Estrel Tower in Berlin-Neukölln: Blanker Hohn

Das neue Hotel in Neukölln erinnert daran, dass Berlin Wohnungen bauen könnte – Investor*innen aber nutzlose Türme vorziehen

Baustelle des Estrel Tower im Bezirk Neukölln.
Baustelle des Estrel Tower im Bezirk Neukölln.

Langsam erhebt sich der Rohbau des Gebäudes über Neukölln, so unheilvoll wie Barad-dûr mit dem Auge Saurons aus der Filmreihe Herr der Ringe. Wenn er nächstes Jahr fertig ist, wird der Estrel Tower mit 45 Stockwerken das höchste Gebäude Berlins sein. Schon jetzt ist er unübersehbar und ragt über jede Straße hinaus.

Dieser Turm ist eine Erweiterung des Estrel Hotels auf der anderen Straßenseite. Das größte Hotel Deutschlands wurde 1995 eröffnet und liegt seltsamerweise mitten in einem Industriegebiet am Neuköllner Schifffahrtskanal. Das Kongresszentrum ist eingezwängt zwischen einem Schrottplatz und einer Fabrik zum Nachahmen von Nutella. Es ist einer der ärmsten Bezirke Berlins: Die Weiße Siedlung, ein Wohnprojekt neben dem Estrel, wird von privaten Investoren systematisch heruntergewirtschaftet.

Red Flag

»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.

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Direkt neben dem Hotel schneidet die innerstädtische Autobahn A100 eine tiefe Schneise durch die Stadt. Das habe ich mich immer gefragt: Warum will jemand, der sich ein schickes Hotel leisten kann, auf die Autobahn und die Nougat-Creme-Fabrik hinunterschauen? Vor zehn Jahren erklärte der damalige, ultra-rassistische Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky die Lage zu einer Besonderheit: Man kann mit dem Auto quasi direkt in die Lobby fahren! Viele deutsche Spießbürger*innen wollen einen Kongress in Berlin abhalten – aber ohne auf gruselige Berliner*innen zu treffen. Hier können sie vom Parkhaus bis zu ihrem Hotelzimmer fahren, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen.

Während die Wohnungsnot in Berlin immer größere Ausmaße annimmt und Studierende 640 Euro für ein Zimmer zahlen, hat die Stadt den Bau von Wohnungen praktisch aufgegeben. Der größte Vermieter, Vonovia, hat erklärt, dass man den Bau von Wohnungen eingestellt hat – es sei einfach zu teuer. Doch überall sehen wir Kräne für Hotels und Büros. Könnten die Menschen nicht im Estrel Tower wohnen?

Das macht das Projekt so abscheulich: Während junge Menschen von einer sechsmonatigen Untermiete zur nächsten ziehen, errichtet die Bourgeoisie ein Denkmal für ihre eigene kolossale Gleichgültigkeit. »Wir wissen, dass ihr Wohnraum braucht«, schreien sie uns von ihrem Turm aus zu, »aber es ist uns egal«. Statt zu bauen, fließt das Kapital nun in die Spekulation mit bestehenden Gebäuden, was die Preise und Mieten noch weiter in die Höhe treibt.

In diesem Kontext ist das Immobilienimperium von René Benko zusammengebrochen. Der österreichische Milliardär besitzt Immobilien in der ganzen Stadt – am bekanntesten ist das Luxuskaufhaus KaDeWe. Besser gesagt, Benko hatte Immobilien, denn seine Signa-Gruppe ist in Konkurs gegangen. Das ist eine gute Nachricht für die Berliner*innen: Neukölln bleibt zumindest ein anderer nutzloser Turm erspart, nämlich der Neustart des Karstadt-Palastes am Hermannplatz.

Während Journalist*innen die »Ruinen« durchsuchen, erfahren wir, wie Benko von einem Schulabbrecher zu einem der weltbesten Immobilienspekulanten wurde, der sich sogar das Chrysler Building unter den Nagel riss. Benkos Fähigkeiten bestanden darin, das Vertrauen von Milliardär*innen zu gewinnen, korrupte Geschäfte mit Politiker*innen zu machen und Geld in seinem Imperium hin und her zu schieben, bis niemand mit durchstieg. In den vergangenen Jahren hat er mindestens 700 Millionen Euro der deutschen Steuerzahler*innen erhalten. Mit diesem Geld sollten Arbeitsplätze in Kaufhäusern »gerettet« werden – doch damit wurde nur ein Kartenhaus gestützt. Vielleicht hätte man das Geld direkt an die Beschäftigten schicken können, statt an ihre Ausbeuter.

Ich bin sicher, dass es Bauträger gibt, die keine soziopathischen Glücksspieler, Mafiosi und korrupten Geschäftsleute sind – ich bin mir nur nicht sicher, wer das ist. Während Donald Trump in den Vereinigten Staaten vor Gericht steht, erinnern uns seine Verteidiger daran, dass seine Finanztricks »von jedem Immobilienentwickler überall auf der Welt angewandt werden«, und dass »dies nie strafrechtlich verfolgt wurde«, wie der kanadische Investor Kevin O'Leary sagt. Und das ist wahr. Doch wenn einer von uns ähnliche Taktiken anwenden würde, um einen Bankkredit zu erhalten, müssten wir wohl damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen. Wir akzeptieren einfach ein gewisses Maß an kriminellem Verhalten in der Immobilienbranche.

Wenn wir wollen, dass Spekulant*innen die Wohnungskrise in Berlin lösen, werden wir nur noch mehr nutzlose Hochhäuser bekommen. Die einzige Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen, besteht darin, ihn unter öffentliche, demokratische Kontrolle zu stellen. In gewisser Weise ist das unsere Schuld. Die Regierenden dieser Stadt sind offensichtlich nicht besorgt über die Errichtung von Barrikaden. Sie sind sogar so zuversichtlich, dass sie den Estrel-Turm errichten, um uns zu verhöhnen.

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