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AKW-Gipfel mit Strahlkraft
Die Atomlobby in der EU geht in die politische Offensive
Dieser Gipfel hat Strahlkraft: Belgiens Premier Alexander De Croo als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) laden für diesen Donnerstag und Freitag zu einem Treffen nach Brüssel. Anliegen des Gipfels ist es, die Rolle der Kernenergie als Beitrag zum Klimaschutz zu promoten. »Die Staats- und Regierungschefs werden Gelegenheit haben, ihre Visionen vorzustellen, wie die Kernenergie helfen kann, sowohl ihre Netto-Null-Ziele als auch ihre Ziele für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen«, so IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi.
Der Italiener ist derzeit öfter in den Schlagzeilen, weil er immer wieder vor einer atomaren Katastrophe in Europa warnt. Das von russischen Truppen besetzte ukrainische AKW Saporischschja stand schon mehrmals unter Beschuss. Kühlung und Stromzufuhr funktionieren nur noch provisorisch. Das hat Grossis Begeisterung für die Technologie aber offenbar nichts anhaben können. Seine IAEA erwartet bzw. hofft, dass sich die Kernkraftkapazität weltweit bis 2050 auf 890 Gigawatt mehr als verdoppeln wird. Damit korrigierte die Behörde ihren eigenen Prognosen deutlich nach oben. Wobei die IAEA kein neutraler Akteur ist. Die Behörde soll laut Satzung »den Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit« beschleunigen und vergrößern. Sie ist hier also Lobbyist in eigener Sache.
Das Timing der IAEA ist perfekt, denn in dieser Woche beraten auch die 27 EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Brüssel über Atomkraft. Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Länder wie Frankreich und Polen drängen darauf, dass die Kernkraft als vermeintlich grüne, weil CO₂-arme Technologie hier eine große Rolle spielen soll. Auf der anderen Seite stehen EU-Staaten, die sich vehement gegen Atomkraft stellen, darunter Österreich, Dänemark und Deutschland. Insofern kann der IAEA-Gipfel als Argumentationshilfe verstanden werden.
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Seit vielen Jahren ist von einer Renaissance der Kernkraft die Rede, zumindest in Schwellenländern. So hat China in den letzten Jahrzehnten seine atomaren Kapazitäten vervielfacht. Aktuell plant Peking 42 Atomreaktoren, die innerhalb der nächsten 15 Jahre in Betrieb genommen werden sollen. Allerdings ist die Anzahl der Atomreaktoren in der Realität rückläufig: Weltweit waren 2022 insgesamt 411 Atomreaktoren in Betrieb, im Jahr 2005 waren es noch 440.
Auch in der EU gibt es Staaten, die ihre AKW-Kapazitäten ausbauen oder erste Meiler errichten wollen: Polen, Ungarn, Bulgarien, Tschechien, Rumänien und Schweden haben die Absicht bekundet, insgesamt elf Reaktoren zu bauen. Die italienische Regierung denkt ebenfalls darüber nach. Innerhalb der EU formte sich unter Führung Frankreichs ein informelles Bündnis der AKW-Freunde. Energieministerin Agnès Pannier-Runacher fand neben den osteuropäischen Ländern, die schon lange auf Atomkraft setzen, weitere Verbündete. Eine knappe Mehrheit von 14 EU-Staaten ist inzwischen Mitglied des Bündnisses. Selbst in Deutschland fordern Industrievertreter sowie Politiker rechts der Mitte eine Rückkehr zur Atomkraft.
Frankreich selbst deckt rund 60 Prozent seines Strombedarfs mit Atomkraft und wirbt auf dem anstehenden EU-Gipfel für den Bau von Mini-Atomkraftwerken. Belgien, als Mitausrichter des Atom-Gipfels, hat ein ambivalentes Verhältnis zur Kernkraft. Ursprünglich wollte das Land bis 2025 aus der Risikotechnologie aussteigen, doch weil man beim Ausbau der Erneuerbaren nicht vorankam, wurden die Betriebsgenehmigungen für die störanfälligen Reaktoren in Tihange und Doel bis 2035 verlängert.
Die Länder, die Atomkraft ablehnen und auf den Ausbau der erneuerbaren Energien drängen, wurden im Rat der EU-Mitgliedstaaten mehrmals überstimmt, wenn es etwa um Förderungen für die Kraftwerke oder neue nukleare Technologien ging. Im europäischen Recht zählt Atomkraft mittlerweile zu den Technologien, mit denen die EU ihre Klimaziele für 2050 erreichen will. Ein neues Gesetz soll zudem EU-Mittel für die Förderung nachhaltiger Technologien freimachen – auch hier steht Atomkraft auf der Liste. Eine bereits ausverhandelte Reform des europäischen Strommarkts erlaubt den Mitgliedstaaten zudem, alte Atomkraftwerke weiter zu fördern. EU-Energiekommissarin Kadri Simson setzt sich außerdem für die Entwicklung von kleinen, modularen Reaktoren (SMR) ein. Die Idee ist, dass die Reaktoren für derartige Kraftwerke modular in einer Fabrik vorgefertigt und dann verbaut werden. Simson kündigte Anfang Februar ein Industriebündnis aus bislang zehn EU-Ländern an, die solche Technologien weiterentwickeln wollen, bislang sind sie allerdings nicht einsatzfähig.
Im Februar startete die EU-Kommission eine »Industrieallianz für kleine modulare Reaktoren«. Bis zum 12. April sollen Versorgungsunternehmen, Nuklearindustrie und Finanzinstitute ihr Interesse bekunden. Tatsächlich investieren neben staatlichen Akteuren derzeit auch verstärkt Unternehmer und Tech-Milliardäre in den Ausbau der Atomkraft – auch wegen des erhöhten Energiebedarfs von KI-Systemen. Microsoft-Gründer Bill Gates will zukünftig auch mit den Mini-AKWs sein Geld verdienen. So kann es nicht verwundern, dass Microsoft seine Vize-Präsidentin Melanie Nakagawa als Talkgast zum IAEA-Gipfel schickt.
Während ein herkömmlicher Reaktor mehr als 1000 Megawatt produziert, bringen es seine kleinen Verwandten auf höchstens 500 Megawatt. Die SMR könnten in Masse hergestellt werden und wären dementsprechend preiswerter, so die Hoffnung der Atomlobby. Denn momentan ist die Stimmung bei den AKW-Befürwortern eher gedrückt, sind doch die Baukosten das stärkste Argument gegen eine Renaissance. So ging 2023 der finnische EPR-Reaktor Olkiluoto-3 mit einer Verspätung von 14 Jahren und einer Kostensteigerung von drei auf 11 Milliarden Euro ans Netz. Der Schwesterreaktor im französischen Flamanville ist immer noch nicht fertig, dafür sind Kosten explodiert: Statt der geplanten drei Milliarden müssen die Steuerzahler wohl 19 Milliarden Euro berappen. Deshalb ruhen nun alle Hoffnungen auf den Mini-Reaktoren, von denen bislang nur wenige Prototypen in Russland und China existieren, die ihre Wirtschaftlichkeit noch nicht unter Beweis stellen konnten. Grüner Strom ist einfach billiger.
Daher steht der Ausbau der Erneuerbaren trotz aller Bemühungen des AKW-Bündnisses in der EU im Vordergrund. Energiekommissarin Simson betonte zuletzt, erneuerbare Energien blieben »von zentraler Bedeutung« für die Klimaziele.
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