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Vulkane, Gorillas, Bergseen – und die Erinnerung an das Morden
Ruanda etabliert sich als Reiseland, doch die Narben des Genozids von 1994 sind noch nicht verheilt
Am Kivusee geht die Sonne unter. Golden färbt sich das Wasser, in der Ferne sieht man die Berge der Demokratischen Republik Kongo, die neben Ruanda der zweite Anrainer dieses großen Sees in Ostafrika ist. Als wir mit Claude Tuyishime vom Küstenort Karongi aus in den Sonnenuntergang über dieser gigantischen Wasserfläche von 2400 Quadratkilometern (fast fünfmal so groß wie der Bodensee) hineinfahren, kreuzt die Fähre von der Insel Idjwi unseren Weg. Wir grüßen.
Claude, der sich auf seinem Schiff Captain Claude nennen lässt, kennt die meisten Schiffe und die meisten Besatzungen auf dem See. Seit vier Jahren schon fährt er Touristen zu den kleineren Inseln hinüber. Zur Napoleon-Insel etwa, die wegen des dreieckigen Berges einen französischen Reisenden einst an die Kopfbedeckung des korsischen Kaisers erinnerte. Er steuert sein Boot auch zu den schwimmenden Kühen. Es handelt sich tatsächlich um Rinder, die auf Nahrungssuche von Insel zu Insel schwimmen.
Auch zur Friedensinsel fährt Captain Claude gern. Während des Genozids 1994 diente sie einigen Geflüchteten als Unterschlupf. »Sie überlebten«, versichert Claude. Er selbst gehörte zwar nicht zu ihnen. Fluchterfahrung hat aber auch er. Zwei Jahre war er, als das Morden losging. Seine Familie flüchtete mit ihm über den See nach Kongo. »Zum Glück habe ich keine Erinnerungen mehr daran«, sagt er, während sein Boot auf dem See von den Wellen bewegt wird. Aber er ließ sich erzählen, dass auch das Wasser des Sees in jenen Tagen und Wochen rot war vom Blut der Erschlagenen. Selbst in den romantischsten Sonnenuntergangsmomenten kann man in Ruanda mit dem Genozid konfrontiert werden.
Claude wuchs in einem Flüchtlingslager in Kongo auf. »Das Leben war schwer. Wir bekamen etwas Hilfe vom UNHCR. Aber es war hart, auch deshalb, weil in den Lagern auch viele Génocidaires lebten, viele Täter aus der Zeit des Völkermords. Wir mussten deshalb immer wieder den Ort wechseln«, erzählt er.
Die Rückkehr nach Ruanda im Jahr 2000 hat er als vergleichsweise einfach in Erinnerung. Er lernte und studierte, arbeitete später selbst als Dolmetscher in einem der Flüchtlingscamps in Ruanda. Dabei handelt es sich um eine Fluchtbewegung in die umgekehrte Richtung – von Menschen, die Kinyarwanda sprechen, die Sprache in Ruanda, aber seit Generationen in Kongo leben.
Die Berliner Afrikakonferenz 1884 teilte einst das damalige Königreich Ruanda. Ein Teil der Bevölkerung lebte diesseits, der andere jenseits der neuen Grenze. Die Konferenz der europäischen Kolonialmächte ist bis heute die Ursünde, der viele Konflikte auf dem Kontinent folgten. Die ruandischen Flüchtlinge aus dem Kongo warten nun in Ruanda darauf, dass jenseits der Grenze wieder Frieden einkehre und sie zurück in den Kongo gehen können, beschreibt Claude die Situation. In Ruanda könnten sie leben und arbeiten, versichert er. »Aber sie haben ihre Familie und auch ihren Besitz in Kongo und hoffen deshalb auf eine Rückkehr.«
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Er selbst hat eine ähnliche Situation andersherum erlebt, als Junge aus Ruanda in einem Flüchtlingscamp in Kongo, damals noch Zaire. Er erlebte dort auch die Macht der Milizen. »Immer wieder kommen sie und zwingen die Leute zur Arbeit in die Minen«, erzählt er. Es war damals so, in den 90er Jahren, und die Praxis hat sich bis heute nicht geändert. Mithilfe der zur Arbeit Gezwungenen wird das »dreifache Gold« abgebaut: das »schwarze Gold« Coltan, das man für die Handys so dringend braucht, das »weiße Gold« Lithium, das für Batterien und damit die Energiewende so nötig ist, und auch das eigentliche Gold, in Barrenform weiterhin ein begehrtes Zahlungsmittel vor allem für die, die ihre Geldflüsse nicht sichtbar machen wollen. Flüchtlinge bauen die Erze ab, die Milizen bereichern sich daran und finanzieren so auch Männer, Waffen und Munition. Und am Ende landet das meiste davon auf dem Weltmarkt.
Claude, der einstige Geflüchtete, hat sich entschieden, in seiner alten Heimat auf Tourismus zu setzen. Zwei Boote hat er schon, seinen jüngeren Bruder lernt er als Bootsmann an. Gern würde er sein Unternehmen erweitern. »Africa Green Tours« nennt er es, so steht es auch auf den Booten. »Ich hätte gern das Geld für ein Auto. Dann könnte ich auch Touren anbieten zu den Nationalparks«, blickt er in die Zukunft.
