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Auch Ukrainer machen Urlaub – Begegnungen auf der Messe

Ukraine, Israel, Palästina: Bei der ITB, die 24 000 Menschen aus 170 Ländern besuchten, lässt sich die Weltlage nicht wegdiskutieren

  • Jirka Grahl und Lilly Augustin
  • Lesedauer: 8 Min.

Ihr Lächeln ist ansteckend – man erkennt es sogar durch die medizinische Maske hindurch, die Marlene Moras D’souza aus Maskat heute trägt. Die zierliche junge Frau mit den dunklen Augen ist eine strahlende Botschafterin Omans: Von einem beigefarbenen Sofa aus verteilt sie Visitenkarten der Hotelkette »Sama Resorts and Spa«. Bleistiftrock und Uniformjäckchen in Dunkelblau – so fügt sie sich perfekt ein in die Szenerie des 800 Quadratmeter umfassenden Standes, mit dem das arabische Sultanat bei der diesjährigen Internationalen Tourismusbörse (ITB) seinen großen Auftritt als offizielles Gastland feiert. Zufrieden sitzt die Frau aus Oman auf ihrer Couch: »Ich liebe meinen Spot, mein kleines Eck-Büro«, scherzt sie. Es laufe viel besser als im Vorjahr. »Die Lage ist strategisch perfekt.«

Ein guter Spot auf der weltweit größten Tourismus-Fachmesse kann einen Unterschied machen: Immerhin 5500 Aussteller aus 170 Ländern buhlten auf der ITB 2024 von Dienstag bis Donnerstag um die Aufmerksamkeit der 24 000 Besucher. Zum zweiten Mal nach Corona konnte die Messe wieder vor Ort veranstaltet werden; wie im Vorjahr waren nur Fachbesucher zugelassen. Die Berliner, die vor Corona ebenfalls zu Tausenden in die Messehallen unter dem Funkturm strömten, blieben auch 2024 außen vor.

Die Golfstaaten wollen mitmischen

Dennoch: Die Welt war zu Gast in Berlin, zumindest die Welt des Reisens. Die Zahl internationaler Auslandsreisen weltweit liegt nur noch zwölf Prozent unter dem Niveau des Referenzjahres vor der Pandemie, 2019. Die Branche erholt sich. In Berlin präsentierten sich nun alle touristischen Großmächte in gewohnter Stärke: Die USA mit fast allen Bundesstaaten, Australien, Kanada, Italien, Spanien, Frankreich, Mexiko, Thailand, neuerdings aber auch die Golfstaaten, die mit immer mehr touristischen Superlativen auf sich aufmerksam machen wollen. Katar und Dubai setzen schon lange auf Besucher aus aller Welt, nun will sich auch Saudi-Arabien neuerdings für die Welt öffnen: Auf dem gigantischen ITB-Stand mit Formel-1-Auto und Augmented-Reality-Spielereien feierte man die stolze Zahl von 100 Millionen Touristen, ohne zu verraten, in welchem Zeitraum. Das Königreich investiert mehr als 800 Milliarden US-Dollar in den wachsenden Tourismussektor.

Im Konzert der Großen vom Golf versucht auch das ITB-Gastland Oman mitzuspielen: Der Sultan entsandte seinen Tourismusminister und eine vielköpfige Delegation, darunter reichlich Touristiker wie Marlene Moras D’souza. Das Royale Sinfonieorchester spielte in der Berliner Philharmonie auf. Allesamt traten sie als Botschafter des idyllischen Sultanats mit den weißen Stränden auf: Der Tourismus ist auch dort als eine Einnahmequelle für die Zeit nach dem Öl ausgemacht worden.

Israel und der Gaza-Krieg

Haim Katz, Israels Tourismusminister (2.v.r.)
Haim Katz, Israels Tourismusminister (2.v.r.)

Was für ein Durcheinander! In Halle 21 drängen sich am ITB-Eröffnungstag die Journalisten um die letzten freien Plätze bei der Pressekonferenz des israelischen Tourismusministeriums. Die Kopfhörer für die Simultan-Übersetzung sind im Nullkommanichts vergriffen. Der schreckliche Krieg in Gaza, das Töten, das seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober noch einmal neue Dimensionen angenommen hat: Wie meistert das Reiseland Israel die Ausnahmesituation?

