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Polizeitoter in Dortmund – was bisher bekannt ist
Während mittwochmorgens fünf Dortmunder Polizisten wegen der Tötung Mouhamed Dramés vor Gericht stehen, erschießen abends Kollegen einen Wohnungslosen
Am späten Mittwochabend lag zunächst nur eine knappe gemeinsame Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft vor: An der Rheinoldikirche in der Dortmunder Innenstadt habe es gegen 19.40 Uhr eine »Bedrohungssituation für Einsatzkräfte« gegeben. Der Gebrauch einer Dienstwaffe habe eine Person verletzt, die Polizei Recklinghausen übernehme die Ermittlungen zum Sachverhalt. Ihre Spurensicherer sind danach bis spät in die Nacht in weißen Overalls am Tatort zu beobachten, am Donnerstagmorgen die traurige Gewissheit: Die angeschossene Person – ein 52-jähriger Wohnungsloser – ist kurz nach der Tat verstorben.
Dritter Polizeitoter in Dortmund seit 2022
Schnell spricht sich die Nachricht in Dortmund herum. Die Lokalpresse berichtet ausführlich, solidarische Netzwerke der Stadt informieren und aktivieren sich gegenseitig. Für die Ruhrgebietsmetropole ist dies kein neues Thema: Seit Dezember 2023 müssen sich vor dem Dortmunder Landgericht fünf an der Tötung Mouhamed Lamine Dramés beteiligte Polizist*innen juristisch verantworten, so auch an diesem Mittwoch. Der »Solidaritätskreis Justice4Mouhamed« veranstaltet regelmäßig Kundgebungen vor dem Gericht und berichtet online ausführlich über jeden der bisher zehn Prozesstage.
Bereits kurz nach Dramé, der am 8.8.2022 im Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung von der Polizei mit sechs Schüssen niedergestreckt wurde, stirbt eine weitere Person infolge eines Polizeieinsatzes in Dortmund. Noch während der von Innenminister Herbert Reul ausgerufenen »Pilotphase« für die polizeiliche Nutzung von Tasern kommt es im Oktober 2022 zum ersten offiziellen Taser-Toten in NRW: Ein Mann verstirbt nach dessen Einsatz in Dortmund Dorstfeld. Ebenfalls ein wohnungsloser Mann. Reul und seine mitregierenden NRW-Grünen weiten den Taser-Einsatz in Folge dennoch weiter aus.
Videos zeigen Schuss mitten in der Innenstadt
Auch das jüngste Opfer tödlicher Polizeigewalt scheint ersten Eindrücken nach verhinderbar gewesen zu sein. Auf nd-Anfrage erklärt die Bürgerinitiative »Schlafen statt Strafen«, man sei schockiert über die Neuigkeiten, diverse Zeuginnen der Tat hätten sich jedoch bereits gemeldet und würden »ein anderes Bild und sehr viele Fragen« aufwerfen im Vergleich zu dem, was zunächst berichtet wurde. »Nach allem, was wir wissen, gab es im Vorfeld Möglichkeiten, den Menschen ohne größeren Schaden zu überwältigen, und auch in der tödlichen Situation selbst hat die Polizei eskalativ und unprofessionell gehandelt«, erzählt Tobias von der Initiative, die sich vor zwei Jahren unter dem Motto »Hilfe statt Repression« gründete.
Am Donnerstag verbreiten sich in sozialen Medien dann, trotz gegenteiliger Bitten der Polizei, Videos der Tat. Man sieht eine hochdynamische Lage im Zentrum der Dortmunder Innenstadt, zahlreiche Passantinnen stehen in sicherer Entfernung um eine Baustelle herum, einige filmen. Hinter ihr, zwischen Metallabsperrungen und dem angrenzenden Kirchengebäude sind mindestens sechs Polizistinnen in Uniform zu erkennen. Insgesamt waren wohl mindestens zehn Beamtinnen vor Ort.
Zu sehen ist ein sichtlich aufgebrachter und neben sich stehender Mann, der sich mit einem Gegenstand der Baustelle bewaffnet hat. Zuvor soll es einen Streit zwischen ihm und einem anderen Wohnungslosen gegeben haben, der jedoch bereits durch Passantinnen geschlichtet worden sein soll. Schreie der Polizistinnen sind zu hören, mindestens vier Waffen sind auf den Mann gerichtet, das Agieren der Polizei wirkt auf den kurzen Videos planlos bis hektisch.
Mehrfach hört man das Knistern der auf den Mann gerichteten Elektrotaser, Polizisten laufen wild durcheinander, weichen panisch zurück, als sich der Wohnungslose dann auf sie zubewegt. Dieser ist nun umstellt von Polizeikräften, hinter ihm die Wand der Kirche, er hält das Baustellenschild erhoben vor sich. Ein Polizist scheint den Plan zu haben, ihn umzuwerfen, sprintet von Links los, hat den Mann eigentlich bereits erreicht, Sekundenbruchteile später hätte er ihn wohl zu Boden gebracht – da fällt ein Schuss aus nächster Nähe.
