Film »Maria Montessori«: Männerlos auf Mission

Der Film »Maria Montessori« erzählt das Leben der berühmten Reformpädagogin, blendet dabei aber so manch unangenehme Wahrheit über sie aus

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Maria Montessori (Jasmine Trinca) wird möglichst widerspenstig gezeigt, die Verfehlungen werden hübsch ausgeblendet.
Maria Montessori (Jasmine Trinca) wird möglichst widerspenstig gezeigt, die Verfehlungen werden hübsch ausgeblendet.

Nein, heiraten will sie nicht. Wenn eine Frau heiratet, dann verliert sie ihre Freiheit. Dieser Einsicht wird Maria Montessori (1870–1952) ihr Leben lang folgen.

Ihr Kind, das drei Jahre alt ist, wächst auf dem Land bei einer Pflegemutter auf, denn eine ledige Mutter ist im katholischen Italien um 1900 undenkbar. Der Vater des Kindes will sie heiraten, dann könnten sie auch den Sohn zu sich holen, aber das lehnt Montessori ab. Sie leidet zwar unter der Trennung von ihrem Sohn, aber bleibt hart. Denn sie will beruflich Erfolg haben, in der Welt der Männer eine Rolle spielen. Und das hat seinen Preis.

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Maria Montessori gehörte zu den ersten Frauen, die in Italien Medizin studierten. Erst nachdem sie zwei Jahre ein naturwissenschaftliches Fach belegt hatte, durfte sie damit beginnen. Ihre Mission ist die breit angelegte Reform von Psychiatrie und Schule. Hierin steht sie der Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende nahe, in der es nicht nur um natürliches Leben, den Einklang von Körper und Geist geht, sondern auch um das Eigenrecht von Kindheit. Weg mit den Drillschulen, in denen zuerst der Wille von Kindern gebrochen wurde, um Untertanen für den Staat zu produzieren! Ein Montessoris Vorstellungen ähnlicher Ansatz findet sich zu dieser Zeit auch in Ellen Keys epochalem Werk »Das Jahrhundert des Kindes« oder in Hermann Hesses »Unterm Rad«.

Der Spielfilm von Léa Todorov mit einer starken Jasmine Trinca als Maria Montessori beruht zwangsläufig auf einer Mischung aus dokumentarischer Erzählung und künstlerischer Fiktion. Der »weltberühmten Ikone« soll hier ein Denkmal gesetzt werden. Kritik ist nicht vorgesehen. So ist das mit den großen Reformatoren, auch den weiblichen, in der Geschichte. Es gibt Anhänger und Gegner gleichermaßen – aber selten Differenziertheit. Wer noch nie eine Debatte über konkurrierende Waldorf- und Montessori-Schulen erlebt hat, ahnt nicht, zu welcher Militanz auch (oder gerade) die »weiche« Pädagogik fähig ist.

Doch bleiben wir bei der Spielfilmhandlung. Die Pariser Halbweltdame Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) öffnet eines Tages die Tür. Ein Kind wird hereingeschoben, vielleicht fünf Jahre alt. Das gehöre ihr, so der Abgesandte der Familie, ab jetzt solle sie sich selbst darum kümmern. Das Mädchen ist geistig behindert, eine »Schwachsinnige«, eine »Idiotin«, die als Schande für die Familie gilt. Zuwendung hat die Kleine bislang nicht erfahren, wurde versteckt. Darum steht sie nun auch ausdruckslos wie ein Klotz da, vollkommen verwahrlost. Die erste Reaktion der Mutter ist: bloß weit weg mit der da, so eine »Idiotin« ist geschäftsschädigend. Sie bringt Tina, so heißt das Mädchen, nach Rom – und da trifft sie dann Maria Montessori. Diese hat mit ihren besonderen Lehrmethoden Erfolg, die auf menschlicher Zuwendung und einer Reihe von merkwürdigen mathematisch-theologischen Anschauungen beruhen. Sie vermag in bislang vernachlässigten oder behinderten Kindern ein ungeahntes geistiges Potenzial zu wecken.

