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Kaffee mit Ei, Kaffee mit Salz

Oder mit Tee vermischt: Der Einfallsreichtum, mit dem in Vietnam das Heißgetränk zubereitet wird, sucht seinesgleichen

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 7 Min.
Eierkaffee, hier in einem Café in der Hanoier Alststadt besonders kunstvoll verziert
Eierkaffee, hier in einem Café in der Hanoier Alststadt besonders kunstvoll verziert

»Mag schon sein«, doziert Lucas, sobald sich seine Gäste um einen Stehtisch versammelt haben, »dass Vietnam keinen Ruf dafür hat, den besten Kaffee zu produzieren.« Aber, erklärt der junge Mann aus Hanoi, der sich für sein internationales Publikum auch einen internationalen Namen verpasst hat: »Wer denkt, wir hätten hier nichts Besonderes zu bieten, liegt eindeutig falsch.« Kein Land der Welt sei in seiner Art, Kaffee zu trinken, vergleichbar mit Vietnam, beteuert der Röster. »Versprochen!«

Lucas, ein stämmiger Herr mit schulterlangem Haar, arbeitet für die Su Quang Roastery im historischen Zentrum Hanois, der vietnamesischen Hauptstadt. Das, was er an diesem Nachmittag macht, tut er zwei- bis dreimal am Tag: Besuchenden aus aller Welt erklären, wie einzigartig die Kultur seines Landes sei, wenn es um eines der weltweit beliebtesten Getränke gehe: Kaffee. »Wir kommen weniger über die Bohnen als über die Zubereitungen«, behauptet er. Was für seine These spricht: Die Kurse, die darüber informieren, wie man in Vietnam seinen Kaffee trinkt, sind täglich ausgebucht.

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Weltweit gelten Brasilien, Kolumbien oder Äthiopien als Hochburgen des koffeinhaltigen Wachmachers. Allmählich aber spricht sich eben auch herum, dass Vietnam dazugehört. Schon länger ist das südostasiatische 97-Millionen-Land der nach Brasilien zweitgrößte Kaffeeproduzent des Planeten. Das hat viel mit der DDR zu tun, die Ende der 70er Jahre den Kaffeeanbau im Bruderstaat mit agrartechnischem Knowhow anzukurbeln half, weil der Weltmarktpreis für Kaffee hoch und Devisen knapp waren.

In Deutschland boomen seit einiger Zeit auch vietnamesische Restaurants, die nach den Gerichten oft »vietnamesischen Kaffee« anbieten – dann kommt ein Glas an den Tisch, dessen Boden mit einer üppigen Schicht Kondensmilch bedeckt ist. Darüber ein kleiner Filter aus Metall, durch den ein starker Kaffee aus meist nussiger Bohne tröpfelt.

Am liebsten mit Kondensmilch

»Das trinken wir hier sehr häufig«, betont Lucas, der Röster. Es ist die günstigste Art, seinen Kaffee zu trinken. In den unzähligen Cafés vietnamesischer Städte, in denen man oft auf kniehohen Plastikstühlen direkt am Gehweg Platz nimmt, kostet ein »Ca Phe Sua Da« (Kaffee mit Kondensmilch) meist um die 15 000 Dong (60 Cent). Für Wohlstand steht diese Machart allerdings kaum, denn die Kondensmilch darin ist ein billiger Ersatz aus einer Zeit, als Milch eine teure Mangelware war – zu Beginn der Geschichte des vietnamesischen Kaffees.

Straßencafé in Hanoi
Straßencafé in Hanoi

Sie startet in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Frankreich hier Kolonialmacht wurde. Damals wollten die europäischen Imperialisten im fernen Südosten nicht auf ihre Kaffeekultur verzichten, sodass sie ein paar Bohnen mitbrachten. Vietnamesische Bauern machten sich mit den Pflanzen vertraut, wurden allmählich meisterhaft im Anbau. Die Kolonialherren waren auch sichtlich zufrieden, in Vietnam boomte noch im 19. Jahrhundert eine Kaffeehauskultur französischen Einschlags. Zu weltweitem Ruhm brachte es Vietnam aber kaum. Das Land wurde zu einem wichtigen Kaffeeexporteur – doch bis heute werden die Produkte meist in Packungen mit günstigem Kaffee gemischt.

»Unsere klimatischen Bedingungen eignen sich vor allem für Bohnen des Typs Robusta«, erklärt Lucas. Feinschmecker schwören dagegen eher auf Arabica-Bohnen. »Aber was die Feinschmecker oft nicht wissen«, sagt Lucas und hebt mahnend seinen Zeigefinger: »Wir machen aus jeder Bohne einen hervorragenden Kaffee.« Die bonbonsüße Variante des Ca Phe Sua Da mit Kondensmilch ist nur das simpelste, ja primitivste Rezept. Röster und Barristas in Hanoi und anderen Städten zeichnen sich immer dadurch aus, alle möglichen Getränketypen zu beherrschen. Diverse Städte haben ihren Klassiker.

Mit Eidotter schaumig geschlagen

Im nördlich gelegenen Hanoi trinkt man zum Beispiel gern Eierkaffee, für den Eidotter ins Getränk gegeben wird. Populär wurde der Drink im Vietnamkrieg, als Frankreich und die USA nach dem Zweiten Weltkrieg das Land in Ruinen verwandelten. Milch war einmal mehr Mangelware. Aber ein findiger Kaffeehausbetreiber mixte das zusammen, was ihm blieb: Aus Eigelb, etwas Kondensmilch und Honig rührte er eine schaumige Masse, die er dann wie ein Häubchen auf den Kaffee setzte. Das Getränk gehört heute zu den beliebtesten des Landes. Kein Wunder – es schmeckt wie ein flüssiger, sämiger Kaffeekuchen.

