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Werner Tübke: Ein Potentat im eigenen Traumreich
Welttheater zwischen Licht und Dunkel: Das Museum der bildenden Künste Leipzig fragt nach der Verbindung von »Tübke und Italien«
Werner Tübke, geboren 1929 in Schönebeck an der Elbe, reist 1971 nach Italien. Er kommt als Delegierter der DDR-Kunst in ein Land, für das man Devisen benötigt, sonst wachsen für den Ostdeutschen die Trauben in Arkadien allzu hoch. Der Süden gehört nun mal zum Westen. Aber Tübke kommt ohnehin nicht als Urlauber, sondern als Dienstreisender, wenn auch in eigener Sache. Der für seine handwerkliche Akribie und Produktivität berühmt-berüchtigte Tübke findet hier jene Sujets, die er zwischen Leipzig und Magdeburg vergeblich sucht.
Italien ist in der deutschen Kunst seit dem 18. Jahrhundert ein umstrittenes Thema. Die einen reisten, weil sie hier die Spuren der Renaissance (der wiedergeborenen Antike) mit eigenen Augen sehen wollten, das waren die Klassiker – die anderen aber, die Romantiker des 19. Jahrhunderts, erfuhren den Süden mit allen Sinnen als Gegenentwurf zum kalten und dunklen Deutschland. Hier konnte man zur Not auch bloß faul in der Sonne (oder, wo diese dem Betrachter zu stark auf den Kopf schien, im Schatten) liegen und sich seinen Träumen hingeben. Das ist das fantastische Italienbild, wie es Eichendorff mit seiner Erzählung »Aus dem Leben eines Taugenichts« kultivierte. Im Süden wächst das meiste auch von allein, man muss nicht immer nur arbeiten, hat hier die Muße, sich satt zu schauen! Das alles gehört zum komplexen Sehnsuchtsbild von Italien, das unter uns umhergeistert.
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Vor allem kommt Tübke 1971 nach Mailand, weil hier seine erste Ausstellung in Italien stattfindet. Die veranstaltet Emilio Bertonati (den er 1975 zum Dank porträtiert) in seiner Galleria del Levante. Die Ausstellung wandert dann weiter über Florenz bis nach Rom und macht Tübke auf einen Schlag berühmt. Was für eine Auszeichnung für den Maler, der noch 1968 von der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig entlassen werden sollte! Der Verdacht des Formalismus, der Abweichung also vom sozialistischen Realismus Schdanowscher Prägung, der die gesamte Ära Ulbricht bestimmte, schwebt immer noch über ihm – und wenn er ehrlich ist, nicht zu Unrecht. Denn Kunst ist für ihn keinesfalls Nachvollzug einer äußeren Realität, sondern Setzung einer eigenen inneren Welt. Der Maler agiert dabei nach seinen dramaturgischen Maßgaben wie in einem Theater der Bilder. Künstlicher kann Kunst kaum sein. Das Theatrum mundi, jenes Welttheater, das er im Bad Frankenhausener Bauernkriegspanorama in den 80er Jahren effektvoll in Szene setzen würde, beschäftigt ihn schon hier.
Sein Gemäldezyklus »Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze« (1965–1967) bedient sich der Collage-Elemente, sprengt den vorgegebenen Raum-Zeit-Rahmen auf bislang ungekannte Weise auf. Bei dieser ersten Ausstellung in Italien besteht Tübke darauf, dass auch seine hochmoderne Geschichtserzählung über die Mitschuld der Intelligenz an den Verbrechen des Faschismus, die er in »Dr. jur. Schulze« thematisiert, mit ausgestellt wird – und das Publikum ist beeindruckt. Denn dies trifft auch den Nerv Italiens im Umgang mit seiner eigenen Geschichte.
Da kommt also kein bloßer Italienschwärmer, sondern ein klarer analytischer Kopf, auf dessen Bildern die Geschichte ihre dämonische Seite offenbart. Und hier treibt er die Synthese von Welttheater und Selbstinszenierung weiter voran. Was mit dem Etikett Manierismus, das man ihm bis heute gern aufklebt, nur unzureichend beschrieben ist, eröffnet eine neue – doppelte – Perspektive auf Italien und sich selbst als deutscher Maler inmitten dieser umkämpften imaginären Geschichtslandschaft.
