Kolonialismus - Wo Schokolade keine gute Laune macht

Eine Virusepidemie gefährdet den Kakaoanbau in Westafrika. Sie ist ein spätes Erbe des Kolonialismus

»Ich beobachtete Schwellungen an einigen Kakaobäumen, aber ich hatte keine Ahnung, was das war«, sagt Peter Kwabena Nartey, Landwirt in Ghanas Western North Region. Schlimm für den 68-Jährigen: »Es stellte sich als tödliche Krankheit heraus.« In der örtlichen Sprache wird sie »kakoo sasabro« (Kakao-Rheumatismus) genannt, wie es in einem Beitrag auf der Nachrichtenplattform »Cocoa Post« aus Ghana heißt. Nartey wurde geraten, alle Bäume auf seiner 3,2 Hektar großen Plantage sofort zu entfernen. Da ihm die Mittel für die Sanierung fehlen, entschied er sich dagegen – trotz der Gefahr der Ausbreitung auf umliegende Farmen.

So wie Nartey geht es derzeit vielen Kakaobauern in Westafrika. Dort breitet sich seit geraumer Zeit eine Epidemie aus, die zu massiven Ernteausfällen führt. Verursacher ist das »Cacao-swollen-shoot-Virus« (CSSV), das von Schmierläusen beim Saugen des Pflanzensaftes übertragen wird. Rund sieben Wochen nach dem Befall zeigen sich typische Symptome: Der Stamm und junge Triebe schwellen an, was dem Virus seinen Namen gibt. Der Ertrag verringert sich im ersten Jahr um ein Viertel, spätestens nach drei Jahren sterben viele Bäume ab.

Klimawandel setzt Bäume unter Stress

CSSV richtete zwar schon früher Schäden an – erste Berichte aus Ghana reichen bis ins Jahr 1922 zurück, das Virus wurde 1936 identifiziert. Aktuell aber potenzieren sich die Probleme aufgrund des Klimawandels und der Wetteranomalie El Niño: Eine Hitzewelle und Trockenheit, als es regnen sollte, und dann extreme Regengüsse sorgten für schlechte Ernten. Im Dezember kamen Überschwemmungen hinzu. Die Bäume stehen »unter Stress«, werden anfälliger für CSSV und weitere Schädlinge. Kwame Owusu-Ansah von der ghanaischen Kakaobehörde Cocobod schätzt, dass knapp 600 000 Hektar von dem Virus befallen sind. Bei der ersten Erhebung 2017 waren es halb soviel. Ghana verzeichnete seit 2020/21 einen Ernterückgang um gut ein Drittel, in diesem Jahr könnte der Ertrag um ein weiteres Viertel einbrechen.

Kakao gehört zu den weltweit wichtigsten Agrarrohstoffen. In den je nach Sorte gelb, orange oder violett gefärbten Früchten des meist auf zwei bis vier Meter gestutzten Baumes befinden sich die weißen Samen, die in mehreren Schritten weiter zu Kakao oder Schokolade verarbeitet werden. Da sich der weltweite Konsum in den letzten 30 Jahren verdoppelt hat, wurde der Anbau ausgeweitet. Die jährliche Produktionsmenge lag zuletzt bei 4,5 Millionen Tonnen, davon etwa drei Viertel in Westafrika. Um die 100 Milliarden US-Dollar wurden am Weltmarkt umgesetzt.

In diesem Jahr ist er aus den Fugen geraten. In Côte d’Ivoire, Nummer eins im Kakaoanbau, soll sich das Virus in 11 der 13 Anbaugebiete ausbreiten. Angesichts der weiter steigenden Nachfrage in großen Schwellenländern werden bereits seit drei Jahren die Lagerbestände abgebaut. Da 2024 nach Prognosen der Internationalen Kakaoorganisation (ICCO) die Produktionslücke 400 000 Tonnen zu betragen droht, stellen sich große Schokoladenhersteller erstmals auf eine Unterversorgung ein. Einige haben, wie es heißt, unter der Hand die Rezeptur ihrer Produkte verändert und den Kakaoanteil reduziert. Preiserhöhungen bei Endprodukten etwa in Europa sind dennoch programmiert. Diese werden nicht allzu groß ausfallen, denn billiger Zucker ist Hauptbestandteil in Industrieschokolade und Kakao macht nur einen geringen Teil des Endpreises aus: Kleinbauern bekommen nach Angaben der Initiative Inkota lediglich sieben Prozent ab.

