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Wurde Hans-Jürgen Rose von der Polizei ermordet?
Recherchegruppe stellt nach 26 Jahren Strafanzeige gegen Dessauer Beamte
Nachdem Hans-Jürgen Rose am am 7. Dezember 1997 nach einem Alkoholtest und dem Entzug des Führerscheins aus dem Polizeirevier in der Dessauer Innenstadt entlassen worden ist, soll sich der Vater dreier Kinder in einen nahegelegenen Wohnblock begeben haben und dort freiwillig oder unfreiwillig aus dem Fenster gestürzt sein. An den Verletzungen, die er sich dabei zuzog, soll Rose dann 28 Stunden später im städtischen Klinikum in Dessau gestorben sein.
26 Jahre nach dem angeblichen Fenstersturz des damals 36-Jährigen zieht eine Gruppe namens Recherchezentrum diese Darstellung von Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt in Zweifel. Denn zu dem Fall gibt es zahlreiche Ungereimtheiten, die nahelegen, dass die diensthabenden Polizisten der Nachtschicht etwas mit Roses Tod zu tun haben und der Mann zuvor körperlich misshandelt wurde.
Zusammen mit Iris und Diana Rose, der Witwe des Toten und seiner Tochter, hat die Recherchegruppe deshalb am Donnerstag eine 40-seitige Mordanzeige beim Generalbundesanwalt eingereicht. Darüber berichteten die Anzeigeerstatter am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin. Beamte der Nachtschicht hätten Rose schwer verletzt und vor dem Wohnhaus in einer Pfütze an der Hauswand abgelegt, um auf diese Weise ihre zu Tat zu verschleiern, so die Vermutung.
Der Fall Rose ist der erste von drei Todesfällen, die im Dessauer Polizeirevier für Aufsehen sorgten. 2002 starb der alkoholkranke Mario Bichtemann nach einem Schädelbasisbruch, den er sich aus ungeklärter Ursache in der Ausnüchterungszelle 5 zugezogen hatte. Bundesweit machte der Tod von Oury Jalloh Schlagzeilen, der 2005 nach einem Feuer in derselben Zelle verbrannte.
Bis heute bemüht sich die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh um Aufklärung und bringt den Fall derzeit vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Aus dieser Initiative gründete sich auch das Recherchezentrum, das seit rund zwei Jahren den Tod von Rose untersucht und dazu auch die inzwischen bei der Transparenzplattform »Frag Den Staat« veröffentlichten Ermittlungsakten durchforstet hat. Dabei kam heraus, dass es bei den Todesfällen 1997 und 2005 personelle Überschneidungen bei den diensthabenden Beamten gab.
Auf der Pressekonferenz hat das Recherchezentrum weitere neue Hinweise und Aussagen vorgestellt, darunter die Schilderung der Rechtsmedizinerin Uta Romanowski, die den Toten obduzierte. Sie habe damals ausgeschlossen, dass der Fundort der Tatort gewesen sei, sagte sie in einem von der Initiative aufgenommenen Video. Auch habe sie an Roses Körper parallele und streifenförmige Hautunterblutungen festgestellt, wie sie von Schlagstöcken kommen könnten. Mutmaßlich von derartigen Schlägen auf Roses Kiefer seien Zähne ins Gesicht gedrückt, ein Lendenwirbel sei zertrümmert worden.
Ihre Anzeige stützen das Recherchezentrum und Roses Familie auch auf ein Gutachten des britischen Schriftforensikers John Welch, der den Bericht der Polizeiwache des fraglichen Tages analysierte. In diesem sogenannten Lagefilm wurden Uhrzeiten mit Tipp-Ex und Überschreiben nachträglich verändert und Sachverhalte umgeschrieben, so die Analyse des Gutachters. Diese Befunde belegten, dass der Lagefilm manipuliert worden sei, sagten die Anzeigeerstatter am Donnerstag. Dies erfolgte laut einem Sprecher in der Absicht, »die Geschehnisse des Abends falsch darzustellen, um den Verdacht von den mutmaßlichen beteiligten Polizeibeamten abzulenken«.