Israels Tourismusminister Haim Katz hat auf dem ITB-Podium Platz genommen und versucht sich an einer Antwort: Ja, die Touristenzahlen seien zurückgegangen, deutlich. Vor dem Krieg habe Israel bis zu 13 000 Besucher aus aller Welt verzeichnet – pro Tag. Nur noch 700 Besucher täglich seien es nun, »nach dem 7. Oktober 2023«. Üblicherweise mache der Tourismus vier Prozent des israelischen Bruttoinlandsprodukts aus. Davon sei man weit entfernt. Umso mehr hält der Minister die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für unnötig. Israel sei nach wie vor ein sicheres Reiseziel. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, dass diese Warnung aufgehoben wird«, kündigt Katz an.

Worum es geht: Business!

In Halle 11.2, am silbernen Imbisswagen neben dem Stand der Republik Moldau – übrigens Europas Schlusslicht in Sachen Besucherzahlen – hält derweil Estefano Labudda seine Mittagspause ab. Der 30-Jährige aus Hamburg hat sich auf einer Bierbank niedergelassen. Nun beißt er genüsslich in seinen Pulled-Pork-Burger (10 Euro). Auf ein Mineralwasser für 4,50 Euro hat Labudda verzichtet, auch wenn die Geschäfte heute gut angehen, wie er erzählt. 

Der Jungunternehmer im Kapuzenpullover betreibt auf der ITB Kalt-Akquise – Erstkontakt mit potenziellen Kunden: Mit einem Lächeln unter dem fröhlich gezwirbelten Schnauzbart tritt er an die Stände und klappt sein iPad auf, um den Ausstellern Novamag.de vorzuführen. So heißen sowohl das Produkt als auch die dazugehörige Firma, bei der Labudda zugleich Teilhaber und Chefverkäufer ist. Novamag ist ein »Digital Publishing Tool«, wie Labudda erklärt: »Eine Software, mit der man bequem Kataloge, Kundenmagazine oder Geschäftsberichte erstellen kann, digital und gedruckt.« 

Das Programm sei kinderleicht zu bedienen. Großkonzerne wie FTI oder Edeka zählten schon zu den Kunden des Programms, für das je nach Umfang zwischen 1800 Euro und 10 000 Euro pro Jahr gezahlt werden müsse. Eine Erfolgsgeschichte. Labudda ist zum zweiten Mal auf der ITB unterwegs, 2023 hatte er am Ende einen festen Kunden gewonnen, für 2024 hofft er auf mehr. Wie findet er die ITB? »Alle sind super offen, entspannt und sehr interessiert«, freut er sich: »Ganz freundlich, obwohl ich ihnen doch etwas verkaufen will.«

Sein Guerilla-Marketing funktioniere erstaunlich gut, sagt er: Allein im »hub27«, der Halle mit den deutschsprachigen Anbietern, hat er heute mehr als einen halben Tag verbracht. Er ist nur heute auf der ITB – schade, findet Labudda: »Es läuft so gut, ich müsste eigentlich morgen auch noch hier herumrennen.«

Palästina: Zero Tourismus

Für Mashed Ishaq in Halle 6.2 hingegen ist die ITB 2024 ein Trauerspiel. Der Generaldirektor der Marketingabteilung im palästinensischen Tourismusministerium hat außer schrecklichen Nachrichten aus der Heimat in diesem Jahr nichts anzubieten, höchstens noch die Datteln aus Jericho, die er an den Stand mitgebracht hat: »Bitte, nehmen Sie!«, sagt er und lässt sich seufzend am Besprechungstisch nieder. Wie läuft die ITB für ihn? »Schlecht natürlich. Sehr schlecht.« Der Krieg mit seinen unzähligen Opfern habe auch für die Palästinenser außerhalb von Gaza drastische Konsequenzen. Jeder habe Familienmitglieder verloren im Krieg, er selbst sei Christ und habe mit Hamas nichts am Hut. Allein sechs Menschen aus seiner Familie seien bei einem israelischen Bombardement gestorben, erzählt er. Sie hätten sich in einer Kirche verstecken wollen. Dann schlugen die Raketen ein.  

