- Kommentare
- US-Philosophin
Nancy Fraser von Uni Köln ausgeladen: Ein doppelter Rechtsruck
Die Uni Köln lädt die linke US-Philosophin Nancy Fraser wegen einer Palästina-Erklärung von November 2023 aus
Die Universität Köln hat die US-Philosophin Nancy Fraser, eine der wichtigsten Vertreter*innen der Kritischen Theorie, vergangene Woche mit einem knappen Brief von der Albertus-Magnus-Professur ausgeladen. Der Grund: Die feministische Sozialistin Fraser unterzeichnete im November 2023 gemeinsam mit 200 Wissenschaftler*innen die Erklärung »Philosophy for Palestine«. Zwar hat Fraser – anders als die US-Philosoph*innen Judith Butler und Masha Gessen – in der Debatte um den Gaza-Krieg seitdem keine größere Rolle mehr gespielt. Doch die Unterzeichnung einer Erklärung reicht mittlerweile aus, um aus staatlichen Bildungseinrichtungen verbannt zu werden.
Gewiss: Das eigentliche Problem besteht nicht darin, dass eine linke Intellektuelle ihre Vorlesungen zur kapitalistischen Krise nicht halten darf. Skandalös ist, dass der Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Gaza ungebremst weitergeht. Nicht die Entscheidung der Universitätsleitung in Köln, sondern die Aushungerung von zwei Millionen Palästinenser*innen muss uns empören.
Trotzdem ist der Fall Fraser besorgniserregend. Denn er ist Ausdruck des doppelten Rechtsrucks, den Deutschland gerade erlebt. Neben dem Aufstieg der AfD gibt es nämlich einen kaum minder gefährlichen Rechtsruck der politischen Mitte, die von »Kriegsertüchtigung« bis zur Zensur alles normalisiert, was für autoritäre Politik steht. Mit dem Verweis auf Putin und die Hamas wird Bellizismus zum moralischen Auftrag verklärt und jeder kritische Einwand gegen die Gewaltpolitik des Westens beiseite gewischt.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Was genau wirft die radikalisierte Mitte, die sich auf die deutsche Staatsräson und die Verteidigung der Freiheit beruft, Intellektuellen wie Fraser eigentlich vor? Der Aufruf, den die Philosophin im Herbst unterzeichnete, hatte zum Ziel, die israelische Kriegsmaschinerie zu stoppen, bevor Zehntausende Menschen tot und 1,9 Millionen vertrieben waren. Er war als Gegenrede zur offiziellen Position »des Westens« gedacht, der der rechten Regierung Israels damals einen Blankoscheck erteilte und damit genau jene Katastrophe ermöglichte, die nun eingetreten ist.
So manche*r, die oder der die Erklärung »Philosophy for Palestine« kennt, wird nun vermutlich auf jenen Nebensatz verweisen, in dem sich die Unterzeichnenden für »einen akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen – nicht aber Personen« aussprechen. Doch eine Debatte darüber wäre eine Nebelkerze. Es ist unwesentlich, ob Nancy Fraser unrecht hat. Entscheidend ist, dass uns die politische Mitte von Grün bis Union auf eine wie auch immer geartete »Staatsräson« der Herrschenden einschwören will. An dieser Stelle müssen wir misstrauisch werden. Denn was kommt als nächstes? Wie viel Unterwerfung unter den Sicherheits-Terrorbekämpfungs-Freiheits-Mainstream wird noch gefordert werden? Schon allein aus diesem Grund muss man der peinlichen Ausladung entgegentreten – was die wichtigsten Stimmen der kritischen Sozialwissenschaften in Deutschland von Rahel Jaeggi und Axel Honneth bis zu Oliver Nachtwey, Sabine Hark und Stephan Lessenich in einer eiligen Erklärung gestern auch getan haben: »Bliebe die Kölner Universität bei ihrer Entscheidung, würde dies (…) dem akademischen Leben hierzulande weiteren schweren Schaden zufügen.«
Doch der Rechtsruck der Mitte beschränkt sich längst nicht nur darauf, dass man der israelischen Rechten bei ihrem Krieg den Rücken frei gehalten hat. Nicht minder beunruhigend waren die Hymnen, die grüne und liberale Kommentator*innen zum gestrigen 75. Geburtstag der Nato anstimmten – des immer noch wichtigsten Kriegsbündnisses der Welt. Bellizismus oder die Unterordnung unter die »Staatsräson« können niemals Mittel sein, um Faschismus und Barbarei zu stoppen. Nicht nur der Aufstieg der AfD, sondern auch der Rechtsruck der politischen Mitte gefährdet die Demokratie.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.