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Wrestling: Kampf-Sternchen zwischen den Geschlechtern
Chelsea Marie gilt als Exotin beim Wrestling und sorgt für Furore auf den Philippinen
Die Halle tobt, als Chelsea Marie hereinstolziert. Zu ihrer Musik läuft sie einmal um den Ring herum, klatscht die Hände der Fans ab, spaziert durch die engen Gänge wie auf einem Catwalk. Dann steigt sie den Ring hinauf, schiebt die Seile hoch, um langsam und lasziv durchzusteigen. Sie liebt die Aufmerksamkeit. So wie die 400 Anwesenden offenbar auch sie lieben.
Als die Ringglocke ertönt, rennen im Blackbox Theatre in Manila, der Hauptstadt der Philippinen, vier Kämpferinnen aufeinander los: Es geht um den Titel der Manila Wrestling Federation, der größten Wrestlingliga der Philippinen. Wie immer im Wrestling entsprechen die Figuren, die sich hier in einer Stuntshow bekämpfen, ein paar gewöhnlichen Archetypen: Eine von ihnen gibt den Verschnitt von Wonderwoman; eine andere ist maskiert wie beim Lucha Libre, dem mexikanischen Wrestling; die dritte tritt auf wie eine kämpfende Geisha.
Aber dann ist da eben Chelsea Marie: eine Transfrau. Damit ist die 31-jährige Filipina auf viele Weisen besonders. Nach ihrem Kampf im Ring wird sie lachend über sich sagen: »Ich hab’ keine ausgedachte Figur.« Das im Ring sei einfach sie selbst. »Beim Wrestling liebe ich die Idee von Frauen, die draufhauen und krass drauf sind. So will ich sein, als sexy Version davon.«
Die Entwicklung dieser Chelsea Marie ist sensationell, einfach so, wie sie ist. Die Welt des Sports ist schließlich streng eingeteilt in Männer und Frauen. Personen, die diesen binären Kategorien nicht entsprechen, werden im Wettbewerbssport immer wieder ausgeschlossen oder mit harten Auflagen belastet. Wer zum Beispiel trans ist, habe oft einen Kraftvorteil, heißt es.
Das prominenteste Beispiel hierfür ist die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, die zwar nicht trans ist, aber über mehr männliche Hormone verfügt als die meisten Frauen – und kritischen Stimmen zufolge dadurch einen Wettbewerbsvorteil habe. Der Sportgerichtshof CAS hat entschieden, dass Semenya Medikamente nehmen muss, um ihren Testosteronspiegel zu senken, sofern sie noch an Wettbewerben teilnehmen will.
Es geht um den Konflikt »Fairness oder Inklusion«, wie es Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbands World Athletics, beschrieben hat. Was ist wichtiger: Die Fairness, dass unter den Teilnehmenden gleiche Chancen auf Erfolg bestehen? Oder Inklusion, damit alle mitmachen dürfen? Das letzte Wort scheint in dieser Debatte noch längst nicht gesprochen. Aber bisher tendiert man im Hochleistungssport klar zu Fairness, auf Kosten der Inklusion, so wie es auch Sebastian Coes Verband bevorzugt.
Die zweimalige 800-Meter-Olympiasiegerin Semenya allerdings weigert sich bis heute, entsprechende Medikamente zu nehmen. Weiterhin prozessiert sie gegen den Verband, eine Neuauflage des Verfahrens ist für 2024 erwartet. Und Semenya ist längst nicht der einzige Fall, der für Aufregung sorgt. Bei den Olympischen Spielen von Tokio 2021 nahm die neuseeländische Transfrau Laurel Hubbard im Gewichtheben der Frauen teil, allerdings nur, weil ihr Testosteronlevel niedrig genug war.
Hubbard hatte zuvor als männlicher Gewichtheber kaum Karriere gemacht. Nach ihrem Übergang zur Frau wurde sie 2012 rasch WM-Zweite. Hubbard erklärte damals: »Vor zehn Jahren wäre die Welt wohl nicht bereit gewesen für eine Athletin wie mich, und vielleicht ist sie es noch heute nicht.« Jedenfalls wird die Diskussion über Geschlechterkategorien weiterhin hitzig geführt.
Aber im Wrestling, wo die Kämpfe nur Show sind, insofern also gar kein Wettbewerb besteht? Da gibt es zwischen Fairness und Inklusion keinen Widerspruch. Und in der Manila Wrestling Federation (MWF) versucht man, sich das zum Vorteil zu machen. Am Rande des Rings sieht Veronica Shannon zu, die Gründerin und Ko-Chefin der Liga. Sie ist selbst Transfrau, und über die MWF sagt sie, dass sie inklusiv sei. »Jede Person ist bei uns willkommen!«
Schon 2018 hatte Shannon selbst ihre Transition im Ring dieser Wrestlingliga. »Die Leute sahen mir hier dabei zu, wie ich von Mike zu Veronica wurde«, erzählt sie mit lauter Stimme, während vor ihr ein Match zwischen zwei sehr muskulösen Männern läuft. Die Kultur hier sei nun mal sehr offen – offener als anderswo. »Vor meinem Schritt damals hatte ich mich mit Leuten aus dem Profisport über ein Coming-out ausgetauscht, und oft hieß es, es gebe keinen Platz für LGBTQ-Personen.«
Aber der Fakt, dass Veronica Shannon dann doch von den Leuten unterstützt wurde, sei großartig, findet sie. Shannon hat nun große Pläne für die Liga: »Wir werden jetzt seit Kurzem endlich im landesweiten Fernsehen ausgestrahlt, und wir wollen noch weiter wachsen. Wir wollen die WWE von Südostasien werden.« Die WWE ist die größte Wrestlingliga der USA und damit der Welt.
