Belgien: Land der scharfen Gegensätze

Belgien zeigt sich auch vor der anstehenden Europawahl tief gespalten. In der Hauptstadtregion Brüssel liegt die marxistische PTB vorn

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Rechtsextremisten vom Vlaams Belang haben am Wochenende offiziell den Europawajlkampf eingeläutet.
Die Rechtsextremisten vom Vlaams Belang haben am Wochenende offiziell den Europawajlkampf eingeläutet.

»Kleines Land, kleine Leute«, spottete der belgische König Leopold II. einst über das von ihm regierte Land. Zwar ist Belgien tatsächlich klein, etwa so groß wie das benachbarte Nordrhein-Westfalen, nur mit deutlich weniger Einwohnern. Allerdings ist Belgien mehr als nur ein Land. Die elf Millionen Einwohner leben in drei Regionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Im französischsprachigen Süden etwa schlägt das Herz vieler Wähler links. Die sehr linken Sozialdemokraten von der Sozialistischen Partei (SP) sind in der Wallonie stärkste Kraft, auch die marxistische Partei der Arbeit (PTB) liegt in der Wählergunst weit vorne. In dem politisch fragmentierten Land sind die 24 Prozent der SP (S+D-Fraktion) und die 18 Prozent der PTB (The Left) richtig gute Ergebnisse. Dritte große Kraft in der Wallonie ist mit derzeit 20 Prozent die liberale Partei Mouvement Réformateur (MR).

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

Der Süden wählt links

Die Rechten spielen im Süden kaum eine Rolle, obwohl die wirtschaftliche Lage der ehemaligen Industrieregion katastrophal ist. Das könnte auch am »Cordon Sanitaire Médiatique« liegen, der medialen Brandmauer. Die Medien in der Wallonie haben sich verpflichtet, verfassungsfeindlichen Gruppen keine direkte Plattform zu bieten, sondern sie nur »kontextualisiert« zu zitieren. Somit haben es rechte Hetzer deutlich schwerer, hier durchzudringen.

Ganz anders die Lage im flämischen Norden um die Hafenmetropole Antwerpen und das pittoreske Brügge, wo der rechtsextremistische Vlaams Belang und die rechtsnationalistische Nieuw Vlaamse Alliantie (N-VA) den Ton angeben. Beide Parteien werben für die Unabhängigkeit Flanderns von Belgien und liegen in den Umfragen für den Landesteil weit vorne. Derzeit kommen sie in Flandern auf fast 50 Prozent. Auf das gesamte Belgien gerechnet liegen beide Parteien bei knapp 30 Prozent. Wobei die N-VA und der VB keinen gemeinsamen Block bilden. Im Gegenteil: Der N-VA-Vorsitzende Bart De Wever, amtierender Bürgermeister von Antwerpen, bezeichnete den Vlaams Belang jüngst als »Melanom Flanderns« und versucht alles, um die Rechtsextremisten von der Macht fernzuhalten.

Flandern in rechter Hand

Mit bescheidenem Erfolg: Mittlerweile ist der VB stärkste Kraft in Flandern. Die Konkurrenz der beiden Parteien zeigt sich auch im EU-Parlament. Die N-VA ist Teil der nicht ganz so rechtsextremen EKR-Fraktion, der Vlaams Belang gehört der ID-Fraktion an, in der auch die AfD sitzt. Hinzu kommen die liberalen Parteien in Flandern, von denen der Open VLD (Renew Europe) derzeit mit Alexander De Croo sogar den belgischen Ministerpräsidenten stellt. Allerdings ist der Open VLD massiv in der Wählergunst abgestürzt.

In der Hauptstadt Brüssel, wo beide Sprachgemeinschaften seit Jahren einen kalten Kulturkrieg führen, führt die linke PTB die Umfragen an, dicht gefolgt von den Grünen. Doch warum ist die Partei der Arbeit so erfolgreich? Marc Botenga, EU-Parlamentarier und Spitzenkandidat der PTB, erklärt gegenüber »nd«: »Immer mehr Menschen wollen Schluss machen mit einer Politik, die die Reichsten begünstigt, und mit Politikern, die zu sehr damit beschäftigt sind, sich selbst Privilegien zu verschaffen, um auf die Bedürfnisse der Menschen zu hören.«

Europa to go

Ein Podcast, der dich anlässlich der Europawahl 2024 ins »Herz« der EU mitnimmt. Begleite uns nach Brüssel und erfahre mehr über Institutionen wie das Europäische Parlament, was dort entschieden wird und warum dich das etwas angeht. Der Podcast ist eine Kooperation von »nd«, Europa.Blog und die-zukunft.eu. Alle Folgen auf dasnd.de/europa

Europawahl von Innenpolitik beeinflusst

Im Europäischen Parlament, wo die PTB Teil der Fraktion The Left ist, will die Partei »die Stimme der Arbeitenden gegenüber dem Europa der multinationalen Konzerne sein. Doch selbst bei einem sehr guten Abschneiden wird die PTB die drohenden Verluste der Linksfraktion nicht kompensieren können. Dem kleinen Belgien stehen insgesamt nur 21 der insgesamt 705 Sitze im EU-Parlament zu.

Derzeit ist Botenga der einzige Abgeordnete seiner Partei. Das wird nicht so bleiben, denn die Unzufriedenheit ist groß in Belgien, gerade unter den Gering- und Normalverdienern, die unter der Inflation leiden. Traditionell werden Einkommen aus Arbeit in Belgien hoch besteuert, während etwa Eigentum kaum belastet wird. Das verschärft die soziale Spaltung.

Die Europawahlen werden eine starke innenpolitische Komponente haben. Parallel dazu finden im Juni auch Kommunal-, Regional- und die föderalen Wahlen statt. Unklar ist, ob die nach den letzten Parlamentswahlen im Mai 2019 erst nach mehr als 600 Tage gebildete «Vivaldi-Koalition» aus sieben Parteien weiter regieren wird. Das Kabinett besteht aus Sozialisten, Grünen, Liberalen und Christdemokraten. In den Umfragen fallen fast alle Regierungsparteien zurück. Das Erstarken der Rechten und der PTB könnte die nächsten Koalitionsverhandlungen noch komplizierter machen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.