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- Digitale Gewalt gegen Frauen
»Girls of Vinted«: Sicheres Internet für alle
Livia Sarai Lergenmüller fordert mehr Entschlossenheit bei Gewalt gegen Frauen im Internet
Man stelle sich einmal vor, jemand würde eine Frau heimlich fotografieren und diese Fotos verkaufen — jeder wäre sich einig, dass es sich um eine Straftat handelt, die geahndet werden muss. Im digitalen Raum aber fällt es uns noch immer schwer, Gewalt auf die gleiche Weise ernstzunehmen.
Der Rechercheverbund von »Süddeutscher Zeitung«, NDR und WDR hat über Wochen einen Kanal in dem Messengerdienst Telegram beobachtet, in dem ungefragt Fotos von Frauen geteilt wurden. In dem Kanal »Girls of Vinted«, der zuletzt mehr als 2000 Mitglieder zählte, landeten täglich Fotos von den Körpern junger Frauen, oft gegen ihren Willen. Die Frauen hatten diese Fotos eigentlich auf der Verkaufsplattform Vinted hochgeladen, um dort ihre Kleidung zu präsentieren.
Für den Missbrauch privater Bilder gibt es einen Begriff: bildbasierte sexualisierte Gewalt. Sie findet vor allem digital statt, wo die Gewalt gegenüber Frauen seit Jahren zunimmt: heimlich aufgenommene oder private Fotos, die im Internet geteilt werden, pornografische Deep Fakes, also KI-generierte Täuschungen, Belästigung und Drohungen über anonyme Accounts, Cyberstalking. Laut der Studie »Lauter Hass, leiser Rückzug« von 2024 hat fast jede zweite Person schon einmal Beleidigungen im Netz erlebt.
Auch auf Telegram gibt es weitere Beispiele, »Girls of Vinted« ist nicht der erste Fall, in dem der Messengerdienst missbraucht wurde. Im vergangenen Jahr deckte das Rechercheformat Strg-F ein internationales Netzwerk von Vergewaltigern auf der Plattform auf. Dutzende Gruppen mit teilweise Zehntausenden Mitgliedern teilten darin Anleitungen, wie man Menschen unbemerkt betäuben kann, um sie zu vergewaltigen.
Livia Sarai Lergenmüller schreibt als freie Journalistin über Kultur und Gesellschaft mit einem Schwerpunkt auf geschlechtsspezifische Gewalt.
Die Ausmaße dieser digitalen Gewaltformen sind gigantisch, trotzdem wird sie noch immer nicht auf gleiche Weise geahndet wie analoge Gewalt. Trotz des »Digital Service Acts«, der auf EU-Ebene einheitliche Regeln gegen illegale Inhalte im Internet festlegt, bleibt es schwer, ihm rechtlich nachzukommen. Die Verfolgung von Kriminellen bleibt ein Problem. Um etwa gegen den Kanal zu klagen, bräuchten die Betroffenen den vollständigen Namen und die Anschrift des Betreibers. Zwar ist Telegram rechtlich dazu verpflichtet, diese Daten herauszugeben, der Dienst aber hat seinen Sitz in Dubai, wo deutsche Gerichte nicht zuständig sind.
Telegram sagte auf Anfrage, das Teilen privater Informationen und illegaler Pornografie sei auf ihrer Plattform ausdrücklich verboten — wirklich etwas dagegen tun könne man aber nicht, immerhin gebe es auch in einer Großstadt Kriminalität. Die Frauen könnten also klagen. Das aber wäre aufwendig, kostspielig und hätte eine geringe Chance auf Verurteilung. Also passiert oft nichts.
Genau wie die analoge Welt ist auch der digitale Raum von geschlechtsspezifischer Gewalt durchsetzt. Die Rechtslage muss deshalb auch auf nationaler Ebene ausgebaut werden – etwa durch das geplante »Gesetz gegen digitale Gewalt«. Am Ende muss aber vor allem die Umsetzung gelingen.
Der digitale Raum ist längst ein Teil unserer Realität. Wenn das Internet für alle sein soll, muss es auch für alle sicher sein.
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