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Schrille Debatte um Arbeitspflicht für Asylbewerber
CDU-Landrat will Geflüchtete für 80 Cent pro Stunde arbeiten lassen
Schon ehe Christian Herrgott sein neues Amt als Landrat des Saale-Orla-Kreises im Südosten Thüringens antrat, hatte es in der Region eine Pflicht für bestimmte Asylbewerber gegeben, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Dennoch gilt der CDU-Politiker seit einem Auftritt in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« sowie einem Bericht von »Bild« nun als der erste Landrat bundesweit, der umsetzt, was gesetzlich schon lange möglich ist: nämlich Geflüchtete unter bestimmten Umständen etwa zum Winterdienst, zum Putzen oder zum Heckenschneiden zu verpflichten. »Mich wundert ein bisschen, dass das jetzt so einen großen Kreis zieht«, sagte Herrgott, der Anfang Februar sein Amt als Landrat angetreten hatte, nachdem er sich in einer Stichwahl gegen einen AfD-Bewerber durchgesetzt hatte.
Die Fakten, nach Angaben von Herrgott: Seit Januar können im Saale-Orla-Kreis manche Asylbewerber, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden. Insgesamt etwa 150 in diesem Landkreis lebende Menschen könnten zu eher einfacheren Arbeiten herangezogen werden. Bei etwa 50 Flüchtlingen habe die Kreisverwaltung dies inzwischen getan. »Ich setze damit etwas um, was wir vorher schon auf den Weg gebracht haben und was vorher schon so gemacht wurde«, erläuterte Herrgott. Im September 2023 habe es auf Betreiben der CDU einen Beschluss im Kreistag gegeben, mit dem die Kreisverwaltung aufgefordert worden sei, die Voraussetzungen für eine solche Arbeitspflicht zu schaffen.
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Die rechtlichen Grundlagen für eine solche Pflicht gibt es schon länger. Im Asylbewerberleistungsgesetz ist in Paragraf fünf geregelt, dass in Gemeinschaftsunterkünften »Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden« sollen. Auch »bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern« sollen solche Tätigkeiten vorgehalten werden. Wer einer solchen Beschäftigung nachgeht, soll mit einem Stundenlohn von 80 Cent bezahlt werden. Außerdem steht in dem Gesetz: »Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet.«
Nachdem Herrgott vor wenigen Tagen im Fernsehen berichtet hatte, dass in seinem Landkreis diese Regelung angewendet wird, schrieb »Bild«: »Erster Landrat verdonnert Flüchtlinge zur Arbeit.« Nun hat sich eine Debatte über diese Regelung entzündet.
Der Thüringer Flüchtlingsrat hält eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge für »völlig absurd«, wie es seine Projektkoordinatorin Juliane Kemnitz formuliert. Die Realität sei vielmehr, dass es für Geflüchtete gerade in den ersten Monat nach ihrer Ankunft in Deutschland ein Verbot gebe, eine Arbeit aufzunehmen. Unabhängig davon, dass im Saale-Orla-Kreis schon vor Herrgotts Amtsantritt mit diesem Instrument gearbeitet worden sei, habe der erst jüngst Gewählte mit seinem Auftritt bei Markus Lanz ein Bild von arbeitsunwilligen Asylbewerbern reproduziert, das im Grunde völlig falsch sei. Auch das Argument des CDU-Politikers, mit einer Arbeitspflicht werde die Integration der Menschen gefördert, sei fragwürdig. Eine nachhaltige Integration dieser Menschen könne nur gelingen, wenn es ihnen erlaubt werde, sozialversicherungspflichtige Jobs anzunehmen, sagte Kemnitz.
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Thüringer Landtag, Katharina König-Preuss, äußert sich ähnlich. »Wirklich wichtig wäre, dass man Arbeitsverbote für Flüchtlinge aufhebt – jegliche Arbeitsverbote«, sagte sie. Dafür solle Herrgott sich einsetzen.
Harsche Kritik kommt auch von Thüringens Migrationsministerin Doreen Denstädt (Grüne). »Herr Herrgott macht genau das, was rechte Gruppierungen zurzeit versuchen: Er bedient das falsche Narrativ von den arbeitsscheuen Geflüchteten«, sagt sie. »Das ist nicht nur schäbig. Herr Herrgott gießt so auch Öl in ein Feuer, das die demokratischen Kräfte gerade auszutreten versuchen.«
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