Die Begegnung der beiden Frauen, man könnte auch von Kollision sprechen, trägt den Film über weite Strecken und ist durchaus sehenswert. Schließlich entsteht so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen. Da sind zwei, die nichts so fürchten wie den bürgerlichen Ehealltag, noch dazu innerhalb der katholischen Tradition. Man müsse reich sein, um unabhängig bleiben zu können, meint die Pariser Halbweltdame. Und sie rät Maria Montessori, sich energisch eine eigene Position zu erobern, von der kein Mann sie mehr vertreiben könne.

Maria Montessori, die ihren Sohn vermisst, bleibt nichts anderes übrig, als sich auf einen Handel einzulassen: Der leibliche Vater erkennt das Kind schließlich an, bevor er eine andere Frau heiratet. Damit ist der Schein gewahrt. Doch sie als Mutter darf keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Als Mario fünfzehn ist, darf er zu ihr, als ihr »Neffe« – erst als er vierzig Jahre alt wird, bekennt sich Maria Montessori dazu, seine Mutter zu sein. Das lange Zögern lässt sich ihr kaum vorwerfen, zwangen sie doch die Verhältnisse dazu.

Der Film vermittelt als szenisch gut gebautes und eindrucksvoll gefilmtes Biopic (Kamera: Sébastien Goepfert) das Bild einer willensstarken und von ihrer Mission beseelten Frau. Sie setzt einerseits auf Zuwendung und Liebe den Kindern gegenüber, aber will andererseits den Vater ihres Sohnes, den sie liebt, keinesfalls ehelichen. Ihre Begründung: »Kann man sein Schicksal einem so unsteten Gefühl wie der Liebe anvertrauen?« Die Widersprüche in ihrem Leben und ihrer Lehre sind zahlreich.

Und nicht alle von ihnen werden im Film erzählt: Inzwischen gibt es zahlreiche Untersuchungen darüber, dass Maria Montessori einer kruden Rassenlehre anhing und sich ab Mitte der 1920er Jahre vom Diktator Mussolini unterstützen ließ. Ist dies auszublenden legitim? Sicherlich nicht, und es trägt nicht zur Glaubwürdigkeit des Films bei.

Wahr ist aber auch, dass Ende der 1930er Jahre, sowohl im faschistischen Italien als auch im nationalsozialistischen Deutschland, die Montessori-Pädagogik verboten wurde. Zu stark war der Autonomie-Impuls, der von dieser ausging. Ebenso prägend ist der Friedensgedanke. Auch was dies betrifft, sind sich die Halbweltdame und die Pädagogin einig. Erstere bekommt Blumen von einem Offizier. »Ein General?«, fragt Maria Montessori. »Nein, ein Oberstleutnant«, bekommt sie zur Antwort. Zum General fehle ihm noch ein Krieg. So bissig wird hier der damalige Zeitgeist der Militarisierung pointiert.

Was macht man mit solch einem widersprüchlichen Erbe wie dem Maria Montessoris? Diese Frage stellt Regisseurin Léa Todorov leider nicht. Ihr Film ist ein großes Pro; das mindestens ebenso große Contra wird verschwiegen. Wahrhaftiger und der komplizierten Geschichte angemessener wäre es gewesen, beides zu zeigen: Verdienste und ein Versagen, das aus gefährlichen Irrtümern erwuchs. Aber nicht um Vorwürfe sollte es dabei gehen, sondern um Verstehen – und eine fortgesetzte Korrektur.

»Maria Montessori«, Frankreich/Italien 2023. Regie: Léa Todorov; Buch: Julie Dupeux-Harlé. Mit: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Raffaele Esposito, Rafaelle Sonneville-Caby. 100 Min. Jetzt im Kino.

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