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Femizide in Kenia: Eine Untätigkeit, die wütend macht
In Kenia ist eine Protestbewegung gegen die zunehmende Zahl an Femiziden entstanden
Mehrere hundert schwarz gekleidete junge Menschen strömen aufs Gelände der Universität Nairobi. Auf der vertrockneten Wiese ist eine Bühne aufgebaut. Die Stimmen der Rednerinnen schallen weit über den Platz. Eigentlich wird der Valentinstag gern als Tag der Liebe begangen. Pärchen feiern ihre Zweisamkeit, Eheleute beschenken sich an diesem vor allem für die Blumenindustrie lukrativen Feiertag. Doch niemandem der Jugendlichen ist an diesem 14. Februar wirklich zum Feiern zumute. Bedächtig richten sie ihren Blick in Richtung Bühne oder auf den Boden. Eine Rednerin verliest eine lange Liste von Namen: allesamt von Frauen, die ermordet wurden. Die Stimme bricht, sie wischt sich eine Träne weg. Es gibt Hunderte Frauen, die in Kenia in den vergangenen Jahren zum Opfer von Femiziden wurden. Eines der jüngsten Opfer, die 20-jährige Rita Waeni, war selbst Studentin der landwirtschaftlich-technischen Fakultät der Jomo Kenyatta University of Agriculture and Technology.
Zwischen 2017 und Anfang 2024 habe es mehr als 500 Morde an Frauen gegeben, berichtet das Africa Data Hub. Der Femicide Count Kenya geht davon aus, dass allein im Jahr 2023 mindestens 152 Frauen getötet wurden. Doch erfassen die Statistiken lediglich die eindeutig dokumentierten oder medial erfassten Fälle, die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Allein seit Anfang dieses Jahres haben die kenianischen Nachrichtenagenturen von 16 Femiziden berichtet. Mittlerweile gehen Menschen auf die Straße, um auf die vielen Morde aufmerksam zu machen. Sie halten das für notwendig, weil die politische Führung Kenias darauf nicht reagiert und keine Konsequenzen eingeleitet hat.
Vor allem emotionale Diskussionen in den sozialen Medien wurden zum Katalysator für die Proteste auf der Straße, die sich zu den größten Frauenprotesten in der jüngeren Geschichte Kenias ausweiteten. »Unsere Regierung hat nur sehr wenig bis gar nichts dazu gesagt. Sie hat die Femizide nicht einmal verurteilt«, meint Faith Kasina am Rande der Kundgebung in Nairobi. Sie engagiert sich beim Kayole Community Justice Center (KCJC) und hat die Demonstrationen der vergangenen Wochen mitorganisiert. Das KCJC ist Teil der Bewegung für soziale Gerechtigkeit, eines stadtweiten Netzwerks von sozialen Anlaufpunkten in den Armenvierteln der ostafrikanischen Metropole. Auch Kayole gilt als eines der ärmsten und gefährlichsten Viertel in der kenianischen Hauptstadt. Doch die Gefahr geht nicht nur von vermeintlichen kriminellen Gangs aus. Kayole ist so wie viele andere Armenviertel Nairobis immer wieder Schauplatz von »außerrechtlichen Tötungen« durch die Polizei. Anwohner berichten von regelrechten Hinrichtungen angeblich delinquenter Jugendlicher durch schießwütige Beamte.
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Faith Kasina und ihre Kolleg*innen kümmern sich um die betroffenen Familien und versuchen, vor Gericht eine Verurteilung der Todesschützen zu erreichen – zumeist allerdings vergeblich. »Unser Rechtssystem ist ein Problem für sich«, erklärt sie. Auch im Kampf gegen Gewalt an Frauen und bei der Verfolgung der Täter verhielten sich die Gerichte alles andere als aktiv. Vielmehr würden Prozesse über Jahre in die Länge gezogen, und oft würde gar nicht ernsthaft ermittelt, sondern die Fälle würden von den Behörden unter den Tisch gekehrt. Auch die öffentlichen Diskussionen seien zumeist kontraproduktiv. »In der Öffentlichkeit werden dann auf einmal die Opfer beschuldigt«, wundert sie sich. »Anstatt zu fragen, wie wir die Morde stoppen oder die Täter verfolgen können, heißt es oft: ›Was hatte die Frau da zu suchen?‹ Oder man wirft den Opfern sogar vor, eh nur das Geld der Männer gewollt zu haben.«
Auch nach den jüngsten Morden hätten viele versucht, die Fehler bei den Opfern zu suchen, anstatt die Schuld der Täter anzuerkennen, sagt Faith Kasina. So wurde der Mord an der 26-jährigen Instagram-Influencerin Starlet Wahu zum Anlass wüster Kommentare. Wahu sei selbst für ihren Tod verantwortlich, »wenn sie sich allein mit einem fremden Mann ein Zimmer nehme«, so der Tenor. Die junge Frau wurde am 3. Januar in einem gemieteten Apartment am Rande Nairobis brutal ermordet. »Sie stecken alle ermordeten Frauen in einen Sack und erklären, sie seien Prostituierte gewesen. Natürlich gibt es Prostitution in Kenia. Aber auch diese Frauen verdienen doch wohl, nicht ermordet zu werden.« Mit solchen Diskussionen werde ein völlig verzerrtes Bild geschaffen. Es werde ignoriert, dass es Dutzende Frauen gegeben habe, die zu Hause oder auf dem Weg zur Arbeit aus dem Leben gerissen worden seien. Tatsächlich kommt die Mehrheit der Täter aus dem direkten Umfeld der Opfer. So wurden laut dem jüngsten UN-Bericht, der für das Jahr 2022 mindestens 89 000 Morde an Frauen und Mädchen weltweit zählte, 55 Prozent der Taten durch Familienangehörige oder Partner begangen. Kenia stellt dabei keine Ausnahme dar.