Scheinbar abgegeben vom Polizisten, der in einem Abstand von etwa zwei Metern unmittelbar vor dem Opfer steht. So lässt sich aus dem Video, aber auch dem Einschussloch folgern, das am Folgetag in der Kirchenmauer zu begutachten ist. Der heranrennende Polizist schreckt zurück, reißt die Arme vors Gesicht, landet selbst nur knapp nicht in der Schusslinie. Das Opfer sackt zusammen, das Baustellenschild knallt zu Boden, eine geschockte Passantin ist zu hören: »Die haben ihn erschossen.« Schließlich schreit ein Beamter die Umherstehenden an: »Alle zurück!«
Ermittelt wird nun abermals von der Polizei Recklinghausen
Am Tag nach dem tödlichen Schuss vermeidet Staatsanwalt Henner Kruse eine klare Einschätzung der Situation. Im Zentrum der Ermittlungen würde nun die Frage stehen, »ob die Schussabgabe rechtmäßig gewesen ist«, erst dann sei eine Bewertung möglich so Kruse gegenüber »nd«. Er bestätigt, dass das »komplette Tatgeschehen« auf einer Bodycam der Polizei aufgezeichnet worden sei – anders als im Falle Dramé, als sich nachweislich diverse Bodycams im Einsatz befanden, alle jedoch nicht aufgezeichnet haben sollen.
Die Ermittlungen führt nun ebenjene Kriminalpolizei Recklinghausen erneut – aus Neutralitätsgründen wie es immer heißt. Diese springt immer ein, wenn es in Dortmund zu Ermittlungen gegen die Polizei kommt, in den vergangen Jahren gleich mehrfach: Im Fall Dramé ermittelten sie, im Falle des Tasertoten und in dritten Fall, der ebenfalls vor einigen Wochen durch die Staatsanwaltschaft Dortmund zur Anklage gebracht wurde. In den Weihnachtstagen 2022 eröffneten Polizistinnen in der Dortmunder Nordstadt das Feuer auf ein Auto, wobei die siebzehn- und achtzehnjährigen Insassen nur durch ein Wunder weitestgehend unverletzt blieben. Derzeit entscheidet das Gericht über Zulassung der Anklage.
Zuletzt zeigte der Prozess vor dem Dortmunder Landgericht im Falle Dramés, dass die Kripo Recklinghausen die jetzigen Angeklagten lange Zeit nur als Zeuginnen führten und unzureichend belehrte, sodass derzeit im Raum steht, damals aufgenommene Aussagen könnten gerichtlich nicht verwertbar sein. Die im Prozess verlesene Chatnachricht einer angeklagten Polizistin zeigt eindrucksvoll, wie unbesorgt man in Dortmund auf die ermittelnden Kolleg*innen blickt: »Aber, es macht sich eigentlich keiner Sorgen, dass da irgendwie – ähm ja – die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt werden könnte. Der kam mit einem Messer auf uns zu und entsprechend alles gut.«
Kundgebung am Tatort
Erneut steht nun also das Einsatzverhalten und besonders der Umgang mit dynamischen Lagen und Menschen in Extremsituationen der Dortmunder Polizei im Fokus. »Leider« müsse man sagen, erstaune es nicht, dass das Opfer abermals ein Wohnungsloser sei, so Anna Flaake, Pressesprecherin von »Schlafen statt Strafen« im Gespräch mit »nd«.
Der jetzige Fall weise viele Parallelen zu den vorherigen auf, erneut sei offensichtlich, dass die Polizei Dortmund nicht empathisch oder kommunikativ agiere, sondern einzig Waffengewalt als Konfliktlösungsmethode in solche Einsätze mitbrächte. Gerade in der Innenstadt Dortmunds sei zuletzt »ein orchestriertes, hartes Vorgehen von Ordnungsamt und Polizei beobachtet worden, mit dem Ziel, die obdachlosen Menschen von dort zu vertreiben«.
Ein vom Bürgermeister und Polizeipräsident im vergangenen Jahr ins Leben gerufener Sonderstab treibe Verdrängungsbestrebungen von bereits gesellschaftlich stark marginalisierten und stigmatisierten Menschen voran. »Die Bedürfnisse und Nöte von Wohnungslosen werden dabei kaum wahrgenommen und so werden sie leider oftmals zum Spielball für Lokalpolitik, Händler*innen und Staatsgewalt«, stellt Flaake konsterniert fest.
Zwei Tage nach dem tödlichen Polizeieinsatz, riefen die Initiativen »Schlafen statt Strafen«, der »Solidaritätskreis Justive4Mouhamed« und andere Gruppen ab 19 Uhr zu einer Kundgebung an der Rheinoldikirche auf. An dieser wollten auch zwei Wohnungslose teilnehmen, die sich am Donnerstag bedrückt den Tatort anschauten und ihre Namen lieber nicht in der Zeitung lesen wollen. »Die haben doch, die haben doch … Die hätten ihn doch überwältigen können!«, sagt der eine mit stockender Stimme. »Bei elf Leuten, die werden doch geschult für so was«, entgegnet der andere. »Oftmals kommen sie aber doch mit so einer Situation nicht klar, weil sie überfordert sind. Aber dann haben sie den falschen Beruf!«
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