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IG Metall Berlin: »Alles ist nichts ohne betriebliche Stärke«
Jan Otto, Chef der IG Metall Berlin, über die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt und die Rolle der IG Metall in den politischen Gegenwartsfragen
Herr Otto, was treibt Sie momentan um, was brennt Ihnen unter den Nägeln?
Aktuell haben wir einen Riesenkonflikt um die Mercedes-Benz-Niederlassungen, Mercedes-Benz will bundesweit 83 konzerneigene Autohäuser abstoßen. In unserer Berliner Niederlassung sollen damit 1200 tarifvertraglich vergütete Arbeitsplätze im Kfz-Handwerk verkauft werden. Für die Leute ist es offensichtlich ein Schock.
Und natürlich liegt die durch den Klimawandel notwendige Transformation vor uns. Wir treffen hier oft auf den Unwillen der Unternehmen, sich selbst vernünftig aufzustellen. Nehmen wir zum Beispiel die Energiewirtschaft: Wir haben einen riesigen Siemens-Cluster. Eigentlich müsste die Beschäftigtenzahl verdoppelt werden, weil diese Betriebe Lösungen für den Klimawandel bereithalten und entwickeln. Aber auch bei Siemens erleben wir immer wieder, dass nichts passiert, wenn wir nicht mit viel Nachdruck dafür eintreten, dass da Produkte für die Zukunft entwickelt werden.
Das Organisationsgebiet Ihrer Geschäftsstelle erstreckt sich über das ganze Stadtgebiet. Was macht Berlin als Industriestadt aus?
Berlin ist eine Weltstadt. Hier leben viele Nationen, die miteinander arbeiten. Das einzige, was wir aus industrieller Sicht hier nicht haben, ist ein Stahlwerk, alle anderen Transformationsthemen passieren hier. Das ist in Sachsen anders, dort war ich vorher Bevollmächtigter in einer Geschäftsstelle. Da haben sie viel mit Stellenabbau zu tun und damit, die Dinge erst mal zu erhalten. Das wirkt sich auf die Belegschaften aus. In Berlin sind die Anforderungen an die Gewerkschaften komplexer: Stichwort »New Work«: Man redet da immer so nett drüber. Aber gehen Sie mal in einen Betrieb wie MBition (Mercedes). Sie haben agile Formen des Arbeitens, die alle fancy sind, aber die im Grunde dazu führen, dass die Leute weniger im physischen Betrieb verankert sind. Gearbeitet wird irgendwo, Meetings finden auf virtuellen Plattformen statt und das entwickelte und gefertigte Produkt ist letztlich auch digital. Dort gibt es kaum noch kollektive Momente der Zusammengehörigkeit, wie wir sie aus Betrieben traditionsreicher Branchen kennen. Hier geht es darum, die neuen Formen der Arbeit mit den Belegschaften und in ihrem Sinn auszugestalten.
Jan Otto, seit 2020 Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin, geboren und aufgewachsen in Ostberlin, gelernter Lokführer, erst Deutsche Bahn und dann beim privaten Veolia, dort im Betriebsrat und den ersten Tarifvertrag erstreikt. Kennt nach eigenen Aussagen beide betriebliche Welten, »die harte Welt, wo noch nichts geregelt ist und die satte Welt, wo alles geregelt ist«.
Diese neuen Formen der Arbeit sind für Gewerkschaften ja erst mal eher eklig: Die Belegschaften sind weniger konstant, Menschen wechseln häufig ihre Arbeitsverhältnisse. Wie setzen Sie an, um diesen veränderten Grundbedingungen entgegenzuwirken?
Zunächst einmal, ob sie Ingenieur oder Programmierer sind: Am Ende haben sie die gleichen Probleme, wie wenn sie an der Werkbank stehen. Sie können den gleichen Job machen und 3000 Euro weniger verdienen als jemand in einem anderen Unternehmen oder sogar in ihrem eigenen Betrieb. Da müssen wir nicht künstlich reingehen, sondern die Leute kommen zu uns. Zu der von Ihnen angesprochenen Völkerwanderung: Die Leute wechseln den Job einmal, auch zweimal und dann ist gut. Die wollen sinnstiftend arbeiten und vernünftiges Geld verdienen. Was es schwieriger macht, ist eine technische Frage. Im Zuge von »New Work« brauchen wir als IG Metall neue Methoden, um die Leute anzusprechen. Da bin ich aber entspannt. Ich war ein sogenannter Organizer. Bis heute gilt für mich der Tenor: »Alles ist nichts ohne betriebliche Stärke.« Wenn wir die Betriebe nicht organisieren, ob digital oder nicht, können wir sie nicht verändern. Wobei ich auch in keinen Betrieb, in keinen Call reingehe und sage »Bitte, bitte, die IG Metall braucht Mitglieder«, sondern ich erkläre, was wir tun können und wie wir das machen, was die Idee dahinter ist. Wollt ihr diesen Tarifvertrag? Dann organisiert euch mehrheitlich.
Überlassen Sie die Beschäftigten dann ihrem Schicksal, nach dem Motto, kommt wieder, wenn ihr die Mehrheit selbst organisiert habt?
Nein. Es gibt viel Unterstützung. Wir schauen, wo sind die Peergroups, welche Leute können wir ansprechen. Wenn ich die Mehrheit im Betrieb habe, bin ich in der Lage, eine Bewegung im Betrieb zu initialisieren, die am Ende stärker ist als die Einzelnen. Das nicht durchzuhalten, führt immer zum gleichen Ergebnis: Im Worst Case sind es die Initiatoren, die auf der Straße sitzen. Und ich mag es nicht, wenn Leute, die mit einem berechtigten Anliegen kommen, verlieren. Dann bin ich lieber vorher hart und sage: »Okay, wenn ihr es nicht schafft, mit uns zusammen die Leute davon zu überzeugen, dann können wir es nicht tun.« Außerdem haben wir viel zu viele Betriebsräte ohne Gewerkschaft. Und wir erleben jeden Tag, wie die scheitern. Als Betriebsrat hat man keine Chance, weit über den Betrieb hinaus die eigentlichen Themen Entgeltgerechtigkeit, mehr Geld, mehr Verfügbarkeit von Zeit zu regeln – und das sind Themen, die die Leute immer interessieren.
