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Höcke-Prozess: Verzögerung als Prozesstaktik
Prozess gegen AfD-Rechtsaußen Höcke beginnt zäh, da die Verteidigung Antrag um Antrag stellt
Es ist ziemlich genau fünf Minuten vor zwölf, als im größten Sitzungssaal des Justizzentrums in Halle (Saale) Lachen aufbrandet. Kein heiteres, eher ein resigniertes. »Dann machen wir jetzt Mittagspause«, hat Richter Jan Stengel da gerade verkündet. Der Mann steht der großen Strafkammer vor, die am Landgericht der sachsen-anhaltischen Stadt seit Dienstag über Deutschlands wohl prominentesten Rechtsextremen zu Gericht sitzt: Björn Höcke.
Es geht um eine Wahlkampfveranstaltung 2021 in Merseburg, die der thüringische Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD mit der Parole »Alles für Deutschland« beendete. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er um den Gehalt dieser Worte genau gewusst hat. Es handelt sich dabei um die Losung der paramilitärischen NS-Sturmabteilung (SA), deren öffentliche Verwendung in Deutschland wie die des Hakenkreuzes oder des Hitler-Grußes unter Strafe steht.
Angeklagt ist Höcke wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Er hat vor Prozessbeginn wiederholt beteuert, er habe von der Herkunft der Parole nichts gewusst. Allerdings arbeitete der 52-Jährige als Geschichtslehrer, bevor er zur Galionsfigur der völkischen Rechten aufstieg.
Das Interesse von Medien und Öffentlichkeit ist groß, an einer antifaschistischen Protestkundgebung vor dem Gerichtsgebäude beteiligen sich mehrere Hundert Menschen. Doch als Richter Stengel zur Mittagspause ruft, hat die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal ihre Anklage verlesen können.
Fünfmal hat Stengel die Sitzung zuvor schon unterbrechen müssen, weil Höckes Verteidigung einen Antrag nach dem anderen stellt: auf digitale Aufzeichnung und Transkription der Verhandlung. Auf ein vorzeitiges Ende des ersten Prozesstags, weil Verteidiger Ulrich Vosgerau – Teilnehmer des berüchtigten Potsdamer »Geheimtreffens« von AfD-Personal mit CDU-Mitgliedern und Neonazis der »Identitären Bewegung«, noch einen anderen Termin hat. Sogar auf Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, weil das Verfahren wegen seiner Bedeutung vom eigentlich zuständigen Amtsgericht in Merseburg ans Landgericht Halle verlegt wurde.
All diese Anträge scheitern. Doch sie sorgen für Verzögerung. »Die Taktik ist unverkennbar«, grollt Staatsanwalt Benedikt Bernzen. Nach der Mittagspause darf er dann endlich die Anklage verlesen. Darin geht es um jene 22-minütige Rede vor rund 250 Menschen am 29. Mai 2021 in Merseburg auf einer Wahlkampfveranstaltung der AfD Sachsen-Anhalt, die Höcke mit den Worten »Alles für unsere Heimat! Alles für Sachsen-Anhalt! Alles für Deutschland!« beendet hatte.
Eigentlich sollte eine weitere Anklage gleich mitverhandelt werden: Im Dezember 2023 soll Höcke die verbotene SA-Losung in Gera erneut verwendet haben. Er sagte dabei allerdings nur die Worte »Alles für«, das anschließende »Deutschland« ließ er sein Publikum grölen. Weil Vosgerau ebenso wie ein weiterer Anwalt erst vor wenigen Tagen die Verteidigung von Höcke übernommen hat und noch keine vollständige Akteneinsicht hatte, wurde dieser jüngere Vorwurf jedoch vorerst abgetrennt.
Staatsanwalt Bernzen beantragte aber, die beiden Verfahren erneut zu verbinden. »Deshalb hätten wir keine Sekunde länger zu verhandeln«, sagt er. Das Video des Geraer Auftritts müsse man sich nämlich ohnehin ansehen – es könnte zur Bewertung des »Nachtatverhaltens« des Angeklagten von Bedeutung sein.
Höcke hört sich das alles an. Noch sagt er nicht mehr als seinen Namen und sein Geburtsdatum. Denn dieser zähe erste Verhandlungstag endet, nachdem endlich die Anklage verlesen ist. Wenn der Prozess am Dienstag fortgesetzt wird, will er sich äußern.
Seine Verteidigungslinie hat er jüngst bereits im TV-Duell mit dem thüringischen CDU-Chef Mario Voigt offenbart: Er habe von nichts gewusst, die SA-Losung sei ein »Allerweltsspruch«, er habe damit spontan das Trump’sche »America first« ins Deutsche übertragen. Überhaupt werde mit den einschlägigen Strafgesetzen die Meinungsfreiheit beschnitten. In einem Dialog mit Tesla-Chef Elon Musk auf dessen Online-Plattform X verstieg sich Höcke gar zu der Aussage, die Gesetze sollten verhindern, dass sich Deutschland »wiederfinde«.
Spätestens bei seinem Auftritt in Gera muss Höcke indes genau gewusst haben, was er tat. Auch dass er in Merseburg seine Worte nicht zufällig wählte, liegt nahe, nicht nur wegen seiner Vergangenheit als Geschichtslehrer. Als führendem AfD-Funktionär dürfte ihm nicht entgangen sein, dass vor ihm schon andere Parteifreunde Ärger wegen der SA-Parole bekommen hatten: Im Bundestagswahlkampf 2017 musste AfD-Kandidat Ulrich Oehme, der im Erzgebirge antrat, den Slogan »Alles für Deutschland!« auf seinen Plakaten überkleben. Und am 9. November 2020 nutzte Kay-Uwe Ziegler, damals AfD-Landesvize in Sachsen-Anhalt und heute Bundestagsabgeordneter, die Losung in einer Rede an der ehemals innerdeutschen Grenze. Auch er behauptete anschließend, er habe von deren Herkunft keine Ahnung gehabt.
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