Vorwürfe gegen Hasso Plattner Institut: Betriebsrat verhindert?

Hasso Plattner Institut setzt auf alternative statt gesetzliche Mitbestimmung

Ein Campus des privat finanzierten Hasso Plattner Instituts im Potsdamer Ortsteil Babelsberg
Ein Campus des privat finanzierten Hasso Plattner Instituts im Potsdamer Ortsteil Babelsberg

Das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut (HPI) soll laut einem Bericht von »Correctiv« und »Tagesspiegel« die Einrichtung eines Betriebsrats verhindert haben. Das HPI bestreitet diese Darstellung. Nach Sichtung interner Dokumente und der Befragung von Beteiligten bleibt eine eindeutige Einschätzung der Vorgänge offen.

Fakt ist: Im Herbst 2023 bereiteten Beschäftigte eine Betriebsratswahl vor. Die Geschäftsführung warb stattdessen für einen sogenannten Institutsrat. Auf der Betriebsversammlung, auf der der Wahlvorstand für die Betriebsratswahl bestimmt werden sollte, erlangte keine*r der Kandidat*innen eine Mehrheit. Mittlerweile ist das Thema Betriebsrat vom Tisch und die Wahl zum Institutsrat steht an.

»Mehrere Darstellungen im Bericht von Tagesspiegel/Correctiv entsprechen nicht der Faktenlage und weisen wir entschieden zurück«, erklärt ein Sprecher des HPI »nd«. So habe das HPI weder »einen Betriebsrat ›verhindert‹«, noch einen »Institutsrat ›installiert‹«. Stattdessen sei es eine »demokratische Entscheidung aus der Mitte der Belegschaft« gewesen, dass »die Gründung eines Betriebsrats gestoppt wurde«. Dass nun ein Institutsrat gewählt wird, geht auf »Mitarbeitende aller Statusgruppen« zurück. »Es ist und bleibt ein demokratischer Prozess«.

Die Geschäftsführung betont an vielen Stellen die freie Wahl der Mitarbeiter*innen. Es stellt sich jedoch die Frage, auf welchen Grundlagen die Belegschaft ihre Entscheidung getroffen hat und wer wie und mit welchen Mitteln für seine Interessen geworben hat. So heißt es bereits im Juni 2023 in einer E-Mail von einem der Geschäftsführer, die »nd« vorliegt: »Wir möchten mit Beginn des kommenden Studienjahres einen Institutsrat (Arbeitstitel) einrichten, der demokratisch von allen Beschäftigten gewählt wird.«

200 000 Euro habe das HPI für die Anwaltskanzlei Pusch Wahlig und etwa 20 000 für eine Kommunikationsagentur ausgegeben, berichtet »Correctiv«. Während bei Pusch Wahlig Beratungen zu den Themen »BR-Wahl/Wahlvorstand«, »Begleitung des Wahltags« und »Kick-Off zur alternativen Mitbestimmung« abgerechnet wurden, beschreibt die Agentur ihren Auftrag wie folgt: »Das HPI ist kurzfristig mit dem Bestreben einiger Mitarbeitenden konfrontiert worden, einen Betriebsrat im Unternehmen errichten zu wollen. Ziel des Unternehmens ist es, die Mitarbeitendenvertretung alternativ in einem (...) Institutsrat zu institutionalisieren.« Die Agentur solle entsprechende »Narrative und Botschaften« entwickeln, zitiert »Correctiv« aus der Rechnung.

Das wissenschaftliche Institut war unter anderem damit beauftragt, eine einheitliche, digitale Lernplattform für alle Schulen in Deutschland zu entwickeln und erhielt dafür mehrere Millionen an staatlicher Förderung. Zudem betreibt es gemeinsam mit der Universität Potsdam die Digital-Engineering-Fakultät. Das HPI zählt nach eigenen Angaben 230 Beschäftigte. Im Frühjahr 2023 übernahm ein Trio die Geschäftsführung.