Vietnamesische Restaurants in Deutschland bieten Eierkaffee nicht an, viele Ämter würden in rohen Eiern Salmonellengefahr befürchten. Ein anderes Getränk, das man ohne Probleme auch weltweit anbieten könnte, ist Salzkaffee. In Vietnam trinkt man ihn überall, häufig aber um die einstige Kaiserstadt im Zentrum des Landes, in deren Region auch der meiste Kaffee angebaut wird. Zu einem schwarzen Kaffee wird hier eine leichte, süße Creme gegeben, die allerdings durch eine gute Prise Salz geprägt ist. Das Ganze schmeckt latent nach »Salted Caramel«, denn das Salz überdeckt einige Bitterstoffe im Kaffee.

Mit Kokosraspeln und Kokosmilch

Die Liste von Spezialitäten, die es kaum irgendwo, vielleicht nirgendwo sonst gibt, ist noch viel länger. Mal findet man Mischungen aus Matcha Latte mit Kaffee, dann ist Eiskaffee mit Jelly im Angebot. Auch ein Schwarztee-Kaffee-Mix gehört zum Standard. Ebenso wenig wundert man sich in Vietnam, wenn an der Wand hinter der Theke ein Begriff wie Kokoskaffee prangt. Hierfür wird der Kaffee mit Kokosraspeln und Kokosmilch verfeinert, dazu meist Crushed Ice und etwas heißes Wasser. Es ist ein Wechselbad der Geschmäcker in diesem für Kaffeekultur verblüffend wenig bekannten Land.

Vor gut 100 Jahren galt Wien als Welthauptstadt des Kaffees. Die Kaffeehäuser in der österreichischen Hauptstadt waren nicht nur berühmt für ihre luxuriösen Säle mit großer Auswahl an Zeitungen, sondern eben auch für innovative Kaffeekreationen wie den Verlängerten (Espresso mit Wasser) oder den Fiaker (mit Kirschwasser, Schlagsahne und Kirsche). Seit jeher gilt auch Paris als Metropole für Kaffee – wenngleich man dort vor allem Café au lait (Milchkaffee) trinkt. Und Seattle, Heimat von Starbucks und weiteren Ketten, zählte spätestens ab den 1990er Jahren zu den Orten, die die neuesten Ideen brachten. Müssten als Nächstes nicht die Städte Vietnams berühmt werden?

Liebhaberinnen teilen die Geschichte der Kaffeekultur oft in Wellen ein: Die erste schwappte im 19. Jahrhundert, als Kaffee zumindest in der westlichen Welt zum Massenprodukt wurde. Die zweite Welle begann in den 1990er Jahren mit Kaffeehausketten wie Starbucks, gefolgt von der dritten Welle ab den 2000er Jahren, als Kaffee zusehends nicht mehr als Mischung verkauft wurde, sondern als Produkt aus nur einer einzigen Bohnensorte. Kaffee wurde damit zum Gourmetprodukt, auf einer Stufe mit edler Schokolade oder Wein. Könnte die nächste Welle eine neue Genussvielfalt bieten, in der Kaffee wieder mehr gemischt wird, eben auf neue Weise?

Fermentation im Wieseldarm

Kaffeebauer in der Provinz Dac Lac
Kaffeebauer in der Provinz Dac Lac

Wobei Vietnam auch schon für Feinschmecker der dritten Welle etwas bietet – zum Beispiel Wieselkaffee. Am Rande des Stadtzentrums von Saigon, der größten Metropole im Süden, hält Thuy Uyen Bui ein paar verklebte, harte Bohnen in der Hand und grinst: »Das hier ist die Scheiße!«, sagt die junge Frau auf Englisch. Kein Scherz: Es sind die Exkremente eines Wiesels, das auf der Farm des Café Legend Revived frei herumliegende Bohnen gegessen, verdaut und wieder ausgeschieden hat. Dieses Endprodukt ist dann der Rohstoff für heiß aufgegossenen, schwarz genossenen Kaffee.

Auch diese Machart hat ihre Ursprünge in der Kolonialzeit. Denn die vietnamesischen Bauern mussten Kaffee zwar anbauen, durften ihn aber anfangs nicht verzehren. Eines Tages kam dann ein Bauer auf die Idee, einfach das Ausgeschiedene eines Wiesels zu rösten. Bald sprach sich herum, dass diese leicht nussige, holzige, matte Note köstlich war. Später fand man heraus, dass es die Verdauungsenzyme der Wiesel sind, die die Bohnen so fermentieren, dass sie am Ende ihren besonderen Geschmack erhalten.

Aus Abfall wurde Luxus. Eine Tasse kostet hier umgerechnet rund zehn Euro. In einem Land, wo das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf rund 3700 Euro beträgt, ist das ein kleines Vermögen. Anderswo in der Metropole gibt es längst synthetische Duplikate, die eine günstige Alternative mit ähnlichem Geschmack bieten. Aber im schlicht eingerichteten Café Legend Revived, das am Rande einer staubigen Straße eher wie eine überdachte Terrasse wirkt, gibt es nur das teure Original. Gut besucht ist das Geschäft trotzdem, oder gerade deshalb.

»Für uns Vietnamesen ist Kaffee viel mehr als nur ein Getränk«, erklärt Thuy Uyen Bui. Die junge Frau will wohl sagen, dass Kaffee für die Menschen hier eine gesellige Angelegenheit ist, ein besonderes Genussmittel, das auch mal was kosten darf, eine Möglichkeit zur Kontemplation. Aber auch sprichwörtlich hat sie recht: In Vietnam ist Kaffee mehr als ein Getränk. Er ist sehr viele verschiedene Getränke.

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