Blockierte Waffenlieferungen: »Nicht wir brechen das Gesetz«

Der Gewerkschafter Maurizio Gueglio über blockierte Waffenlieferungen im Hafen von Genua

  • Interview: Peter Nowak
  • Lesedauer: 5 Min.
Maurizio Gueglio ist Mitbegründer des Autonomen Komitees der Hafenarbeiter in Genua (CALP).
Maurizio Gueglio ist Mitbegründer des Autonomen Komitees der Hafenarbeiter in Genua (CALP).

Wie ist euer Hafenarbeiter*innenkollektiv entstanden?

Das Collettivo Autonomo Lavoratori Portuali (CALP) ist in seiner jetzigen Form vor rund zehn Jahren entstanden, inspiriert von sozialen Kämpfen auf vielen Kontinenten in dieser Zeit. In der arabischen Welt fegten die Protestbewegungen damals ein Regime nach dem anderen weg, in New York bauten die Aktiven von Occupy Wall Street gerade ihre Camps auf. Mitte Oktober 2011 machten Menschen auf der ganzen Welt ihrem Ärger über die Macht der Banken und die Auswüchse der Finanzmärkte Luft.

Was hatten die Kämpfe in den USA und der arabischen Welt mit Ihnen zu tun?

Es gab damals auch soziale Kämpfe in vielen Ländern Europas, in Griechenland, in Spanien und auch in Italien. So gingen in Rom im Oktober 2011 weit über 100 000 Personen gegen die Sparpläne der Berlusconi-Regierung und den Einfluss Brüssels auf die Straße. Die Demonstration endete mit Wasserwerfern, Tränengas und vielen Verletzten. Auch eine Gruppe Hafenarbeiter*innen war für den Protesttag aus Genua in die Hauptstadt gereist. Diese Erfahrung war sehr inspirierend. Auf der Heimfahrt von Rom nach Genua ist die Idee entstanden, uns als Hafenarbeiter*innen neu zu organisieren, weil wir uns vom größten Gewerkschaftsbund Italiens nicht vertreten fühlten.

Interview


Maurizio Gueglio ist Mitbegründer des Autonomen Komitees der Hafenarbeiter in Genua (CALP). Er hat lange
Zeit als Hafenarbeiter gearbeitet und ist mittlerweile Sekretär der linken Basisgewerkschaft USB.

Was wollten Sie anders als die großen Gewerkschaften machen?

Uns ist es von Anfang an darum gegangen, den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Hafen mit anderen Kämpfen zu verbinden. Es ging uns also nie nur um die Sicherung unserer Arbeitsplätze und es ging schon gar nicht darum, unsere Arbeitsplätze zu verteidigen, wenn sie zu Elend und sogar Tod in anderen Teilen der Welt beitragen. Deshalb blockieren wir Waffenlieferungen, beteiligen uns an antifaschistischen Kämpfen und machen auf die Situation Geflüchteter an Europas Grenzen aufmerksam.

Was sagen Sie zu Kolleg*innen, die ihre Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie und im Rüstungstransport verteidigen?

Diese Position lehnen wir entschieden ab. Wir sind Antimilitarist*innen und sehen uns in einer langen Tradition der Antikriegsarbeit der Arbeiter*innenbewegung. Deswegen sind wir gegen die Waffenlieferungen. Es geht darum, für Arbeitsplätze zu kämpfen, in denen für den Frieden und für ökologische und soziale Belange produziert wird. Wir fordern in unseren Flugblättern und Zeitungen, dass Gelder für diese sozialen Belange und nicht für Militär und Rüstung ausgegeben werden.

Gegen wen richtete sich Ihre erste Blockade von Waffenlieferungen?

Wir blockierten 2019 im Hafen von Genua Waffenlieferungen an das autokratische Regime in Saudi-Arabien, die dort für den Krieg im Jemen eingesetzt werden sollten. Dort starben weitgehend unbemerkt von Westeuropa Tausende Menschen in einem Bürgerkrieg, der wesentlich von auswärtigen Mächten wie Saudi-Arabien befeuert wurde.

Es gibt auch Linke, die Waffenlieferungen an die von der russischen Armee angegriffene Ukraine als Akt der Solidarität begreifen. Wären Blockaden dieser Waffenlieferungen dann nicht sogar unsolidarisch?