An den Börsen macht sich die Entwicklung indes deutlich bemerkbar: Bereits im Jahresdurchschnitt 2023 lag der Kakaopreis laut ICCO um 38 Prozent über dem von 2022. Und in den letzten Wochen spielen die Märkte geradezu verrückt, angetrieben von weiteren Negativmeldungen und spekulativen Übertreibungen durch Hedgefonds. Der Preis hat gerade die Marke von 9000 Dollar pro Tonne durchbrochen, eine Verdreifachung gegenüber dem Stand vor einem Jahr. Die Elfenbeinküste stellte vor einigen Monaten alle Terminverkäufe ein, da man nicht sicher ist, zum festgelegten Zeitpunkt liefern zu können.

Von den Problemen in Westafrika profitieren andere. So wird Ecuador in diesem Jahr Ghana als weltweite Nummer zwei überholen. Irgendwo dort im oberen Teil des Amazonasbeckens liegt die Heimat des Kakaobaumes. Er gelangte durch intensiven Handel nach Mittelamerika zu den Maya und Azteken, wo die Zubereitung von scharf gewürzten Kakaogetränken und -suppen fester Bestandteil des kulturellen Lebens war.

Alles änderte sich mit den Eroberungen durch die Spanier. »Sie erkannten schnell das profitbringende Potenzial der Bohne und zwangen die indigenen Produzenten dazu, Anbau und Ernte auf ihren Plantagen zu intensivieren«, wie es auf dem Blog des Instituts für Geschichtsdidaktik der Universität Tübingen heißt. Da in den Amerikas ein Großteil der Bevölkerung durch Grausamkeiten der Eroberer und eingeschleppte Krankheiten ausgerottet war, wurden Sklaven aus Westafrika für die Arbeit importiert. In Europa kamen zunächst die Adelshäuser, später auch breitere Schichten auf den Geschmack von Kakao, stark gesüßt als Getränk oder in fester Form, zudem in Kosmetikprodukten. Um die steigende Nachfrage nach der Kolonialware zu decken, wurden neue Anbaugebiete gesucht. Da der sehr sensible Kakaobaum nur auf einem schmalen Streifen rund um den Äquator mit stabil warmem und feuchtem Klima gedeiht, geriet Westafrika in den Fokus. Portugiesische Kolonialisten brachten die Pflanze Ende des 19. Jahrhunderts zunächst auf die Insel Sao Tomé et Principe, bevor sie das Festland eroberte.

Die massiven Veränderungen begünstigten auch die Ausbreitung von Infektionen. »Die Geschichte der Krankheit ist ein integraler Bestandteil der Geschichte von Krieg, Migration, Imperialismus und Sklaverei«, schreibt der US-Historiker Kyle Harper in seinem Buch »Plagues upon the earth«. Das gelte auch für Pflanzenkrankheiten wie jetzt beim Kakaobaum. In der Forschung ging man bisher davon aus, dass das Virus in Südamerika unbekannt war, weshalb die Pflanze keine Resistenz hatte und ihm in Afrika hilflos ausgeliefert war. Laut einer neuen Studie aus Brasilien könnte das Virus doch schon in Südamerika existiert haben und bildete später in Afrika aggressivere Varianten heraus, die zu einer derart großen Bedrohung wurden. Bei CSSV handelt es sich um einen Artenkomplex, zehn Spezies sind bisher belegt.

Wie dem auch sei: Erst der Kolonialismus und die veränderten Anforderungen an den Anbau verhalfen der Krankheit zum Durchbruch. Ursprünglich wuchsen die Kakaobäume im Regenwald. Andere Pflanzen hielten Schädlinge und Viren ab, Baumriesen sorgten für schützenden Schatten. In den Kolonien wurden indes oft Wälder für Plantagen gerodet und Monokulturen dominant. Hier können sich Viren rasch von Baum zu Baum ausbreiten und munter mutieren. Da beim Befall einer Plantage oft auf neue Flächen ausgewichen wird, breitet sich das Virus auch regional aus. Ghanas Kakaoforschungsinstitut schätzt die Prävalenzrate im Land aktuell auf über 30 Prozent.