Neben der Trauer hätten die Menschen in den Autonomiegebieten noch viel drängendere Sorgen. Wer einen Job in Israel habe, dürfe nicht an seinen Arbeitsplatz. Den Leuten gehe langsam das Geld aus. »Wir haben null Tourismus in Bethlehem«, klagt der glatzköpfige Mann. Er wird lauter: »Zero! Und 70 Prozent aller Einnahmen werden im Gastgewerbe erzielt.« Auch das Kunsthandwerk, Taxifahrer, alle lebten von Touristen. Die Leute seien verzweifelt: »Manche verkaufen ihr Hab und Gut, ihre Autos, um zu überleben!« Mashed Ishaq beziffert die Verluste in Bethlehem, Ost-Jerusalem, Jericho, Nablus, Hebron, Ramallah und Jenin auf eine Million US-Dollar pro Tag. Er schüttelt den Kopf: »Es ist ein Elend.« 

Eigentlich habe das in Bethlehem ansässige Ministerium gar keine Delegation zur ITB entsenden wollen, sagt Ishaq. »Aber am Ende haben wir uns spontan doch dafür entschieden.« Auch, weil sich letztlich noch Sponsoren fanden. Sechs Anbieter sind nun immerhin mit nach Berlin gekommen, 2023 waren es noch 15. Man wolle vor allem all den Partnern signalisieren, dass man bereit sei für eine Zeit nach dem Krieg, sagt Ishaq. »Viele Aussteller waren hier bei uns, gerade auch arabische. Sie haben uns gesagt, sie wollen gleich nach Kriegsende ins Heilige Land reisen. Um sich solidarisch mit uns zu zeigen.«

Wohin Ukrainer verreisen

In Halle 18 zeigen viele ihre Solidarität schon im Vorbeigehen – am Stand der Ukraine, die auch auf der ITB 2024 vertreten ist. »Slava Ukraijini!«, ruft ein Messebesucher den Frauen am Stand der Staatlichen Agentur für Tourismusentwicklung (SATD) im Vorbeigehen zu: Ehre der Ukraine! Mit »Slava Ukrainji!« antwortet eine der Standbetreuerinnen und winkt dem Passanten hinterher.

Abbau am Freitag: In Halle 9 hatte die Ukraine ihren Stand.
Abbau am Freitag: In Halle 9 hatte die Ukraine ihren Stand.

»Das hören wir hier öfter«, lächelt Mariana Oleskiv. Die Tourismus-Managerin stammt aus dem westukrainischen Lwiw, als Ende 2019 die Staatliche Agentur gegründet wurde, wurde sie zur ersten Leiterin. Sie ist dafür in die Hauptstadt Kyjiw gezogen. Doch seither ist sie Krisenmanagerin statt Projektentwicklerin: Ihre Ideen, wie man beispielsweise den deutschen Reisemarkt erobern könnte, konnte sie nie umsetzen. Erst kam Corona, dann die Streitkräfte Russlands. Seit Februar 2022 bestimmt der Angriff des Nachbarstaates ihre Arbeit. Es ist Krieg. Welche Rolle spielt da das Reisen? Eine wichtige, sagt Mariana Oleskiv und nippt an ihrem Kaffeebecher, im Gegenteil: »Die Menschen brauchen gerade in diesen Zeiten auch Erholung. Wir wollen uns das normale Leben nicht nehmen lassen.«

Gerade hat sie auf der Lighthouse Stage am anderen Ende des Messegeländes einen Vortrag über das Reiseverhalten der Ukrainer gehalten und dabei sarkastisch eingeleitet: »Hier ist viel von Nachhaltigkeit die Rede. Für uns ist es nachhaltig, am Leben zu bleiben.« Tatsächlich allerdings reisen die Ukrainer auch im Kriegszustand, vor allem in westliche und zentrale Regionen, die vom Krieg weitestgehend verschont blieben. Nach einem Einbruch im Jahr 2022 erreichten die Steuereinnahmen aus dem Tourismus 2023 beinahe wieder das Niveau des Vorkriegsjahres 2021. Allerdings sind die Verheerungen des Krieges gewaltig: Die Unesco beziffert die Schäden an Tourismus- und Kultureinrichtungen auf 3,5 Milliarden Euro.

Wie hoch ist eigentlich das Budget der Staatlichen Agentur für Tourismus? In Kriegszeiten? »Null«, sagt Mariana Oleskiv leise. »Nur die Gehälter der 36 Angestellten werden weiter bezahlt.« Umso dankbarer sei sie der ITB und einigen Sponsoren, dass ihre Agentur in Berlin dabei sei. Nicht in der Halle der postsowjetischen Länder, sondern neben Irland und Norwegen: »Europa, da gehören wir hin!«

Mariana Oleskiv, Chefin der Staatlichen Entwicklungsagentur für Tourismus
Mariana Oleskiv, Chefin der Staatlichen Entwicklungsagentur für Tourismus
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