Ein Kernbestandteil der Wachstumsstrategie ist Chelsea Marie. Sie gehört in der größten Liga ihres Landes zu den populärsten Figuren. Im Moment gibt sie täglich Interviews. Davon ist sie selbst noch ein bisschen überwältigt: »Ehrlicherweise hatte ich nie den großen Traum, Wrestlerin zu werden: Ich meine, ich bin nicht in den USA, und ich bin trans. Wie soll das gehen?«
Dass sie trans ist, habe sie schon als Kind gewusst, sagt sie. Mut zum Wrestling fasste sie erstmals 2016, als im Fernsehen eine Reality-Show lief, die US-amerikanische Wrestlerinnen im Ring und außerhalb porträtierte. »Ich liebe ja Reality Shows«, ruft Chelsea Marie und lacht. »Und dann dachte ich: Hm, die sind interessant. Ich will das auch!« 2019 schrieb sie zum ersten Mal einige Wrestlingligen an und fragte, ob sie sich bewerben könne. »Die MWF hat geantwortet und bot mir an, mit ihnen zu trainieren.«
Allerdings hatte man auch dort noch kaum Erfahrungen mit einer Transperson im Ring gemacht – die Gründerin in Ko-Chefin Veronica Shannon agiert eher als Sprecherin der Liga. An ihre Unsicherheit vorm Einstieg erinnert sich Chelsea Marie heute so: »Intern gab es dann wohl eine Ansage, dass jetzt eine Transperson kommt. Allen wurde angeboten, die Liga zu verlassen, wenn jemand ein Problem damit hat.« Und damit hatte sie eigentlich gerechnet. »Aber alle sind geblieben!«
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Die Manila Wrestling Federation entspricht eben nicht dem Klischee einer ausschließlich muskelbepackten Machowelt. Weil das so sei, ist Danielle Hill ein Fan der Liga. »Von den fünf Führungspersonen dieser Liga sind drei Frauen«, ruft die Studentin gegen den Lärm an. »Die MWF betrachtet sich selbst als von Frauen angeführte Organisation. Und es ist auch ein Anliegen der Liga, Genderthemen in den Vordergrund zu rücken.«
Danielle Hill weiß das alles genau, weil sie an der University of the Philippines in Manila ihre Masterarbeit zu diesem Thema schreibt: Eine soziologische Betrachtung zur Rolle von Frauen in einer klassischen Männerdomäne. Wobei Hill eben auch Transfrauen dazu zählt. Und dies sei von großer Bedeutung für den Erfolg der Liga: »Indem sich die MWF progressiv gibt, denken sich viele Menschen: ›Oh, ich kann hierherkommen, ohne mich unwohl zu fühlen, nur weil ich vielleicht nicht Cisgender bin!‹«
Ernesto Baque Bunag, ein bulliger Typ, der als Zuschauer in der Halle ist, würde nicht widersprechen: »Wrestling bei Frauen ist cool. Wenn immer nur Männer kämpfen, ist es auch irgendwann langweilig«, sagt Bunag, während in einem kleinen Fanshop stöbert, der auch T-Shirts mit dem Konterfei von Chelsea Marie anbietet. »Die Männer sind natürlich physisch stärker. Aber ich würde sagen, mittlerweile sind die Frauen genauso beliebt wie die Männer. Und Chelsea Marie ganz besonders.«
Die Philippinen sind ein paradoxer Fall. Das überwiegend katholische Land verfügt über kein Antidiskriminierungsgesetz, das Transpersonen rechtlich schützen würde. Eine Änderung von Namen oder Geschlecht ist nicht möglich. Zwar verdingen sich Transpersonen auch hier häufig mit Sexarbeit und erleiden auch Gewaltverbrechen. Trotzdem haben sie einen relativ guten Stand: Transpersonen werden Politikerinnen, Juristen, Unternehmerinnen – und starten nun eben im Wrestling durch.
Soziologinnen erklären das damit, dass vor dem spanischen Kolonialismus, der hier mehr als 300 Jahre lang herrschte, eine Tradition etabliert war, die Gender weniger binär und mehr im Kontinuum dachte. Bis heute bezeichnet man Transpersonen oft als »bakla«, was sich mit »schwuler Mann« übersetzen lässt, aber für eine Art drittes Geschlecht steht.
Den Kampf unter den vier Frauen hat übrigens Chelsea Marie verloren. Dabei hatte sie vorher großspurig angekündigt, sowieso die Stärkste im Ring zu sein. Aber die anderen drei Wrestlerinnen haben sich zusammengetan, um sie auszuschalten. Gewonnen hat Super P., die philippinische Version von Wonderwoman, mit Kostüm und Umhang in den Landesfarben Rot, Blau, Gelb und Weiß.
Nach dem Sieg lässt sie sich aber nicht einfach bejubeln. Sie zollt ihrer größten Gegnerin Respekt: »Chelsea Marie: Es gab keine Transwrestlerin vor ihr. Und sie hat diese Hürde einfach übersprungen!« Die Halle jubelt wieder. Und Chelsea Marie träumt davon, dass sie eines Tages von diesen Shows leben kann. Erstmal aber muss sie am nächsten Tag wieder anders ihr Geld verdienen: »Ich tanze und bin Tanzlehrerin. Als Hintergrundtänzerin im Fernsehen und so weiter. Aber was die Rechnungen bezahlt, ist Livestreaming.«
Und wenn das große Geld durchs Wrestling auch in Zukunft nicht auf den Philippinen zu haben ist, dann gehe sie vielleicht irgendwann in die USA zur WWE. Ihre Rolle wäre jedenfalls auch dort neu.
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