Weil ein Mittel gegen das Virus nicht in Sicht ist und auch Insektizide nicht helfen, da die Schädlinge meist im Boden leben, setzt die Forschung derzeit auf Früherkennung. Dabei sollen neu entwickelte DNA-Schnelltest-Geräte helfen. Allerdings ist an einen flächendeckenden Einsatz aus Kostengründen nicht zu denken, und Mutationen vermindern die Trefferqualität. Koffie Kouakou von der Université Félix Houphouët-Boigny in Abidjan spricht dennoch von einer »bahnbrechenden Technologie, die einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Überwachungssystems von Kakaoplantagen durch Beratungsdienste leisten« könne.

Selbst wenn ein Befall schneller erkannt wird – das »Cutting-out« bleibt die einzige Strategie, um die Ausbreitung zu bremsen. Seit 1946 wurden alleine in Ghana nach offiziellen Angaben 300 Millionen befallene Bäume gefällt. Dagegen regt sich oft Widerstand der Betroffenen. Bäume zu fällen, die noch einige Jahre etwas Ertrag bringen, können sie sich nicht leisten, denn der Kakaopreis war über viele Jahre extrem niedrig. Viele melden einen Befall erst gar nicht. Und wird doch gerodet, bauen sie lieber andere Nutzpflanzen wie Ölpalmen, Kautschuk oder Kokosnüsse an. In Ghana kommt illegaler Bergbau hinzu: Goldschürfer zahlen nicht selten 1000 Dollar in bar oder mehr für die Nutzung des Ackerlands.

Agroforstsysteme mit Potenzial

Langfristig könnte aus Sicht von Experten nur die nachhaltige Umgestaltung der Anbaumethoden helfen, bei der andere Bäume eine wichtige Rolle spielen: »Beschattung per se kann mildern, aber nicht verhindern, wenn das Problem schon besteht. Man braucht diversifizierte Landschaften, in denen es physische Barrieren und auch potenzielle natürliche Gegenspieler für die Vektoren (Schmierläuse) gibt«, erläutert Christian Andres, Agrarwissenschaftler von der ETH Zürich, gegenüber nd.DieWoche. »Nachhaltige und regenerative Systeme haben zudem Pufferfunktion, zum Beispiel gegen wenig, aber auch gegen sehr viel Wasser.« Forscher aus Zürich und Partner aus Ghana versuchen in Pilotprojekten herauszufinden, wie die Erkenntnisse am besten in die Praxis umzusetzen sind. Die Versuche zeigen laut Andres »ein großes Potenzial von dynamischen Agroforstsystemen, Teil der Lösung zu sein«.

In einem Rehabilitationsprogramm in Ghana kommt dies zur Anwendung. Finanziert wird es seit 2020 mit einem Kredit der Afrikanischen Entwicklungsbank im Umfang von 230 Millionen Dollar. Die Reha befallener Plantagen umfasst Setzlinge für Agroforstsysteme und alternative Einkommensmöglichkeiten. Auch Schulungen zu Prävention und Früherkennung gehören dazu. Rund 67 000 Hektar wurden seither saniert, wobei das Virus deutlich schneller ist. Im ohnehin hoch verschuldeten Ghana kommt es nicht gut an, dass sich die finanzkräftigen Schokoladenkonzerne hieran überhaupt nicht beteiligen. Kojo Hayford, Herausgeber der »Cocoa Post«, spricht deshalb von »Westafrikas einsamem Kampf« gegen die Krankheit.

Dabei wäre Eile geboten: »Uns läuft die Zeit davon, der Klimawandel ist jedes Jahr stärker spürbar«, sagt Agrarforscher Andres. »Und Wälder brauchen eine gewisse Zeit, bis sie gewachsen sind.«

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