Die Nationalparks sind das Herz des Tourismus in Ruanda. Vor allem der Volcanoes Nationalpark, anderthalb Stunden etwa vom Kivusee entfernt, ist ein Höhepunkt jeder Ruanda-Reise. Denn dort leben die Berggorillas. Für 1500 Dollar pro Person kann man sich in die Nähe dieser mächtigen Tiere führen lassen. Eine Garantie gibt es jedoch nicht.
Aus eher finanziellen Gründen entscheiden wir uns für den Weg zum Grabmal von Dian Fossey – für 75 Dollar pro Person. Die Zoologin und Verhaltensforscherin aus Kalifornien lebte viele Jahre in diesem Dschungel. Sie baute freundschaftliche Beziehungen zu einer Gruppe von Berggorillas auf. Sie bekämpfte auch Wilderer. Im Dezember 1985 wurde sie ermordet aufgefunden. Wer die Täter waren, gehört zu einem der vielen dunklen Geheimnisse Ruandas.
Auf dem Weg dorthin, etwa drei Stunden durch den Busch, drei Stunden unter strömendem Regen auch zurück, bemerkt unser Bergführer immerhin Fußabdrücke von Gorillas im Schlamm. Er weist uns auf bräunliche Kugeln hin –Gorilla-Exkremente. Und dann sehen wir im Unterholz einen schwarzen Rücken, auf dem ein schwarzer Kopf sitzt – tatsächlich ein Gorilla. Das Tier dreht sich nicht um. Und unsere Begleiter, unter ihnen eine Patrouille der Armee – zu unserer Sicherheit und der der Tiere, wird versichert –, drängen schließlich darauf, dass wir weitergehen. Wir haben ja nicht die 1500 Dollar für den Gorilla-Trek bezahlt.
Die Nationalparks selbst sind gut durchorganisiert, die Führer erfahren. Einige von ihnen waren früher selbst Wilderer, wurden dann umgeschult. Seit 2008 finanziert das Rwanda Development Board, die staatliche Institution, die den Tourismus im Lande steuert, Umschulungsprojekte in der Nachbarschaft der Nationalparks. Ziel ist es, den Männern beizubringen, dass es lohnender ist, Tiere am Leben zu lassen und Touristen zu ihnen zu führen, statt sie zu töten. Jüngeren Studien zufolge ist sowohl die Zahl der Fallen als auch die der Wilderer in den letzten zehn Jahren massiv zurückgegangen. Es wurden aber auch, vor allem wegen der Umzäunungen der Nationalparks, weniger Todesfälle von Menschen nach Angriffen durch Wildtiere registriert.
- Anreise: Zum Beispiel mit KLM über Amsterdam und Entebbe.
Visum: Bei der Einreise am Flughafen erhältlich. - Transport: Gutes Busnetz zwischen größeren Städten (u. a. Horizon Express). Mietwagen mit oder ohne Fahrer möglich.
- Klima: Ganzjährig zwischen 20 und 25 Grad, in den Bergregionen liegt aber auch Schnee.
- Bootstour: Mit Claude auf den Kivusee, buchbar unter www.africagreentours.com
- Übernachten: In der Hauptstadt Kigali
größere Auswahl auch online buchbar (booking.com), auf dem Land wird es dünner, aber man findet immer etwas, weil der Tourismus regierungsseitig stark gefördert wird. - Infos: https://visitrwanda.com
Auch wegen dieser Maßnahmen haben sich Ruandas Nationalparks zu einer beachtlichen Einnahmequelle entwickelt. Laut Rwanda Development Board sorgten im Jahr 2022 knapp 100 000 Besucher in den vier großen Nationalparks des Landes für Einnahmen in Höhe von 27 Millionen Dollar.
Ringsum partizipieren die Gemeinschaften. Etwa eine halbe Stunde Autofahrt vom Volcanoes-Nationalpark hat sich das Red Rocks Cultural Village etabliert. Hier arbeiten etwa 60 meist ältere Frauen, stellen traditionelle Körbe und Krüge her und brauen das klassische Bananenbier. In Workshops führen sie Touristen zudem in ihr Handwerk ein. »Das sorgte nicht nur für ein besseres Einkommen der Frauen. Sie sind in ihren Gemeinschaften auch stärker geachtet, weil sie nun Geld nach Hause bringen. Eine Frau kaufte ihrem Mann sogar ein Motorrad«, erzählt Peace, eine junge Frau, die von ihren Eltern tatsächlich diesen Namen verliehen bekam und die im Red Rocks Village die Arbeit koordiniert.
Im Village kann man auch übernachten, in Bungalows wie in Zelten. Und immer wieder sorgen Musik- und Theaterfestivals auf dem Gelände für Abwechslung. Die Nähe zu den Berggorillas im Nationalpark sorgt dafür, dass genug Touristen den Weg hierherfinden. Und weil der Nationalpark so ein Magnet im Lande ist, wünscht man natürlich auch Claude, der im Südwesten der majestätischen Vulkankegel auf den Kivusee fährt, dass er bald das Geld beisammen hat, um Fahrten in den Nationalpark anzubieten.
Es ist vor allem die junge Generation der um die 30-Jährigen, jener, die während des Genozids noch Babys waren oder die ohnehin erst später geboren sind, die den wachsenden Tourismus des Landes nutzen wollen – und das nicht in einem Angestelltenverhältnis, sondern über eigene, selbst verantwortete Projekte.
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