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Schüsse auf hungernde Menschen im Gazastreifen
Dutzende werden im Gazastreifen getötet, als sie sich um Lebensmittellieferungen drängen
Bei Chaos und Schüssen rund um einen Hilfskonvoi im Gazastreifen sind am Donnerstagmorgen Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde warf Israels Armee vor, eine Menge in der Stadt Gaza angegriffen zu haben, die auf die Hilfsgüter gewartet habe. Dabei sollen 104 Menschen getötet und 760 verletzt worden sein. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die israelische Armee teilte mit, zahlreiche Anwohner hätten sich um einfahrende Lastwagen mit Hilfsgütern gedrängt, um diese zu plündern. Dutzende wurden demnach dabei etwa durch Rempeleien und Getrampel getötet und verletzt.
Nach einer ersten Untersuchung des Militärs sind etwa zehn Menschen durch von israelischen Soldaten abgegebene Schüsse getroffen worden, berichtete die »Times of Israel«. Ein israelischer Regierungssprecher hatte die palästinensischen Todesopfer bei der Verteilung von Hilfsgütern zuvor als Tragödie bezeichnet, berichtete der saudische Nachrichtensender »Al-Arabiya« und sagte, dass die Todesopfer nach ersten Erkenntnissen durch Lastwagenfahrer verursacht wurden, die in die Menschenmenge gerieten.
»Irgendwann waren die Lastwagen überfordert und die Fahrer, die aus dem Gazastreifen stammten, fuhren in die Menschenmenge und töteten dabei, soweit ich weiß, Dutzende von Menschen«, sagte Sprecher Avi Hyman gegenüber Reportern. Auch diese Angaben ließen sich nicht verifizieren.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Im Laufe des Donnerstagnachmittags wurde diese offizielle israelische Erklärung jedoch immer schwächer. Mehrere israelische Medien meldeten unter Berufung auf Armeekreise, ein Teil der Menge habe sich aus nicht genannter Ursache den Soldaten genähert, die die Einfuhr der Lkw koordinierten, und diese damit angeblich gefährdet. »Die Menge näherte sich den Streitkräften in einer Weise, die eine Bedrohung für die Truppen darstellte, die darauf mit scharfem Feuer reagierten«, sagte laut »Al-Arabiya« eine anonyme israelische Quelle gegenüber AFP. Mehrere Medien meldeten unter Berufung auf die Armee zudem, dass bewaffnete Palästinenser auf einige der Lastwagen geschossen hätten. Das Militär habe zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben und auf die Beine derjenigen gefeuert, die sich den Soldaten trotzdem genähert hätten.
Der Korrespondent Bernard Smith, der für den TV-Sender »Al-Jazeera« aus Ost-Jerusalem berichtet, erklärte, dass das israelische Militär »zunächst versuchte, die Schuld auf die Menge zu schieben«. Später, »nach einigem Drängen«, hätten die Israelis gesagt, dass ihre Truppen sich bedroht fühlten und mit der Eröffnung des Feuers reagierten.
Nach Angaben des Al-Jazeera-Journalisten Ismail Al-Ghoul vor Ort seien die israelischen Panzer nach der Eröffnung des Feuers vorgerückt und hätten viele der Toten und Verletzten überrollt. »Es handelt sich um ein Massaker, zusätzlich zu der Hungersnot, die den Bürgern in Gaza droht«, sagte er.
Die »Times of Israel« berichte, rund 30 Lastwagen seien am frühen Morgen an der Küste in der Stadt Gaza angekommen. Tausende Palästinenser rannten demnach auf die Transporter zu. Ein Armeevideo soll den Ansturm zeigen.
Ein Anwohner namens Mahmud Ahmed sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Menschen hätten am frühen Donnerstagmorgen Lastwagen mit Hilfsgütern aus dem südlichen Gazastreifen in Empfang nehmen wollen, um Mehl und weitere Lebensmittel zu bekommen. Es sei noch dunkel gewesen. Plötzlich sollen Schüsse gefallen sein. Nach Darstellung des 27-jährigen Augenzeugen sollen auch Granaten abgefeuert worden sein. Der Anwohner sei zunächst geflohen, bei Tagesanbruch aber zurückgekommen, berichtete er weiter. Bei seiner Rückkehr habe der Palästinenser etliche Leichen auf dem Boden gesehen. Auch diese Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.
Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths äußerte sich entsetzt. »Selbst nach fast fünf Monaten brutaler Feindseligkeiten kann Gaza uns immer noch schockieren«, schrieb er auf der Plattform X (früher Twitter). »Das Leben schwindet mit erschreckender Geschwindigkeit aus dem Gazastreifen.« Mit Agenturen
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