Russische Opposition: Uneins gegen Putin

Die russische Opposition ist untereinander zerstritten. In Russland etwas bewegen kann sie nicht mehr

  • Roland Bathon und Ruslan Suleymanov
  • Lesedauer: 5 Min.
Wladimir Kara-Mursa, Julia Nawalnaja und Ilja Jaschin am 1. März in Berlin. Ihrem Demo-Aufruf folgten nur wenige Russen.
Wladimir Kara-Mursa, Julia Nawalnaja und Ilja Jaschin am 1. März in Berlin. Ihrem Demo-Aufruf folgten nur wenige Russen.

Im März haben in Berlin die prominenten russischen Exiloppositionellen Julia Nawalnaja, Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa zu einer Demonstration gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin aufgerufen. Gefolgt sind dem Aufruf nach Angaben der Polizei nur etwa 800 Menschen. Im vergangenen November waren es noch doppelt so viele. Dabei leben in Deutschland Millionen Menschen mit russischem Hintergrund, nach Kriegsbeginn flüchteten Zehntausende Menschen aus Russland nach Deutschland. Gerade Berlin ist ein Schwerpunkt der Community.

Die überschaubare Teilnahme ist ein Symptom für die gesunkene Anziehungskraft der Oppositionsbewegung, auch wenn die Angst vor Repressionen gegen Verwandte in Russland ebenfalls viele vom öffentlichen Protest abhält. Noch 2022 bis 2024 hatten dennoch Exildemonstrationen von Russen mit mehreren Tausend Teilnehmern stattgefunden. »Die Aktion hatte keinen klaren praktischen Zweck. Viele wollen sich und ihr Leben wahrscheinlich nicht für etwas verschwenden, das offensichtlich zu keinen Ergebnissen führt«, glaubt Stanislaw Belkowskij, ein früher für große liberale Medien wie Echo Moskwy und Doschd tätiger russischer Politologe gegenüber »nd«. Gleicher Meinung ist gegenüber »nd« sein Kollege und Landsmann Grigori Judin: »Die russische Opposition hat keinen Einfluss auf die aktuelle politische Entwicklung«.

Opposition ist immer tiefer gespalten

Die wachsende Frustration ist auch Folge einer immer größeren Spaltung. Zum einen einer Entfremdung zwischen den Exilanten und den zurückgebliebenen Oppositionellen, die weiter unter massivem Druck der Repressionsmaschine des Kreml stehen. »Diejenigen, die in Russland geblieben sind, haben darauf gehofft, dass diejenigen, die ausreisen konnten, sich treu bleiben. Stattdessen gab es endlose Querelen«, so die Meinung der in Russland ausharrenden Oppositionsführerin Jekaterina Dunzowa, der 2024 die Teilnahme an der russischen Präsidentschaftswahl verwehrt wurde, laut dem Onlinemedium Meduza.

Der ebenfalls im Land gebliebene Oppositionspolitiker Lew Schlossberg gibt sich laut Meduza noch kritischer: Die Aktivitäten der politischen Emigranten hätten »absolut keine Verbindung zur Zukunft unseres Landes«. Inwieweit Exilrussen Menschen vor Ort vertreten können, die sie immer weniger kennen, ist ein zunehmender Kritikpunkt an den Exilanten, die für sich geltend machen, die »wahre Stimme« des russischen Volkes zu sein.

Streit um Haltung im Ukraine-Krieg

Der Streit ist zum anderen eine Folge sehr unterschiedlicher Ansichten innerhalb der Exilanten. Eine Fraktion setzt dabei auf die Unterstützung der Ukraine und eines harten westlichen Kurses gegenüber dem Kreml, fordert sogar zu Spenden für die ukrainische Armee auf. Solche Aktionen werden von der Propaganda russischer Staatssender dankbar aufgegriffen, um alle Liberalen als Verräter zu brandmarken.

Die Vertreter dieses Kurses ficht das nicht an. »Das ist sozusagen ein Kampf gegen Putin bis zum siegreichen Ende nach dem Prinzip von Napoleon Bonaparte. Man muss ewig kämpfen, denn man verliert nicht mit Niederlagen, sondern wenn man aufhört zu kämpfen«, analysiert die zugrunde liegende Einstellung Belkowskij gegenüber »nd«. Das sei auch die wirkliche Einstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die dieser nur unter starkem Druck der USA nun nicht mehr öffentlich vertrete. So ist diese Fraktion, komplett anders als etwa die Antikriegsopposition in Russland 2022, nicht an einer baldigen Beendigung der Kämpfe interessiert, sondern an einem kompromisslosen Sieg über Putin. Dieser ist nach Meinung von Belkowskij jedoch unerreichbar – der Prozess werde so wichtiger, als das Ergebnis.

Für den Staat ist die Opposition ein einfacher Gegner

Die andere Fraktion ist gegenüber dem Westen und der Ukraine misstrauischer und sieht diesen radikalen Kurs als kontraproduktiv an. »Als Bürger der Russischen Föderation kränkt es mich, dass die Interessen der Ukrainer und unserer ausgereisten Mitbürger in den Mittelpunkt gestellt werden. Und wir in Russland werden irgendwie ausgeschlossen.« So sei es nicht möglich, Menschen in Russland zu erreichen, glaubt Maxim, früherer Aktivist von Nawalnys Organisation gegenüber Meduza. Stanislaw Belkowskij denkt, dass solche Skeptiker in Oppositionskreisen überzeugt seien, dass die Ukraine gegenüber der russischen Opposition nicht loyal sei. »Dass für die Mehrheit der Ukrainer alle Russen im Allgemeinen über einen Kamm geschoren werden, unabhängig von ihrer politischen Position«. Nur direkte Forderungen nach einer Zerstörung Russlands und der Russen könnten bei einem bedeutenden Teil der ukrainischen Gesellschaft Anklang finden.

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Belkowskij ist überzeugt, dass zwischen den Fraktionen keine Einigkeit mehr zustande kommen wird. »Im Grunde hat die russische Opposition nie versucht, sich zu vereinen. Sie bestand immer aus einer großen Zahl miteinander konkurrierender Organisationen und Clans.« Für den russischen Staat sei sie ein einfacher Gegner. »Die russische Opposition kann nichts machen, mit einer Vereinigung gar nichts gewinnen«, glaubt Judin.

Keine Ideen für eine Zeit nach Putin

Die tiefe Ursache für die Krise ist eine Perspektivlosigkeit. »Niemand hat eine Idee, wie man Putin aus dem Kreml vertreiben oder den Krieg beenden kann«, zitiert Meduza einen leitenden Mitarbeiter der in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial. Belkowskij ist ähnlicher Meinung. »Wenn Wladimir Putin in naher Zukunft nichts Schlimmes zustößt, wird die derzeitige Opposition nicht in der Lage sein, am Machtkampf teilzunehmen. Und selbst wenn es zu einem Machtkampf kommt, werden diejenigen an erster Stellen stehen, die sich in der Russischen Föderation befinden. Möglicherweise tauchen völlig neue Figuren auf, über die wir heute noch nichts wissen.«

Memorial versucht mit der Aktion »100 Tage nach Putin« einen Plan der dringendsten Maßnahmen aufzustellen, »um nach einem Regierungswechsel den Frieden und die politische Freiheit in Russland wiederherzustellen«. Ob solche Konzepte nach einem Ende Putins, das physisch irgendwann kommen wird, für die politische Realität in Russland eine Rolle spielen werden, ist zweifelhaft.

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