Neuanfang in Pakistan mit zweifelhafter Legitimität

Ausgebootete Wahlsieger in Pakistan wollen vor Gericht ziehen

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein politischer Neuanfang sieht anders aus: In Pakistan ist Asif Ali Zardari als Präsident für eine zweite Amtszeit vereidigt worden. Pakistans Oberster Richter Qazi Faez Isa leitete am Sonntag die Zeremonie im Präsidentenpalast der Hauptstadt Islamabad, wie Bilder im pakistanischen Fernsehen zeigten. Damit tritt der 68-Jährige eine fünfjährige Amtszeit in der südasiatischen Atommacht an. Zardari ist der Witwer der ermordeten Premierministerin Benazir Bhutto und Ko-Vorsitzender der mitregierenden Pakistanischen Volkspartei (PPP).

Zardari hatte sich bei der Abstimmung am Samstag gegen seinen Konkurrenten Mahmood Khan Achakzai von der Oppositionspartei Tehreek-e-Insaf (PTI) des inhaftierten Ex-Premierministers Imran Khan durchgesetzt. Zardari ist damit der erste Zivilist, der zum zweiten Mal das Präsidentenamt in dem Land mit mehr als 240 Millionen Einwohnern ausübt.

Und Pakistan kommt nicht zur Ruhe: Tausende Anhänger der Opposition demonstrierten gegen die Ergebnisse der umstrittenen Parlamentswahl vom 8. Februar. Vor allem in der nordwestlichen Grenzprovinz Khyber Pakhtunkhwa, einer Hochburg der PTI, kam es zu Protesten. In anderen Landesteilen wurden Demonstrationen teils verboten. Die PTI wirft dem mächtigen Militär Wahlfälschung vor und fordert die Freilassung inhaftierter Parteimitglieder.

Der einflussreichste Familienclan Pakistans sitzt wieder an den Schalthebeln der Macht: Einen Tag nach seiner Wahl im Parlament ist Shehbaz Sharif erneut als Premierminister vereidigt worden. Der 72-Jährige stand schon 2022/23 für 16 Monate an der Spitze einer Koalitionsregierung. Anfang der Vorwoche stieg zudem seine Nichte Maryam Sharif als erste Frau in der Landesgeschichte zur Chefministerin der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab auf.

Dass ihr Vater Nawaz Sharif, der Familienpatriarch und oberste Anführer der Pakistanischen Muslimliga-Nawaz (PML-N), nach drei früheren Episoden als Premier diesmal nicht selbst das wichtigste politische Amt übernahm, sondern seinem jüngeren Bruder am Steuer der Atommacht den Vortritt ließ, hat indes viele überrascht. Schließlich war der Veteran erst im Oktober triumphal nach mehrjährigem Exil aus London heimgekehrt und hatte es unter fragwürdigen Umständen geschafft, dass die Justiz zwei Haftstrafen, die er noch hätte absitzen müssen, aufhob und auch seine suspendierte Wählbarkeit wiederherstellte. Warum er sich nun statt persönlicher Führung lediglich mit dem Strippenziehen im Hintergrund begnügt, bleibt sein Geheimnis – eine Erklärung dafür hat Nawaz bisher nicht geliefert.

In einem Zweckbündnis haben sich erneut die beiden wichtigsten Parteien des »Establishments« zusammengetan: Die konservative PML-N koaliert mit der sozialliberalen Volkspartei (PPP) des Bhutto-Clans. Etwa im gleichen Maße, wie der Punjab das Fürstentum der Konservativen ist, hat die PPP im benachbarten Sindh mit Pakistans größter Metropole Karatschi ihre wichtigste Bastion. Bilawal Bhutto-Zardari, der im ersten von Shehbaz Sharif geführten Bündnis Außenminister war, hatte noch im Wahlkampf die PML-N zum neuen Hauptgegner erklärt und sich nach dem Urnengang zunächst reserviert gegenüber einer neuen Kooperation gezeigt.

Mit den Sharifs eingefädelt hat diese in erster Linie sein Vater Asif Ali Zardari, mit dem er gemeinsam der PPP vorsteht. Zardari, der wegen Korruptionsvorwürfen aus früherer Zeit im Volk den Spitznamen »Mister zehn Prozent« trägt, wurde gemäß der Aufteilung der Spitzenposten am 9. März zum neuen Staatschef gewählt. Ob die Volkspartei mit Ministern formell ins Kabinettsteam eintritt, ist jedoch noch unklar. Zardari war bereits von 2008 bis 2013 Präsident und der erste, der die fünfjährige Amtszeit vollendete. Im Juni 2019 wurde er wegen Vorwürfen der Geldwäsche und Korruption verhaftet, einige Wochen später aber aus dem Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt und im Dezember jenes Jahres mit Rücksicht auf seine gesundheitliche Verfassung gegen Kaution ganz freigelassen.

Damit werden die beiden Wahlverlierer voraussichtlich die kommenden Jahre Pakistan regieren. Ausgebootet wurden (bis auf den Chefposten in der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa) die Wahlgewinner – die meisten Stimmen hatten schließlich die Kandidaten aus der Partei des schon 2018 siegreichen, 2022 aber gestürzten Premiers Imran Khan erhalten. Seine Getreuen durften laut einem Urteil des höchsten Gerichts aber nicht unter dem Logo der Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) antreten, sondern mussten als Unabhängige kandidieren. Trotzdem wurden sie zur stärksten Kraft.

Die Parteiführung zweifelt dennoch das offizielle Ergebnis an und will jetzt vor dem Supreme Court klagen. 180 statt nur 100 Sitze würden ihr eigentlich zustehen, behauptet die PTI auf Basis eigener Berechnungen. In der Tat hatte der ranghöchste Beamte in der Garnisonsstadt Rawalpindi öffentlich die Beteiligung an Wahlfälschungen eingeräumt.

Den Anlass für eine weitere Klage vor dem Obersten Gerichtshof lieferte nun abermals die Wahlkommission. Sie entschied am Montag, der Kleinpartei SIC, der die PTI-Unabhängigen als Vehikel beigetreten sind, um so einen Fraktionsstatus zu haben, nicht die ihr zustehenden Extra-Mandate für Frauen und religiöse Minderheiten zu geben, weil mehrere Vorschriften verletzt worden seien.

Die internationale Gemeinschaft scheint dennoch bereit, zur Tagesordnung überzugehen und ungeachtet aller Legitimitätszweifel mit dem neuen Premier zusammenzuarbeiten. Der türkische Präsident Recep Tayib Erdoğan war als traditionell wichtiger Verbündeter der erste, der dem jüngeren Sharif offiziell gratulierte. Es folgten Glückwünsche nicht nur vom saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman, sondern auch von westlichen Staaten wie USA und Großbritannien. Die Sharifs sind auf diese Anerkennung angewiesen, auch weil das wirtschaftlich angeschlagene Pakistan dringend weitere Finanzhilfen braucht.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.