Mord an Frauen in Sydney: Frauenhass ist Terror

Livia Sarai Lergenmüller kommentiert den Mord an fünf Frauen im australischen Sydney

Man stelle sich einmal vor, jeden dritten Tag würde in Deutschland eine Mutter ihr Kind töten, der gesellschaftliche Aufschrei wäre groß. »Nation im Schockzustand! Wer stoppt die Kindsmörderinnen?« würde die »Bild« vermutlich titeln. »Ein Tabu wird Realität: Wenn Mütter töten«, hieße es in der »Zeit«. »Berlin in Angst: Kindstötungen durch Mütter nehmen zu«, so der »Tagesspiegel«. Und die »Süddeutsche Zeitung« würde alsbald Analysen veröffentlichen: »Zur Psychologie der Epidemie: Was treibt Mütter zu solch extremen Taten?« Eine Sonderkommission der Polizei sowie Elternversammlungen in Schulen wären die Folge.

Geht es um Frauen als Opfer, bleibt es hingegen still. Denn für Frauen ist dieses Szenario Realität: Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Expartner getötet. Doch bis zu den obligatorischen Artikeln zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen einmal im Jahr bleibt der Aufschrei aus. Es gibt auch keine Sonderkommission für Femizide.

So gesehen wundert es fast gar nicht, dass die australischen Behörden keinen Hinweis auf ein ideologisches Motiv sahen, als ein Mann in einem Einkaufszentrum in Sydney kürzlich gezielt Jagd auf Frauen machte. Mit einem Messer tötete der Attentäter sechs Menschen, fünf davon Frauen. Auch unter den 17 Verletzten waren mehrheitlich Frauen. Die zuständige Polizeipräsidentin Karen Webb sagte, der Täter habe sich bei seinem Angriff offenbar »auf Frauen konzentriert und Männer gemieden«.

Livia Sarai Lergenmüller

Livia Sarai Lergenmüller schreibt als freie Journalistin über Kultur und Gesellschaft mit einem Schwerpunkt auf geschlechtsspezifische Gewalt.

Dennoch schlossen die Behörden einen terroristischen Hintergrund aus. Es gebe bislang nichts, was auf eine »Ideologie« als Antrieb für die Tat hindeute, hieß es. Eine absurde Einordnung. Denn Frauenhass ist sowohl Ideologie als auch Terror.

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Im November 2023 wurde das erstmals gerichtlich anerkannt. Vor vier Jahren erstach ein 17-Jähriger vor einem Massagesalon in Toronto die 24-jährige Ashley Arzaga und verletzte einen Mann und eine Frau. Auf dem Messer stand ein frauenfeindlicher Spruch geschrieben; in der Tasche des Teenagers wurde ein Zettel gefunden, der Gewalt gegen Frauen propagierte. Er gab selbst an, der Incel-Bewegung anzugehören. Incel steht für Involuntary Celibate. Diese Männer definieren sich also darüber, im unfreiwilligen Zölibat zu leben und begründen damit – sowie mit der ihnen geraubten Überlegenheit des Mannes – ihren Hass auf Frauen. 2023 wurde der kanadische Attentäter von den kanadischen Behörden schließlich nicht nur wegen Mordes, sondern wegen Terrorismus verurteilt.

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Bei dem Attentäter aus Sydney ist es unwahrscheinlich, dass er in der Incel-Bewegung vernetzt war. Sein Vater sagte zwar gegenüber australischen Medien, seine Jagd auf Frauen könnte damit zusammenhängen, »dass er eine Freundin wollte, keine sozialen Fähigkeiten hat und völlig frustriert war«. Er arbeitete jedoch als Escort für sowohl Frauen als auch Männer, beschrieb sich auf seinen Profilen als »athletisch und gut aussehend«. Keine Beschreibung eines typischen Incel.

Natürlich ist bei Attentaten bis zum Abschluss der Ermittlungen Zurückhaltung geboten, auch im Journalismus. Diese Zurückhaltung sollte aber nicht bedeuten, sich vor gesellschaftlichen Problemen zu verstecken. Wer gezielt Frauen ermordet, bei dem darf man eine frauenfeindliche Ideologie vermuten, so viel interpretatorischer Mut und politische Einordnung muss sein. Denn Frauenhass besteht nicht aus Einzelfällen enttäuschter oder frustrierter Männer, sondern ist ein strukturelles Problem mit einem aktiven Netzwerk, das für uns täglich Terror bedeutet.

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