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Mit Kurswechsel und Lotterie den Spendermangel beheben

Die Zahl der postmortalen Organspenden in Deutschland ist 2023 nach einem Rückgang im Vorjahr wieder um 11 Prozent gestiegen.

  • Agenturen/nd
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Organspender hat sich für seine Spende extra tätowieren lassen.
Der Organspender hat sich für seine Spende extra tätowieren lassen.

Im Jahr 2023 haben 965 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Dies sind 96 mehr als 2022 und entspricht 11,4 Spendern pro Million Einwohner. Im Vergleich zu 2022 (869 Organspender/10,3 Spender pro Million Einwohner) ist die Zahl der Spender damit um 11 Prozent gestiegen. Auch die Summe der in Deutschland postmortal entnommenen Organe, die über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant nach festgelegten medizinischen Kriterien verteilt und schließlich hierzulande oder im Ausland transplantiert werden konnten, ist gestiegen: Sie erhöhte sich um 8,1 Prozent auf 2877 Organe (2662 waren es 2022). Dazu zählten 1488 Nieren, 766 Lebern, 303 Herzen, 266 Lungen, 52 Bauchspeicheldrüsen und 2 Därme. Die Zahl der organspendebezogenen Kontakte stieg ebenfalls: Dies sind die Fälle, in denen sich die Kliniken an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gewendet haben, um über eine mögliche Organspende zu sprechen. Diese Kontakte stiegen von 3256 im Jahr 2022 auf 3412 im Jahr 2023.

In den 45 hiesigen Transplantationszentren wurden im vergangenen Jahr insgesamt 2985 Organe nach postmortaler Spende aus Deutschland und dem Eurotransplant-Verbund übertragen (2022: 2795). Damit wurde bundesweit insgesamt 2866 schwer kranken Patienten durch ein oder mehrere Organe eine bessere Lebensqualität oder sogar ein Weiterleben geschenkt (2022: 2695).

»Der Aufwärtstrend dürfte sich fortsetzen«, hofft Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Stiftung Organtransplantation. »Doch die Zahlen dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Deutschland immer noch ein eklatanter Mangel an Organspenden herrscht. Mit Blick auf die rund 8400 schwer kranken Patienten auf den Wartelisten dürfen wir uns nicht mit dem erreichten Niveau abfinden«, mahnt Rahmel.

Nach den Erfahrungen aus der Praxis scheitern zahlreiche Organspenden noch immer an der fehlenden Zustimmung. In lediglich 35 Prozent der Fälle ist im Jahr 2023 der mündliche oder schriftliche Wille des Verstorbenen entscheidend gewesen. Eine schriftliche Willensbekundung hat sogar nur bei 15 Prozent der möglichen Organspenden vorgelegen. In den anderen Fällen war es auf das Verhalten der Angehörigen angekommen.

Statt Zustimmungslösung künftig Widerspruchslösung

Angesichts des insgesamt niedrigen Niveaus der Spenderzahlen dringen die Bundesländer auf eine grundlegende Änderung der rechtlichen Regeln. So soll anstelle der geltenden erweiterten Zustimmungslösung eine Widerspruchslösung treten, heißt es in einer Entschließung des Bundesrates vom Dezember 2023. Damit wäre für die Organentnahme nicht mehr die Zustimmung des Betroffenen oder eines engen Angehörigen oder eines Bevollmächtigten erforderlich. Vielmehr soll grundsätzlich jeder Mensch als Organspender gelten, es sei denn, er hat dem zu Lebzeiten widersprochen – oder einer der nächsten Angehörigen macht dies nach seinem Tod. Nach dem Willen des Bundesrates wird die Bundesregierung aufgefordert, per Gesetz die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz aufzunehmen. Den Einwand, man würde mit der Widerspruchslösung automatisch zum Organspendenden werden, lassen die Verfechter der Widerspruchslösung insofern nicht gelten, weil jeder die Möglichkeit hat zu widersprechen – so viel individuelle Verantwortungsübernahme könne man erwarten.

Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) unterstützt die Widerspruchslösung. »Die erweiterte Zustimmungslösung habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Ein Systemwechsel hin zum Widerspruch ist daher dringend geboten«, so DGCH-Generalsekretär Prof. Thomas Schmitz-Rixen. Trotz der 2020 eingeleiteten Reform stagniert die Zahl der Organspenden auf niedrigem Niveau. Die Folge: Auf der Warteliste versterben täglich etwa drei Patienten. Da in europäischen Ländern mit Widerspruchslösung mehr gespendet wird, bezieht auch Deutschland aus diesen Staaten Spenderorgane zur Transplantation. In Spanien, wo die Widerspruchslösung gilt, beträgt die Wartezeit auf eine Spenderniere etwa ein Jahr, in Deutschland sind es acht Jahre.

Auch die Bundesärztekammer begrüßte den Beschluss des Bundesrates. »Die Widerspruchslösung kann helfen, die große Lücke zwischen der hohen grundsätzlichen Spendenbereitschaft und den tatsächlichen niedrigen Spendezahlen zu verringern«, erklärte deren Präsident Klaus Reinhardt. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert die schnelle Umsetzung der Widerspruchslösung, weil Schweigen keine Zustimmung bedeuten dürfe.

Kann eine Lotterie den Mangel an Spenden beheben?

Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaftler Hanno Beck von der Hochschule Pforzheim und Aloys Prinz von der Universität Münster könnte eine Lotterie mehr Menschen dazu bewegen, sich als Organspender registrieren zu lassen. Ihre Idee: Jeder Inhaber eines Organspendeausweises könnte automatisch an einer jährlichen Lotterie teilnehmen, bei der Preise von zehn, fünf und einer Million Euro verlost werden. Finanziert werden sollen die Preise vom Staat oder den Krankenkassen.

Der Vorschlag ist umstritten, weil die derzeitige Gesetzeslage eine solche Lotterie nicht zulässt. »Lotterien als Instrument der Wirtschaftspolitik sind in anderen Ländern durchaus üblich«, erklären die beiden Professoren. Dort nimmt jede Rechnung mit ihrer Registriernummer an einer Lotterie teil. Nach Auffassung der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) seien zwar grundsätzlich alle Vorschläge für bessere Organspendezahlen gut. »Allerdings gibt es in Deutschland noch immer kein Spenderregister. Somit ist es nicht möglich, eine Verlosung unter Inhabern von Organspendeausweisen zu veranstalten«, so der DTG-Vorstand. Das Bundesgesundheitsministerium verweist darauf, dass eine Lotterie dem Transplantationsgesetz widerspreche. Eine wie auch immer geartete Gegenleistung für eine Organspende steht im Konflikt mit dem gesetzlich verankerten und strafbewehrten Organhandelsverbot und widerspräche dem Prinzip der Freiwilligkeit. Die persönliche Entscheidung für eine Organspende sollte immer freiwillig, uneigennützig und ohne rechtlichen Zwang sein.

Auch aus Sicht des Gießener Rechtsprofessors Steffen Augsberg ist eine Kommerzialisierung der Organspende nicht die Lösung. Die Wertschätzung einer Organspende müsse immaterieller Art sein. Es drohe sonst die Gefahr, dass Menschen mit Geldsorgen aus diesem Grund ein Organ spenden. Man wolle aber nicht, dass jemand aus Finanznot seine Niere verkauft. Augsberg verweist auf andere Möglichkeiten wie Änderungen bei den Vorgaben für Organspenden. Derzeit werde die Organentnahme nach Herzstillstand diskutiert, die in anderen Ländern möglich sei. In Deutschland müssen Ärzte den Hirntod feststellen.

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