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»Akute Terrorgefahr« in Deutschland?
Der Moskau-Anschlag entfachte erneut eine Terrorismusdebatte. Laut Innenministerium gibt es aber »keine neue« Bedrohungslage
Nach dem tödlichen Angriff auf eine Konzerthalle nahe Moskau, zu der sich die Terrorgruppe »Islamischer Staat Provinz Khorosan« (ISPK) bekannte, wird auch hierzulande wieder aufgeregt über die mögliche Bedrohung durch islamistische Gruppen diskutiert. Insbesondere mit Blick auf die Fußball-Europameisterschaft im Juni werden Forderungen laut, Deutschland müsse sich noch besser auf etwaige Anschläge vorbereiten. Aber hat sich an der Sicherheitslage überhaupt etwas verändert?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte der »Süddeutschen Zeitung«, die Gefahr durch islamistischen Terrorismus bleibe »akut«. Die größte Bedrohung gehe derzeit auch in Deutschland von der Gruppierung ISPK aus. Auch die Bundesregierung hält es für plausibel, dass sie hinter dem Terrorangriff in Russland steht.
Erst vergangenen Dienstag hatte die Bundesanwaltschaft in Gera zwei mutmaßliche ISPK-Mitglieder festnehmen lassen. Sie sollen einen Anschlag auf das schwedische Parlament geplant haben. Der Anschlag bei Moskau zeige »genauso wie der Sprengstoffanschlag vor Kurzem in der iranischen Stadt Kerman, wie ernst die globale Bedrohung durch islamistischen Terror zu nehmen ist«, so Faeser.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dem »Handelsblatt«, der Terrorangriff in Moskau zeige deutlich, wie konkret die Gefahr durch islamistische Zellen nach wie vor sei. Gerade mit Blick auf die Fußball-EM und die Olympischen Spiele in Frankreich gelte es, »erhöht wachsam« zu sein.
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor schaltete sich am Montag in die Debatte ein. »Die Terrorgefahr ist in Deutschland, in Europa, in der ganzen westlichen Welt so groß wie schon lange nicht«, behauptete er gegenüber N-TV. Der Islamische Staat und seine Ableger seien nicht tot, sondern die terroristische Gefahr lebe in der freiheitlichen Welt. »Das muss uns große Sorgen machen«, fügte der Bundestagsabgeordnete hinzu und warnte, dass die anstehende Fußball-Europameisterschaft ein naheliegendes Anschlagsziel für Terroristen sei. Daher müsse man das Sicherheitskonzept für die EM jetzt noch mal ganz genau prüfen.
Auf die Frage, inwiefern die Regierung die Bevölkerung im Rahmen der EM schützen will, betonte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mehrfach, es handele sich nicht um eine neue Bedrohungssituation: »Es ist bislang keine neue Lage in Deutschland.« In Bezug auf die Europameisterschaft sei die Gefährdungslage bekannt. Die Sicherheitskonzepte, die es für die EM gebe, umfassten auch islamistische Bedrohungen, so der Sprecher. Bundesweit sind angesichts der Fußball-EM im Sommer zahlreiche Anti-Terror-Übungen geplant.
Die Zahl islamistischer Gefährder ist laut Angaben des Bundeskriminalamtes im vergangenen Jahr sogar zurückgegangen. Derzeit seien 483 Personen als Gefährder eingestuft, zitierte die »Neue Osnabrücker Zeitung« im Januar einen BKA-Sprecher. Davon sind 97 Personen in Deutschland in Haft, 208 Gefährder befinden sich auf freiem Fuß, 178 Personen befinden sich im Ausland. Im Vorjahr, also 2022, habe die Zahl islamistischer Gefährder noch bei 520 Personen gelegen, so der Sprecher. Als Gefährder bezeichnet die Polizei Menschen, denen sie schwere politisch motivierte Gewalttaten zutraut – bis hin zu Terroranschlägen.
Auch das sogenannte islamistisch-terroristische Personenpotenzial (itP), das vom Bundesamt für Verfassungsschutzes (BfV) erfasst wird, ist in den vergangenen Jahren gesunken. Im Februar 2024 waren rund 1680 Personen registriert. Im Mai 2023 waren es noch 1720 und im Februar 2022 1940 Personen, die erfasst waren. Zum itP werden laut BfV »gewaltbereite Extremisten im Bereich Islamismus« gezählt, »zu denen Hinweise auf eine persönliche Gewaltbereitschaft vorliegen«.
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