Ein*e Mitarbeiter*in des HPI schildert »nd« ihre*seine Sicht: »Kollegen wollten im Oktober 2023 einen Betriebsrat gründen. Der Arbeitgeber hat daraufhin eine Kampagne gestartet, wie der Betriebsrat die Agilität und Flexibilität des HPI gefährdet und zu uns als Forschungseinrichtung sowieso nicht passt. Den Kollegen wurde nahegelegt, sich bei der Wahl zum Wahlvorstand zu enthalten oder Nein zu stimmen.« Weil genügend Kolleg*innen dem Rat der Geschäftsführung gefolgt seien, sei kein Wahlvorstand zustande gekommen.

An einem Freitag, drei Tage vor der Betriebsversammlung, verschickt die Geschäftsführung ein siebenseitiges Schreiben, in dem zu einem Townhall-Meeting eingeladen wird. Das Schreiben liegt »nd« vor. Auf dem Meeting sollten »weitere Details« zum Institutsrat bekannt gegeben werden. Außerdem heißt es, dass jede*r »sich seine eigene Meinung frei bilden und ausschließlich so abstimmen soll, wie sie oder er es für richtig hält.« Die Geschäftsführung macht gleichsam keinen Hehl daraus, dass sie die »customized solution«, den Institutsrat, »für den besseren Ansatz« hält. Es folgen Erläuterungen, warum ein Betriebsrat wahlweise zu weit oder nicht weit genug geht.

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»nd« legt das Schreiben der Rechtsschutzabteilung des DGB vor: »Meiner Einschätzung nach bewegen wir uns hier klar im strafbaren Rahmen nach Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes«, sagt deren Sprecher Till Bender. »Hier argumentiert der Arbeitgeber einseitig gegen einen Betriebsrat, beeinflusst parteiisch die Angestellten.« Glasklar rechtswidrig sei zudem die Terminierung des Townhall-Meetings einen Tag vor der Betriebsversammlung, auf der der Wahlvorstand gewählt werden sollte.

Bender meint außerdem, dass laut Gesetz »ein Betriebsrat auf Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes« zu wählen sei. »Mit einer Pro-Contra Diskussion zwischen Betriebs- und Institutsrat wird den Beschäftigten die Möglichkeit einer Alternativität vermittelt, die das Gesetz nicht vorsieht.«

Antje Thomaß war als Gewerkschaftssekretärin von Verdi mit dem HPI betraut und resümiert heute: So detaillierte Informationen, wie jetzt bekannt wurden, habe sie nicht gehabt. »Wir haben damals die Möglichkeit der Strafverfolgung geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich das Agieren der Geschäftsführung und die Störungsqualität noch im Graubereich abspielen. Heute kämen wir möglicherweise zu einer anderen Einschätzung.« Und: »Wir haben aber auch bewusst auf rechtliche Schritte verzichtet, wollten korrekt und sachlich bleiben, weil wir sonst eine weitere Eskalationsstufe befürchteten, was unsere Hoffnungen, einen Betriebsrat doch noch irgendwie durchzukriegen, zunichte gemacht hätte.«

Als »nd« am Freitag, dem Tag der Veröffentlichung der »Correctiv«-Recherche, beim Brandenburgischen Wirtschaftsministerium anfragt, ist man dort schon informiert. »Weitergehende Kenntnisse, Hintergründe oder juristische Einschätzungen« lägen aber nicht vor. Man sei »im Austausch mit der zuständigen Gewerkschaft Verdi« und werde »die weitere Entwicklung beobachten«. Weiter heißt es: »Die rechtliche Stellung von Betriebsräten geht über Beschäftigtenvertretungen auf freiwilliger Basis hinaus.« Es obliege »zuvorderst den Beschäftigten des HPI selbst abzuwägen, ob ihnen die gegenwärtige Praxis genügt oder ob sie einen Betriebsrat gründen möchten«. Die Landesregierung betonte, »dass den Beschäftigten keine Steine in den Weg gelegt werden dürfen«.

»Ich kann dem Institutsrat leider aufgrund der Begleitumstände nicht trauen und ihn als Alternative ansehen«, sagt die*der Mitarbeiter*in des HPI. Und Gewerkschafterin Antje Thomaß geht davon aus, dass sich die Grenzen »einer solchen alternativen Mitbestimmung« bald zeigen würden: »Ich glaube, dass sich in absehbarer Zeit dann eine neue Initiative für eine Betriebsratsgründung ergeben kann.«

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