Das Problem hat nicht erst mit der Zunahme der Morde in den vergangenen Monaten begonnen. Seit Jahren machen Nichtregierungsorganisationen, feministische Gruppen und Aktivist*innen auf die Lage der Frauen im Land aufmerksam und fordern die Regierung auf zu handeln. Auch das KCJC versucht, präventiv die geschlechtsspezifische Gewalt einzudämmen. Es klärt auf, hilft Betroffenen und ermutigt Überlebende, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Regierung bleibe aber untätig, beschwert sich Faith Kasina. Darüber seien ihre Mitstreiter*innen enttäuscht und entsetzt.
Die Redebeiträge an diesem »dunklen Valentinstag«, wie die Aktivist*nnen die Protest- und Gedenkkundgebung an der Universität getauft haben, sind entsprechend wütend. »Alle, die Regierungsverantwortung haben und uns nicht schützen können, müssen sofort zurücktreten«, verkündet Rachael Mwikali Mueni entschlossen von der Bühne. Die Feministin steht seit Jahren an der vordersten Front unterschiedlicher Kämpfe und bekommt für ihre Rede viel Applaus. Viele der Rednerinnen schließen ihre Beiträge mit einem Appell. Wenn nun nicht gehandelt werde, dann seien die Frauen gezwungen, weiter auf die Straße zu gehen und den Druck zu erhöhen. Man sei nicht mehr bereit, auch nur den Tod einer weiteren Frau untätig hinzunehmen, erklärt eine junge Rednerin. Besonders enttäuscht sei man aber auch von der passiven Haltung der weiblichen Mitglieder des Parlaments und der Regierung, erklärt Faith Kasina.
Um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern, sieht die 2010 verabschiedete Verfassung Kenias vor, dass mindestens ein Drittel des Parlaments von Frauen besetzt sein muss. »Wir haben leider festgestellt, dass die Parlamentarierinnen nicht den Interessen der Frauen und Mädchen in diesem Land dienen«, meint Faith Kasina. Die Frauenquote im Parlament habe noch nicht die erhofften Veränderungen gebracht.
Hinzu kommt der schwerfällige Justizapparat, der teilweise auch unwillig zu sein scheint. Es soll auch Fälle gegeben haben, bei denen Ermittlungen von höchster Stelle unerwünscht waren. Besonders brisant ist dabei der Femizid an Agnes Wanjiru im Jahr 2012. Die damals 21-jährige Mutter aus Nanyuki, im Norden von Nairobi, wurde zuletzt in Begleitung von Soldaten des britischen Duke of Lancester’s Regiments in einem örtlichen Hotel gesehen, bevor sie verschwand. Die britische Armee unterhält in der Nähe der kleinen Stadt einen Ausbildungsstandort. In Kenia wurden britische Soldaten unter anderem auf den Einsatz in Afghanistan vorbereitet.
Der leblose Körper der Frau wurde wenig später in einem Klärtank neben dem von britischen Soldaten gemieteten Raum gefunden. Trotz öffentlicher Proteste gab es über Jahre keine ernsthaften Anstrengungen, um den Fall aufzuklären. Die Ermittlungen kamen – trotz zahlreicher Indizien, Anhaltspunkte und sogar aussagewilliger Soldaten – zum Erliegen. Erst als 2021 britische Zeitungen Bildschirmfotos einer privaten Facebook-Chatgruppe von Soldaten des betreffenden Regiments veröffentlichten, wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Armeeangehörige hatten in ihren Chats Bilder geteilt, die das Tathotel zeigten, und den Kommentar: »Wer es weiß, der weiß es.« Ein weiterer Soldat kommentierte das Bild mit Geistersmileys und dem Wort »Klärtank«. Laut der britischen Wochenzeitung »Sunday Times«, soll einer der beteiligten Soldaten schon am Abend des Mordes seinen Kameraden die Tat gestanden haben. Trotz einer entsprechenden Meldung versandete der Fall beim Militär. Im Oktober vergangenen Jahres wandten sich Angehörige von Wanjiru mit einem offenen Brief an König Charles III. und forderten die Auslieferung der Soldaten an die kenianische Justiz.
Faith Kasina hat aber kaum Hoffnung, dass der Fall aufgeklärt wird. »Kenia ist immer noch ein kolonialer Staat«, meint sie. »Und dieser schützt nicht die Interessen des eigenen Volkes.« Es mangele schlicht am politischen Willen. Deshalb finden die Proteste statt, bei denen sich Frauen aus verschiedensten Organisationen zusammengeschlossen haben. Klein beigeben wollten sie nicht, meint Faith Kasina. »Bald wird es einen weiteren Masch geben. Wir müssen mehr Druck aufbauen. Das ist noch lange nicht das, was wir wollen.«
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