Tatsächlich war Rose nach seiner Festnahme wegen einer Trunkenheitsfahrt und einem Blechschaden ein zweites Mal auf das Polizeirevier gebracht worden, da er sich angeblich wieder in sein Auto setzen wollte. So war es auch in dem Lagefilm vermerkt – allerdings mit nachträglich manipulierten Uhrzeiten, wie der Schriftgutachter Welch herausfand.
Die im Lagefilm angegebenen Zeiten sind nicht plausibel: Rose soll um 3.01 Uhr entlassen worden, aber um 3.02 Uhr bereits in seinem Auto gefahren sein – obwohl dieses mehrere hundert Meter entfernt geparkt war. Um 3.08 Uhr sei Rose dann an der Muldebrücke gestoppt worden – dieser Ort liegt vier Kilometer außerhalb von Dessau.
Auch für diese, nach Mutmaßung der Recherchegruppe erfundene zweite Trunkenheitsfahrt wurde eine Anzeige geschrieben: um 3.10 Uhr, also neun Minuten nach Roses erster Entlassung. Die zweite Entlassung aus dem Revier sei um 3.35 Uhr erfolgt. Um 5 Uhr wurde Rose dann von einem Anwohner schwer verletzt vor dem unweit des Reviers gelegenen Haus gefunden.
Sofern der Generalbundesanwalt die Strafanzeige annimmt, wären dies die dritten Ermittlungen im Fall Rose: Sie wurden 2002 eingestellt, 2013 wieder aufgenommen und ein Jahr später abermals eingestellt. Die Staatsanwaltschaft habe »keinen Anfangsverdacht gegen eine beteiligte Person« finden können, so die damalige Begründung.
Verdächtiges Verhalten gab es aber sehr wohl. Ein Polizist der Frühschicht hat etwa ausgesagt, gehört zu haben, wie ein Kollege aus der Nachtschicht gesagt habe: »Der wollte mir doch ein paar in die Fresse hauen, da hab ich ihm eine reingezogen.« Zudem sei es möglich, dass Rose im Speisesaal des Polizeireviers an eine Steinsäule angekettet und misshandelt worden sei, so die Anzeigeerstatter.
Tatsächlich sollen Anfang der 90er Jahre in dem Revier Festgenommene in dem Speisesaal verwahrt worden sein, da es an Haftmöglichkeiten mangelte. So bestätigt es auch der Polizeizeuge aus der Frühschicht. In der Rose-Akte finden sich deshalb seitenweise Fotos aus dem Speisesaal. Die Todesermittler überschrieben eine Bildmappe von Säulen in dem Gebäude mit »Räumlichkeiten Polizeirevier Dessau Aufenthaltsort des Rose«. Von diesen Säulen seien auch ergebnislos DNA-Abstriche genommen worden.
Die Vermutung, dass Rose an die Säulen gekettet war, stützt das Recherzentrum auf Abschürfungen an den Außenseiten von Roses Schuhen. Der Speisesaal sei vor dem Vorfall renoviert und mit Gipskalk gestrichen worden. An dem T-Shirt des Toten sei eine weiße Substanz gefunden worden, auch an der Uniform eines Polizisten sei diese zu sehen gewesen. Dabei habe es sich womöglich um die bei der Renovierung verwendete Farbe gehandelt, so die Darstellung in der Pressekonferenz. Diese Anhaftungen wurden aber in den Todesermittlungen nicht untersucht.
Es bleibe zu hoffen, dass die Todesumstände von Jürgen Rose neu untersucht werden, der Generalbundesanwalt die Ermittlungen nach der erfolgten Anzeige übernehme und führe und so Aufklärung gelinge, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linken in Sachsen-Anhalt, Henriette Quade. »Denn Mord verjährt nicht.«
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