Benjamin Netanjahu steht unter Zugzwang

Seine politischen Gegner wollen Neuwahlen, die Koalitionspartner die Offensive auf Rafah

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie stark der Druck auf Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu mittlerweile ist, zeigt sich an einer Personalie: Als sich am Sonntag die Vermittler aus Katar und Ägypten erneut in Kairo mit den Vertretern der israelischen Regierung und der Hamas trafen, saß auch William Burns mit am Tisch, Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA. In Washington will man Ergebnisse sehen, ein Ende des Krieges.

In Israel versucht die Regierung, die Öffentlichkeit darauf einzuschwören, dass man einen Preis werde bezahlen müssen, um die restlichen rund 100 Geiseln freizubekommen, die sich noch in Händen der Hamas befinden. Denn der Krieg ist nicht so verlaufen, wie er sollte: Nichts deutet darauf hin, dass die Hamas zerstört wurde; wie geschwächt sie durch den sechsmonatigen Krieg ist, wird sich zeigen müssen.

Davon hängt auch ab, wer den Gazastreifen künftig kontrolliert und ob es möglich sein wird, Angriffe wie jenen am 7. Oktober 2023 auszuschließen. Und ob es in einigen Jahren zu einem weiteren Krieg kommen wird. CIA-Chef Burns war offensichtlich in Kairo, um Israels Regierung zu Zugeständnissen zu drängen. Doch in den Tagen nach der Gesprächsrunde wurde auch öffentlich, dass es davon allein nicht abhängt.

Am Sonntag wurde zudem bekannt, dass Israels Militär mittlerweile einen Großteil der Soldaten abgezogen hat. Israelische Truppen stehen nur noch rund um Rafah im Süden und am sogenannten Netzarim-Korridor, einer Schneise quer durch den Gazastreifen, benannt nach einer 2005 geräumten Siedlung. Damit verbleiben vier Brigaden mit rund 12 000 Soldaten.

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Außerdem hatte Israels Regierung einen Vorschlag für einen Waffenstillstand vorgelegt. Doch der wurde mittlerweile von der Hamas-Führung abgelehnt. Die beharrt darauf, dass sämtliche Forderungen erfüllt werden, »wohl wissend, dass dadurch das Leiden der Bevölkerung verlängert wird«, wie ein Mitarbeiter des ägyptischen Außenministeriums erkennbar frustriert anmerkt.

Offensichtlich plant man mit seinen iranischen Partnern bereits den nächsten Coup: Mehrfach hoben das israelische Militär und die palästinensische Polizei in den vergangenen Wochen im Westjordanland große Waffenlager und -transporte aus. Dies sei Teil eines gut durchgeplanten Schmuggelnetzwerks, an dem die iranischen Revolutionsgarden beteiligt seien, berichtet die »New York Times«. Auch Vertreter der jordanischen und der palästinensischen Regierung bestätigen, dass derzeit versucht werde, die Hamas im Westjordanland massiv aufzurüsten.

Bei der palästinensischen Regierung ist man alarmiert: Vor einigen Wochen waren Regierungschef Mohammad Schtajjeh und sein Kabinett zurückgetreten, um Platz für eine Einheitsregierung zu machen, die auch für die Hamas akzeptabel wäre. Neuer Premier wurde Mohammad Ibrahim, langjähriger Wirtschaftsberater von Präsident Mahmud Abbas. Dies sollte den Weg für eine gemeinsame Verwaltung beider Landesteile frei machen. Dass die Hamas nun aufrüste, sei ein deutliches Zeichen dafür, dass sie die gesamte Kontrolle übernehmen wolle, sagen Mitarbeiter von Abbas.

Gleichzeitig richten sich nun sämtliche Augen auf Rafah. Denn auch wenn die meisten israelischen Soldaten abgezogen sind und der Druck auf Netanjahu enorm ist: Der Regierungschef hält an der geplanten Offensive fest und erklärte, man habe ein Datum für ihren Beginn festgelegt.

Auch im Innern steht Netanjahu unter Zugzwang: Alle Parlamentsfraktionen, die nicht an der Regierung beteiligt sind, fordern Neuwahlen. Und das ultrarechte Parteienbündnis Religiöser Zionismus, von dem Netanjahus Parlamentsmehrheit abhängt, macht seinen Verbleib in der Koalition von der Rafah-Offensive abhängig. Dass man sich auf einen jener Kompromisse einlässt, mit denen es Netanjahu seit 2009 schaffte, an der Macht zu bleiben, scheint dieses Mal ausgeschlossen.

Bei Neuwahlen würde Netanjahus Likud den Umfragen zufolge eine Niederlage kassieren: Nur noch weniger als 20 der 120 Parlamentssitze könnte die Partei künftig besetzen, was wiederum dazu führt, dass auch der innerparteiliche Dissens mittlerweile sehr deutlich ist: Die Forderungen nach einem Wechsel an der Spitze werden immer lauter.

Denn für eine künftige Regierungsbeteiligung wird man Parteien in der derzeitigen Opposition brauchen, die aber eine Partnerschaft mit Netanjahu wegen dessen Korruptionsaffären kategorisch ausschließen. Und auf den Straßen wächst die Zahl der Demonstranten gegen Netanjahu.

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