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Vorpommern-Rügen bringt Geflüchtete in abgelegenem Wald unter

Der Landkreis spricht von einer Notlösung für zwei Jahre, da alle anderen Unterkünfte ausgelastet seien. Scharfe Kritik übt der Flüchtlingsrat

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Nähe von Stralsund richtet der Landkreis Vorpommern-Rügen eine Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in einem abgelegenen Wald in Wendorf ein. Genutzt werden soll dafür ein bisher leer stehendes Gebäude, in dem früher Menschen mit Behinderungen untergebracht waren. Zum nächsten Ort Negast führt lediglich ein drei Kilometer langer unbeleuchteter Feldweg, Busse und Bahnen fahren überhaupt keine.

Gegenüber »nd« begründet Landkreis-Sprecherin Mandy Klemm die Unterbringung trotz der miserablen Infrastruktur mit der »aktuellen Notlage«. Das Land Mecklenburg-Vorpommern habe dem Kreis 20 bis 30 Geflüchtete pro Woche angekündigt. Seit Jahresbeginn wurden bereits 157 Asylbewerber*innen und 71 ukrainische Flüchtlinge zugewiesen. Die bestehenden Unterkünfte in Vorpommern-Rügen seien schon zu 94 Prozent ausgelastet. Die langfristige Anmietung anderer Objekte brauche mehr Vorbereitungszeit.

»Die Gemeinschaftsunterkunft in Wendorf ist eine Übergangslösung für diese Zeit, um eine Belegung von Sporthallen oder Unterkünfte in Modulbauweise zu verhindern«, so Klemm. Mit Übergangszeit sind zwei Jahre gemeint. Die ersten Geflüchteten zogen am Donnerstag ein, bis Anfang 2026 soll die Unterkunft genutzt werden.

Scharfe Kritik daran übt der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern. Dessen Vorsitzende Ulrike Seemann-Katz verweist auf die Gemeinschaftsunterkunftsverordnung des Landes, laut der solche Unterkünfte eigentlich nur »in oder im Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil eingerichtet« werden dürfen, um Integration zu ermöglichen – allerdings sieht die Verordnung Ausnahmen für Notfälle vor.

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»Notlösungen können wir verstehen, damit Menschen nicht auf der Straße landen«, sagt Seemann-Katz zu »nd«. Hier scheine es sich aber um eine Dauerlösung zu handeln, denn zwei Jahre gingen weit über einen Notfall hinaus. Und ihrer Erfahrung nach bleibe eine vermeintlich vorübergehende Einrichtung oft für immer.

Innenminister Christian Pegel (SPD) sagte gegenüber dem »NDR«, dass Gemeinschaftsunterkünfte ja ohnehin »nicht der Ort der Integration« seien. Geflüchtete würden dort nur für die Zeit ihres Asylverfahrens leben und könnten sich anschließend, wenn die Bleibeperspektive klar sei, in einer anderen Umgebung integrieren. Asylverfahren können allerdings zwei bis drei Jahre dauern »und zwar gerade bei Menschen aus nicht-sicheren Herkunftsstaaten, die eine positive Bleibeperspektive haben«, erklärt Seemann-Katz. »So lange sollen sie im Wald leben?« Das behindere nicht nur die Integration, sondern erschwere es auch, Rechtsanwält*innen oder Ärzt*innen zu erreichen.

Ohnehin muss Integration ihrer Ansicht nach von Anfang an passieren. Der Landkreis brauche einfach mehr Unterkünfte, in denen das möglich sei und sollte daher mehr bauen oder anmieten, fordert sie. Konflikte, Kriege und Fluchtbewegungen würden zurzeit nicht weniger, auch deshalb seien langfristige Lösungen gefragt.

Die Kreisverwaltung prüfe alle Möglichkeiten für die Unterbringung von Geflüchteten und plane zusätzlich zu Wendorf aktuell noch zwei weitere neue Gemeinschaftsunterkünfte, erklärt Klemm. »Es ist ein täglicher Kraftakt für alle Beteiligten.« Insgesamt gebe es in Vorpommern-Rügen derzeit zwölf Gemeinschaftsunterkünfte mit 1838 Plätzen und zwei Flüchtlingsunterkünfte für ukranische Flüchtlinge mit 88 Plätzen. Zusätzlich habe man für die 1927 Asylbewerber*innen und die 2932 ukrainischen Flüchtlinge, die aktuell im Landkreis lebten, noch 513 Wohnungen angemeldet.

Seemann-Katz fällt jedoch auch eine einfache Sofortlösung ein, bei der Asylbewerber*innen trotz überfüllter Gemeinschaftsunterkünfte in einer Ortsstruktur leben könnten: Man sollte ihnen den Auszug in eigene Wohngemeinschaften und private Unterkünfte ermöglichen.

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