Dem würden wir klar widersprechen. Waffen an die Ukraine sind keine Solidarität, sondern tragen nur dazu bei, dass auf beiden Seiten noch mehr Menschen zu Tode kommen. Dazu zählen Zivilist*innen ebenso wie Soldaten, die oft zwangsweise beim Militär sind. Für uns beginnt der Krieg in der Ukraine nicht erst 2022, sondern spätestens 2014. Seit dieser Zeit sind Tausende Menschen im Osten der Ukraine gestorben, auch durch Bomben der ukrainischen Armee. Wir sind aber sehr wohl für Solidarität mit der Ukraine und den ukrainischen Arbeiter*innen. Wir unterstützen sie im Kampf gegen neoliberale und gewerkschaftsfeindliche Gesetze, die die Rechte der Arbeiter*innen weiter einschränken.

Wie reagiert die italienische Gesellschaft auf Ihren Widerstand gegen Waffenlieferungen?

Wir bekommen natürlich viel Unterstützung bei Antimilitarist*innen und Kriegsgegner*innen in Italien. Das ist immer noch ein großer Teil der italienischen Bevölkerung, weit über linke Kreise hinaus. Hinzu kommt, dass es Gesetze in Italien gibt, die den Transport von Waffen über Häfen des Landes verbieten. Nicht wir brechen das Gesetz, wenn wir Waffentransporte blockieren. Das Gesetz wird vielmehr von denen gebrochen, die diese Transporte genehmigen und durchsetzen.

Haben Sie auch Kontakte zu Gewerkschaften in anderen Ländern?

Es gibt Kooperationen mit kleinen kämpferischen Gewerkschaften in Frankreich, Spanien und Griechenland. Dazu gehört die Gewerkschaft PAME (Militante Arbeiterfront, eine der Kommunistischen Partei Griechenlands nahestehende Organisation, Anm. d. Red.), die 2022 Waffenlieferungen an die Ukraine blockiert hat. Wir versuchen, auch in Deutschland Kontakte zu Hafenarbeiter*innen zu bekommen, was aber sehr schwer ist. Das liegt auch an den Gewerkschaften in Deutschland, die keine klare antimilitaristische Postion vertreten.

Wird die Zusammenarbeit nicht durch den Krieg in der Ukraine erschwert?

Es gab und gibt viele Probleme, die schon lange vor dem Ukraine-Konflikt begonnen haben. Beispielsweise gab es eine Spaltung im Weltgewerkschaftsbund, in dem wir als Basisgewerkschaft USB Mitglied sind. So sind einige Gewerkschaften aus Bric-Staaten, in denen es eine starke Arbeiter*innenbewegung gibt, aus dem Weltgewerkschaftsbund ausgestiegen. Der Weltgewerkschaftsbund wurde schon in den 90er Jahren erheblich geschwächt, als einflussreiche Gewerkschaften wie die CGT aus Frankreich den internationalen Verband verlassen hatten. Es war die Zeit, als auch viele linke Gewerkschafter*innen nicht mehr an ein Ende des Kapitalismus glaubten. Das hat sich heute in Zeiten von Kriegen und kapitalistischer Krise geändert.

Gibt es Kriminalisierungsversuche gegen Ihre Gewerkschaft?

Ja, im Sommer 2022 gab es Razzien in den Büros italienischer Basisgewerkschaften. Im Zuge dessen wurden vier Gewerkschaftssekretäre zeitweise unter Hausarrest gestellt. Ermittelt wurde wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Auslöser für diese Anklage waren Streiks in den Logistikfirmen von Piacenza in den Jahren 2014 bis 2021. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurden diese Arbeitskämpfe mit »erpresserischen Absichten« durchgeführt, um bessere Bedingungen für die Arbeiter*innen zu erreichen, als im nationalen Tarifvertrag der großen Gewerkschaften vereinbart war.

Macht Ihnen das nicht Angst?

Nein, das macht mich entschlossener. Wir haben sofort die Kampagne »Streiks sind kein Verbrechen« gestartet. Mittlerweile sind die Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung eingestellt. Andere juristische Verfahren, auch gegen mich, laufen noch.

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