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Abstimmung über Selbstbestimmungsgesetz: Von Misstrauen geprägt
Bodo Niendel kritisiert, dass auf dem Rücken einer kleinen Gruppe ein rechter Kulturkampf ausgetragen wird
»Die Forderungen nach wahrer Befreiung von trans Personen überschneiden sich mit denen von Arbeiter*innen, Linken, Feminist*innen, Antirassist*innen und queeren Menschen im Allgemeinen. Daher versetzt die Existenz von trans Menschen diejenigen in Panik, die entweder den Status quo aufrechterhalten wollen oder Angst haben, was anstelle des Status quo treten könnte.« Dieses Zitat stammt von der sozialistischen trans Aktivist*in Shon Faye.
Am Freitag soll das Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag zur Abstimmung gestellt werden. Es steht nicht für »Befreiung«, ermöglicht aber immerhin mehr Rechte. Trotzdem könnte es scheitern. Denn die Reihen der Regierungskoalition stehen nicht. Die FDP wackelt. Die Nazis, die Konservativen und das Bündnis Sahra Wagenknecht werden mit Nein stimmen. Wagenknecht begründet dies damit, dass schon Kindern zu operativen Eingriffen gedrängt würden und Frauenräume nicht mehr sicher seien. Eine Argumentation, die nahezu alle Frauen- und Kinderrechtsorganisationen nicht teilen. Im Gegenteil: Sie unterstützen ein solches Gesetz.
Bodo Niendel ist ehemaliger Queer-Referent der Linksfraktion im Bundestag.
Deutschland folgte damit mehr als einem Dutzend Staaten. Mit überwiegend guten Erfahrungen. Doch Autoritäre, Rechtsextreme und wenige Frauenrechtlerinnen – wie beispielsweise Alice Schwarzer – laufen dagegen international Sturm. Auf dem Rücken einer kleinen Gruppe wird ein rechter Kulturkampf ausgetragen.
Es geht um transgeschlechtliche Menschen. Diese möchten ihr Erscheinungsbild ihrem Geschlechtsempfinden anpassen. Manche nutzen dazu Kleidungsstücke, manche verändern operativ ihren Körper, und manche lassen den Namen ändern. Hier liegt das Problem. Um den Namen und Personenstand zu ändern, muss man viele Vorgaben eines 40 Jahre alten Transsexuellengesetzes erfüllen. Dazu gehört eine selbst zu zahlende und langwierige medizinische Begutachtung. Diese wird von vielen Betroffenen als entwürdigend empfunden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz in vielen Bereichen für ungültig erklärt.
Daneben gibt es auch Menschen, die nicht mit eindeutigen Genitalien zur Welt kommen. Die Natur ist da vielfältig. Früher nannte man sie Zwitter. Ärzte versuchten sie – auch gegen ihren Willen – eindeutig zu machen. Zudem ging die Umwelt nicht gut mit ihnen um. Viele nahmen sich das Leben. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2017, dass man intergeschlechtliche Menschen rechtlich anerkennen muss. Das tat der Gesetzgeber ein Jahr später und schuf wieder kein gutes Gesetz. Immerhin wurde die Kategorie »divers« im Personenstandsrecht geschaffen.
Das Selbstbestimmungsgesetz will vereinheitlichen. Alle Menschen dürfen nun ihren Vornamen oder ihren Personenstand beim Standesamt ändern. Nur darum geht es in diesem Gesetz. Doch das umfangreiche Gesetz, welches vom FDP-geführten Bundesjustizministerium erarbeitet wurde, gab dem Rechtsruck nach. Es ist von einem Geist des Misstrauens geprägt und enthält viele Einschränkungen, so für Nichtdeutsche, Jugendliche und betreute Personen. So ist vorgesehen, dass alle Sicherheitsorgane bei einem Namenswechsel informiert werden. Generell verdächtig?
Das Gesetz geht nicht von einer Mündigkeit der Betroffenen aus und sieht keine Maßnahmen gegen Diskriminierungen und gegen die Armut vieler Betroffener vor. Denn Diskriminierungen im Gesundheitswesen, bei der Wohnungssuche und im Job prägen deren Alltag. Der Rechtsruck führte auch zu mehr Gewalttaten gegen sie.
Dieses Gesetz steht also nicht für Befreiung. Aber immerhin könnte es für einen Schritt in Richtung Gleichberechtigung stehen, wenn sich zukünftig das Bundesverfassungsgericht der Einschränkungen annimmt.
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