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Kiewer Machtkarussel
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj baut seinen Führungskreis weiter um
Der Schritt kam durchaus unerwartet. Oleksij Danilow, seit 2019 Sekretär des mächtigen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine und am 26. März mit Erlass des Präsidenten dieser Funktion enthoben, soll neuer ukrainischer Botschafter in der Republik Moldau werden. Dies erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag. Mit Danilow verläßt einer der dienstältesten Regierungsbeamten das staatliche Machtzentrum der Ukraine.
Vier Jahre, fünf Monate und 24 Tage sei er Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine gewesen, zitiert die Nachrichtenagentur ukrinform Danilows erste Reaktion auf seine Entlassung. Und das seien Tage gewesen, »für die ich mich nicht schäme. Stunden, die wie im Flug vergangen sind. Danke an das Schicksal, das mir die Möglichkeit gegeben hat, meinem Land und seinem Volk während des Friedens und während des Krieges zu dienen.«
Danilow war der Falke unter den Mächtigen
Dem aus Luhansk stammenden Danilow mangelte es nie an Klarheit in seinen Äußerungen. Er provozierte, brach Tabus und galt unter den Mächtigen der Ukraine als Falke. Süffisant hatte er am 20. März über den chinesischen Sonderbeauftragten zur Ukraine, Li Hui, erklärt, man wolle sich doch nicht von irgendeinem Hui etwas sagen lassen. Li Hui, der auch zehn Jahre als chinesischer Botschafter in Moskau gelebt hatte, dürfte dieses beleidigende Wortspiel kaum entgangen sein, bezeichnet doch das »hui« in der Form, wie Danilow es ausgesprochen hatte, im Ukrainischen und Russischen vulgärsprachlich den Penis. Noch deutlicher hätte Danilow seine Abneigung gegenüber den chinesischen Vermittlungsbemühungen nicht zeigen können.
Russland in seiner jetzigen Form müsse sterben, hatte Danilow am 11. Februar 2023 in der »Ukrainska Prawda« verkündet. »Der wahre Sieg der Ukraine ist der Zerfall Russlands (sic!), sein Verschwinden als kohärentes Subjekt der Geschichte und Politik«, hatte er geschrieben. Russland sei nicht nur ein Problem für die Ukraine, es sei wie ein Gangrän, das die ganze Welt bedroht. Im Weiteren forderte er eine »Desubjektivierung russlands als staatliches Gebilde, die Dekolonisierung seiner Territorien, die Denuklearisierung und die Deputinisierung der Bevölkerung.« Vor diesem Hintergrund müsse sich die Ukraine und die Welt »an den Gedanken gewöhnen, dass Russland in den Grenzen und in dem Zustand, in dem es derzeit existiert, nicht überleben sollte.«
Danilow-Nachfolger mit gutem Draht zu Selenskyj
Zu Danilows Nachfolger als Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine wurde der Chef der Auslandsaufklärung, Alexander Litwinenko. Litwinenko hat lange in Moskau gelebt, 1994 hat er sein Studium der Kryptologie an der Moskauer Hochschule des KGB-Nachfolgers FSB beendet. Anschließend arbeitete er für den ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU. Noch unter Präsident Petro Poroschenko wurde er 2014 stellvertretender Sekretär des Sicherheits- und Verteidigungsrates. Für ukrainische Nationalisten sei ein Mann mit einer derartigen FSB-Biographie sicherlich eine Provokation, kommentierte der Politologe Ruslan Bortnik die Personalentscheidung. Doch für Litwinenko spreche, dass er eine loyale Persönlichkeit sei, er einen guten Draht zum Präsidenten habe, eine ruhige und kluge Person sei.
Auch im Präsidialamt dreht sich das Personalkarussell. Am Freitag Abend entließ Selenskyj die stellvertretenden Vorsitzenden der Präsidialverwaltung Andrij Smirnow und Oleksij Dniprow.
Selenskyj baut seine Mannschaft weiter um
Smirnow, seit September 2019 in der Präsidialverwaltung, war dort für die Organisation internationaler Tribunale verantwortlich. Er soll, so der ukrainische Dienst der BBC, ein schwieriges Verhältnis zum Chef der Verwaltung, Andrij Jermak, haben. Und am Samstag wurde mit Serhij Schefir ein weiterer stellvertretender Chef der Präsidialverwaltung und langjähriger Geschäftspartner sowie politischer Weggefährte von Selenskyi entlassen.
Die jüngsten Personalentscheidungen werden nicht die letzten sein, kündigte Selenskyj an. Für den Politologen Bortnik passt das ins Bild. Selenskyj werde sich nicht mehr lange auf seine Mehrheit im Parlament stützen können, glaubt er. Dies mache Koalitionen mit anderen Kräften im Parlament notwendig. Und dabei sei es unausweichlich, so Bortnik, dass bestimmte Personen ihre Posten werden räumen müssen. Journalist Denis Rafalskij sieht im Kiewer Personalkarussel eine Stärkung der Präsidialverwaltung als Entscheidungszentrum und die Festigung von Jermak als Nummer zwei im Land hinter dem Präsidenten.
Ob Danilows seine Karriere in Moldau weiterführen kann, ist nicht ausgemacht. Seiner Ernennung zum Botschafter muss das Gastgeberland noch zustimmen, noch hat sich Chisinău dazu nicht geäußert.
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