Davon kann man sich nun in der eindrucksvollen Ausstellung »Tübke und Italien« (kuratiert von Frank Zöllner und Stefan Weppelmann) überzeugen, die das Museum der bildenden Künste in Leipzig zeigt. Zwei Tendenzen werden dabei sichtbar. Die erste: Von den etwa 400 Gemälden Tübkes haben etwa 60 ein italienisches Sujet. Die zweite: Man zählt 288 Selbstbildnisse Tübkes, teils historisierend verfremdet. Letzteres scheint rekordverdächtig. Ist er ein Narziss? Offensichtlich versteht er es als einen Selbstbeweis als Künstler: Ich stelle mein Bild gegen das aller anderen. Entsprechend selbstbewusst, oft geradezu eitel – wie im »Selbstbildnis mit roter Kappe« von 1988, schaut er auf den Betrachter von der Leinwand herab. Sogar mit Goldkrone und rotem Königsmantel in »Familienbild mit sizilianischen Marionettenrüstungen« von 1977. Doch diese Art keinesfalls ironisch gemeinter Hybris scheint ihm eine Form der Emanzipation gewesen zu sein: Da will einer kein diensteifriger Maler bei Hofe sein, sondern ein Potentat in seinem eigenen Traumreich.
Die Ausstellungsmacher ergänzen sinnvollerweise Tübkes Bilder immer wieder mit korrespondierenden Werken anderer Künstler, die ihn inspirierten, so dem »Martyrium der Zehntausend« von Jacopo Pontormo und Agnolo Bronzino von 1529, das in seiner Komposition von Menschenmassen für Tübke zum Vorbild wurde, oder – aus der DDR-Malerei – Wilhelm Lachnits »Italienische Landschaft« von 1957, das mit der traditionellen Bilderperspektive radikal bricht.
Sein Selbstbewusstsein holt sich Tübke in Italien. Es folgt darin den Renaissancemalern, streift durch Zeiten und Gegenden, als wäre die Geschichte ein einziger großer Karneval. Für den Übertritt in die Regionen des Grotesken wird dann ein Gemälde besonders wichtig: »Der Tod in Venedig« von 1973. Kanäle und Gondeln der Lagunenstadt werden zur Kulisse für einen Höllentrip: Zwei blaue Pferde ziehen die Gondel eines bereits skelettierten Kardinals, dem riesige Fledermausflügel aus den Schulten wachsen.
Mit ungebremstem Eigensinn malt Tübke nun ein Sinnbild nach dem anderen. Das Zugleich von Leben und Tod fasziniert ihn, inspiriert nicht zuletzt von den wie Attraktionen ausgestellten Mumien, die er auf Sizilien sieht. So versteht er auch seine Kunst als ein Oszillieren zwischen den Welten, als ein barockes Memento mori. Typisch für Tübke ist, dass er diese Horizonterweiterung, die er in Italien erfährt, mit in die DDR bringt. So malt er 1975 das Triptychon »Der Mensch – Maß aller Dinge«, eine Auftragsarbeit für den Palast der Republik. Altmeisterlich die malerischen Mittel handhabend, agiert er dabei doch mit unerhörter Frechheit gegen die simple Ideologie von einer lichten sozialistischen Zukunft. So sehen wir hier einen oberen und einen unteren Teil der Bildtafeln. Die heitere Oberwelt der Lebenden ruht auf der dunklen Unterwelt der Toten!
Ein zentrales Werk Tübkes ist sein berühmtes »Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten« von 1972. Ein Blick wie durch ein Guckloch auf eine Bühne, die eine elegant gekleidete Figur zeigt, die lässig an der Brüstung einer Terrasse lehnt. Ein Dandy mit Oberschichtenallüren. Hinter ihm gibt der Bildausschnitt die klassische italienische Landschaft frei, rechts und links daneben bewachen bizarre Puppen, die an Fäden vor rotem Grund herabhängen, das hochartifizielle Arrangement. Auf dieser Spätzeit lastet Schwüle – und man wartet auf das Gewitter, in dem sich diese entlädt. Dieses großformatige Werk entfaltet im Original eine Magie, die keine Reproduktion auch nur annähernd vermittelt.
Bereits hier also arbeitet der Maler seinem großen Spätwerk vor, das er in jahrelanger Arbeit in Bad Frankenhausen schaffen wird. Wie bei Hieronymus Bosch wird darin der Mensch in der Geschichte von Visionen geplagt, in denen Tod und Teufel ihr Unwesen treiben. Doch fortgesetzt ringt er dabei um einen Ausdruck, der ihn als Akteur des Welttheaters ausweist.
»Tübke und Italien«, Museum der bildenden Künste Leipzig, bis 16. Juni
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