Die polnische KZ-Überlebende und ihre Tochter

79. Jahrestag der Befreiung der Lager Ravensbrück und Sachsenhausen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Unser Güterzug mit Waggons ohne Dach hielt während der Nacht an. Es war dunkel, aber ein schreckliches Scheinwerferlicht erschreckte mich. Männer mit Hunden warteten bereits auf uns und wir mussten aus den Waggons springen. Ich war neun Jahre alt und ängstigte mich.« So erinnert sich Barbara Piotrowska an ihre Ankunft im Konzentrationslager Ravensbrück am 5. Oktober 1944. Ihre Familie war während des Warschauer Aufstands aus der Wohnung und in ein Sammellager getrieben und dann nach Deutschland deportiert worden.

Barbaras Vater kam Anfang Dezember 1944 im KZ Neuengamme um. Doch sie selbst und ihre Mutter überlebten und kehrten 1946 in das zerstörte Warschau zurück, wo Barbara die Schule abschloss, studierte und als Ingenieurin für Präzisionsmechanik mehr als 40 Jahre am Zentralinstitut für Messwesen tätig war.

An diesem Sonntag wird Barbara Piotrowska bei den Feierlichkeiten zum 79. Jahrestag der Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen in der Gedenkstätte Ravensbrück eine Ansprache halten. Auch ihre Tochter Katarzyna wird dort sein und bereits am Samstag bei der Veranstaltung »Die Stimmen der zweiten und dritten Generation« auf dem Podium sitzen. Angehörige werden dort berichten, wir die Erfahrungen der Überlebenden »ihr eigenes Leben geprägt haben und wie sie ihre Rolle in der Erinnerungsarbeit verstehen«. So ist es angekündigt.

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Mit dabei Ib Katznelson, ein dänischer Jude, der im Alter von zwei Jahren mit seiner Mutter nach Ravensbrück gelangte. Er kann sich selbst nicht daran erinnern, er war zu jung – hat aber 2019 in einem Buch der französischen Widerstandskämpferin Germaine Tillions (1907–2008) gelesen, wie er beinahe ermordet worden wäre. Im Krankenrevier habe SS-Arzt Percival Treite den an Diphterie erkrankten Jungen auf den Schoß genommen, ihm einen Apfel gegeben und gesagt. »Er ist geheilt, wir können ihn nach Auschwitz schicken.« Treite habe gewusst, was dies für Katznelson bedeutet hätte. Häftlinge brachten den Jungen, der auf der Liste für einen Transport nach Auschwitz stand, aus dem Revier weg und retteten ihm so das Leben.

Richard Fagot war neun Jahre alt, als im April 1945 polnische und sowjetische Soldaten das KZ Sachsenhausen befreiten, woran an diesem Wochenende ebenfalls erinnert wird. Fagot hat aber nicht allein in diesem Lager gelitten, sondern auch im KZ Ravensbrück. »Nur dank einer Reihe an Wunder grenzender Zufälle« sei es ihm gelungen, »diese Hölle zu überleben«, erklärte er vor vier Jahren in einer Videogrußbotschaft aus Israel. Es war die Zeit der Corona-Pandemie und Fagot konnte nicht zum Jahrestag der Befreiung anreisen. Dieses Jahr will er persönlich in Ravensbrück sein und dort das Wort ergreifen. Insgesamt werden zu den Veranstaltungen acht Überlebende erwartet. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat sich angekündigt.

Zum Programm gehört auch das Gedenken bereits an diesem Freitag im Belower Wald bei Wittstock. Dort gibt es das Todesmarsch-Museum. Beim Herannahen der Front hatte die SS das KZ Sachsenhausen geräumt, nur 3000 kranke Häftlinge dort zurückgelassen und die übrigen in Gewaltmärschen nach Nordwesten getrieben. Wer nicht Schritt halten konnte, wurde im Straßengraben erschossen. Im Belower Wald mussten damals mehr als 16 000 Häftlinge mehrere Tage unter freiem Himmel ausharren. Zum Gedenken daran wird Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erwartet.

Am Montag enden die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung mit dem traditionellen Gedenken am KZ-Außenlager Klinkerwerk in Oranienburg im Beisein des tschechischen Botschafters Tomáš Kafka. In diesem besonders mörderischen Lager mussten einst auch tschechische Studenten schuften, die sich in ihrer Heimat gegen die deutschen Besatzer gewehrt hatten.

Zum Programm des Wochenendes gehört auch, dass am Sonntag ein Projekt »Wir intervenieren! Kritische Perspektiven auf die Ausstellung ›Sinti und Roma im KZ Sachsenhausen‹ vorgestellt wird«. Diese Ausstellung ist Teil der schon vor 20 Jahren im ehemaligen Krankenrevier von Sachsenhausen eröffneten Dauerausstellung »Medizin und Verbrechen«. Seither hat sich der Umgang mit rassistischen historischen Begriffen und der Umgang mit problematischen Exponanten gewandelt. Mehr Sensibilität ist gefragt. Ohnehin hat die Stiftung brandenburgische Gedenkstätten auf dem Schirm, dass etliche ihrer sehr alten Dauerausstellungen einer Aktualisierung bedürfen.

Im konkreten Fall wird zunächst kurzfristig mit der Intervention reagiert – einer inzwischen in der Kunstszene sehr modernen und häufig angewandten Methode. Auf Einladung der Stiftung und des Bildungsforums gegen Antiziganismus machten sich Sinti, Roma und andere ihre Gedanken etwa zu den in der Austellung gezeigten Gesichtsmasken und Kopfplastiken.

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