Im Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen gab es einen neuen Höchststand an Gewerkschaftsbeitritten, dennoch konnte die totale Zahl an Mitgliedern mit 145 000 gerade mal gehalten werden und es sieht auch nicht so aus, als würde sich die Tarifbindung stabilisieren. Was kann die IG Metall in Berlin tun, damit sich dieser Trend umkehrt?
Die Zahl, die Sie genannt haben, ist die Gesamtzahl im Bezirk, da sind auch Rentnerinnen und Rentner und Erwerbslose dabei. Entscheidend sind aber die sogenannten betrieblichen Mitglieder, die entfalten am Ende die Kampfkraft. Wir laufen in Berlin auf 24 000 betriebliche Mitglieder zu. Das letzte Mal hatte Berlin vor mehr als 22 Jahren diese Zahl. Mir ist diese Diskussion auch langsam zu blöd: »Die Gewerkschaften schrumpfen.« Die Gewerkschaften schrumpfen in ihrer betrieblichen Intensität überhaupt nicht. Die Zahlen werden von der Presse gerne genutzt, um von einer strukturellen Schwächung zu sprechen. Die haben wir nicht. Was wir wirklich haben: eine Gesetzgebung, die nicht auf Union Busting eingeht. Wir haben keinen wirklichen Schutz bei Betriebsratsgründung, wir haben keine Förderung der Tarifbindung.
Ist es denn nicht aber so, dass diese gesetzlichen Regelungen die Gewerkschaften schwächen, da sie sie ihrer Kernkompetenz berauben? Warum soll ich mich noch in einer Gewerkschaft organisieren, wenn der Arbeitgeber per Gesetz zu besseren Arbeitsbedingungen verpflichtet wird?
Ich hätte vor vier, fünf Jahren genau das Gleiche gesagt. Mittlerweile glaube ich aber, dass wir ein paar Linien einziehen müssen. Wir reden hier über Grundlagen. Damit ist es vielleicht leichter, einen Tarifvertrag auszuhandeln, aber die Frage, wie gut der wird, beantworten wir darüber, wie viele Mitglieder wir haben. Hierbei haben Gewerkschaften immer noch genug Spielraum. Schauen Sie die ganzen Spezialregelungen an. Die Verfügbarkeit von Zeit ist so wichtig wie noch nie zuvor. Das müssen sie regeln, ob sie im Schichtbetrieb sind oder im Betrieb mit Remote-Arbeit.
Noch vor Jahren wurde innerhalb der IG Metall über Konversion geredet – also der Umrüstung von Rüstungsproduktion hin zu zivilen Gütern. Heute soll die deutsche Rüstungsindustrie ertüchtigt werden. Ist die IG Metall eine Gewerkschaft, die für Frieden steht, wenn Frieden herrscht und für Aufrüstung trommelt, wenn Krieg herrscht?
Die Linie ist im Zweifel immer Frieden. Der Slogan der IG Metall Berlin ist ja »Die Waffen nieder«. Wir haben ein entsprechendes Banner, das wir auf den Friedensdemos tragen. Aber die Welt ist eben nicht so, wie wir sie gerne hätten. Die Welt ist nicht kriegsbefreit, sondern wir haben weltweit zahlreiche Konflikte. Im Fall der Fälle möchte ich schon, dass wir uns verteidigen können. Und dann produzieren wir den Kram schon lieber hier, wenn er denn produziert werden muss. Diese Diskussion muss man ehrlich führen und nicht verkürzt. Das passiert gegenwärtig nicht. Und die Leute sind ja nicht blöd, sie spüren das auch.
Die Otto-Brenner-Stiftung hat letztes Jahr festgestellt, dass dort, wo es gewerkschaftliche Organisierung gibt, wo es betriebliche Mitbestimmung gibt, Tendenzen der Belegschaft, sich der AfD zuzuwenden, geringer sind. Gleichzeitig ist der AfD-Wähleranteil unter Gewerkschaftsmitgliedern größer als in der Gesamtbevölkerung. Wie geht das zusammen?
Die Leute haben Angst vor gewissen Formen der Transformation. Sie haben erlebt, dass sie als Beschäftigte den Kapitalinteressen relativ schnell zum Opfer fallen. Es ärgert mich, dass wie jetzt gerade wieder beim GDL-Streik, sehr schnell gefragt wird »Muss der Streik eingeschränkt werden? Ist das zu viel Wut?« Ich denke mir: Das bisschen Streik ist ein Problem? Also in der gewerkschaftlichen Kernfrage sind wir scheißegal, sollen aber andere gesellschaftliche Problemlagen bearbeiten. Wir tun, was wir tun können, indem wir Betriebsräte wählen und damit Demokratie im Betrieb ausbauen. Und wir bekennen uns zur Transformation. Aber man muss sich mal ehrlich machen, was man am Ende auch wirklich leisten kann vor Ort. Wir konzentrieren uns auf unseren Job: Das ist die Organisierung der Betriebe und damit die konkrete Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Mein Ziel für die IG Metall Berlin: In den nächsten zwei Jahren haben wir mindestens 25 000 betriebliche Mitglieder und wir bauen die Tarifbindung aus.
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