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Cannabis: Wenn ein Gesetz zu verhungern droht
Union will Blockade im Vermittlungsausschuss / Abstimmung im Bundesrat am Freitag offen
Michael Kretschmer redete nicht. Der sächsische CDU-Ministerpräsident hätte in einer von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Stunde im Landtag am Donnerstag die Gelegenheit gehabt, sich zum Cannabis-Gesetz zu äußern – und dazu, wie sich Sachsen bei der Abstimmung darüber im Bundesrat an diesem Freitag verhalten will. Für die Regierung ergriff aber CDU-Innenminister Armin Schuster das Wort. Er warb dafür, das Gesetz im Bundesrat nachzubessern. Dieses sei ein »Sicherheitsrisiko«, sagte er und warf der Bundesregierung vor, die begrenzte Freigabe des Rauschgifts gegen Warnungen vieler Experten und Verbände sowie die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung durchzudrücken. Das sei »Hybris«.
Auf Nachbesserungen am Gesetz drängen tatsächlich viele. Im Bundesrat plädieren die Ausschüsse für Gesundheit, Inneres und Recht dafür, nur der Verkehrsausschuss empfiehlt die Zustimmung. Zahlreiche Länderpolitiker möchten Korrekturen. Sachsens SPD-Gesundheitsministerin Petra Köpping etwa hielt eine Stärkung von Prävention und Jugendschutz für notwendig. Allerdings wird der Vermittlungsausschuss nicht der Ort sein, an dem darüber verhandelt wird. »Wir werden ihn am Freitag nicht anrufen«, sagte sie diese Woche.
Auslöser für das strikte Nein war eine Äußerung Kretschmers am Sonntag im Kurznachrichtendienst X. Er hatte dort angekündigt, Sachsen werde den Vermittlungsausschuss anrufen, und angefügt, sein damit verbundenes »Ziel« sei es, dass das Gesetz aus diesem »niemals wieder herauskommt«. Später wurde klar, dass es sich nicht nur um eine Einzelmeinung, sondern um die Linie der Union handelt. So betonte Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, man werde »nicht daran mitarbeiten, dieses Gesetz in irgendeiner Form zu verändern«.
Kretschmer hat mit seiner Äußerung womöglich ein Eigentor geschossen, weil danach die Bereitschaft zum Vermittlungsverfahren auch bei Politikern bröckelte, die das Gesetz für noch nicht gelungen halten. Sie sträuben sich aber gegen einen »Missbrauch« des Bundesrates, wie es der sächsische SPD-Abgeordnete Albrecht Pallas in der Landtagsdebatte formulierte: Die CDU wolle »aus Machtkalkül ein demokratisches Gremium unterlaufen«. Wolfram Günther, Vize-Regierungschef von den Grünen, sprach von »Verfahrenstrickserei«.
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Dass diese womöglich scheitert, liegt auch an einem Entgegenkommen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er hatte in der ARD-Sendung »Hart aber fair« eingeräumt, das Gesetz stehe »auf Messers Schneide« und drohe im Vermittlungsausschuss zu »verhungern«. In einer Runde mit Länderkollegen versprach er für Freitag eine Protokollerklärung. Sie soll nach Angaben Köppings Verbesserungen bei Prävention sowie Mengen- und Abstandsregeln enthalten und eine frühere Evaluation des Gesetzes vorsehen. Experten sehen darin eher ein politisches Zeichen als eine juritisch verbindliche Festlegung. Für Köpping aber reichte das, um der Vermittlung zu widersprechen. Weil Länder im Bundesrat einheitlich abstimmen müssen, mündet ihre Uneinigkeit mit Kretschmers CDU in einer Enthaltung, die dem Nein zur Anrufung des Ausschusses gleichkommt.
Auch andere Bundesländer haben sich mit Blick auf das Blockade-Szenario der Union positioniert. Als sichere Kandidaten für eine Enthaltung gelten neben Sachsen auch Bremen, Berlin, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Sicher ist die Mehrheit noch nicht. Befürworter der Freigabe übten Druck auf die Grünen aus, die in elf Ländern mitregieren. Vor allem Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen standen im Fokus. Bei beiden war bis zuletzt unklar, wie sie abstimmen würden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erinnerte in der »Rheinischen Post« daran, dass die Grünen das Gesetz »besonders dringlich« gewünscht hätten. Es sei »nicht gut erklärbar«, wenn man sich nun nicht mindestens enthalte. Cem Özdemir, der in Baden-Württemberg beheimatete Bundeslandwirtschaftsminister, verlautbarte auf X, man nehme »offene Punkte der Länder ernst«, Ziel bleibe aber ein »rasches Inkrafttreten« des Gesetzes. Ob das ein Votum für oder gegen den Vermittlung ist, blieb offen.
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