nicht davon überzeugen, friedlicher zu werden, wenn wir Brunnen und Schulen bauen«, heißt es im Bericht.

Das bedeutet auch für Zürcher nicht, dass internationale Hilfe zur Verbesserung der Lebensbedingungen nicht sinnvoll sei. Sie müsse aber »von dieser unglaublichen politischen Bürde« befreit werden, »gleichzeitig auch noch stabilisierend zu sein« und »Frieden schaffen« zu müssen, geschweige denn Demokratie zu etablieren, so Zürcher.

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