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Anständige Löhne nur im Mutterkonzern
Gewerkschaftsnahes Institut stellt Studie zur geringen Tarifbindung im Land Brandenburg vor
In einem tarifgebundenen Betrieb verdienen vollbeschäftigte Brandenburger im Durchschnitt 4640 Euro brutto im Monat. In nicht-tarifgebunden Betrieben seien es hingegen nur 3570 Euro, erläutert Thorsten Schulten. Er ist Professor am wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Schulten legt am Montag in Potsdam eine Studie seines Instituts zur Tarifbindung in Brandenburg vor. Ähnliche Untersuchungen hat das WSI zuvor schon für sieben andere Bundesländer durchgeführt.
Nur 19 Prozent der brandenburgischen Betriebe halten sich Schulten zufolge an einen Tarifvertrag. Bundesweit liege die Quote bei 21 Prozent. Spitzenreiter ist Schleswig-Holstein mit 24 Prozent, Schlusslicht Berlin mit zwölf Prozent. Schulten und seine Kollegen Reinhard Bispinck, Malte Lübker und Şerife Erol haben unter anderem Daten des Statistischen Bundesamts zu Rate gezogen und mit Gewerkschaftern gesprochen. Sie haben festgestellt, dass nur noch zwölf Prozent der nach dem Jahr 2009 in Brandenburg gegründeten Firmen einem Tarifvertrag unterliegen. Bei den Unternehmen, die es schon vor 1990 gab, die also die Wende überdauert haben, sind es dagegen 32 Prozent, bei den von 1990 bis 1999 gegründeten immer noch 23 Prozent.
»Was kann man tun, diesen Trend zu stoppen?«, fragt Schulten und antwortet gleich selbst: »Es gibt nicht den einen magischen Schlüssel.« Vielmehr brauche es eine Reihe von Maßnahmen, um die Tarifbindung zu stärken. Vorstellen könnte sich Schulten, dass die Landesregierung und die Kommunen für die Vergabe von Fördermitteln und von Gewerbeflächen zur Bedingung machen, dass die Investoren sich tariftreu verhalten.
Neu in Brandenburg ist beispielsweise der US-Konzern Tesla, der seine Autofabrik in Grünheide im März 2022 eröffnete. Die Arbeiter erhalten Löhne oberhalb dessen, was Autowerkstätten ihren Kfz-Mechatronikern in der Region üblicherweise bezahlen, bleiben aber unterhalb des Branchentarifs. Gegenwärtig möchte Tesla seine Fabrik um ein Gelände für einen Güterbahnhof und Lagerhallen erweitern. Weil dafür ein Waldstück abgeholzt werden muss, ist dieser Plan umstritten. Ein Protestcamp mit Baumhäusern wehrt sich dagegen.
»Die Talfahrt bei der Tarifbindung von Unternehmen hat sich in den vergangenen vier Jahren fortgesetzt, ohne dass die Landesregierung ernsthaft dagegen vorgegangen ist«, beschwert sich DGB-Landesbezirkschefin Katja Karger am Montag einmal mehr. Sie spricht vom »vorläufigen Tiefpunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung«. Investoren sei Brandenburg in der Vergangenheit von Wirtschaftsminister wie Ulrich Junghanns (CDU) als Niedriglohnland »ohne Mitbestimmung und ohne Gewerkschaften« angepriesen worden. SPD, CDU und Grüne hatten 2019 in ihren Koalitionsvertrag zwar hineingeschrieben, dass die Einführung einer Tariftreueklausel geprüft werden solle. »Aber leider sind die drei Parteien über das Prüfen nicht hinausgekommen.«
Karger hat außer mit der AfD mit allen im Landtag vertretenen Fraktionen über Tariftreue gesprochen. Mit CDU-Fraktionschef Jan Redmann habe sie eine Stunde lang erfolglos über das Thema diskutiert, sagt sie. SPD und Grüne zeigen sich aufgeschlossen, die oppositionelle Linke sowieso.
Durch Tarifflucht der Unternehmer gehe den Gewerkschaften der Verhandlungspartner verloren, bedauert Karger. Es stört sie insbesondere, wenn westdeutsche Mutterkonzerne Tarif zahlen, die im Osten angesiedelten Tochtergesellschaften jedoch nicht. Als Beispiel nennt sie das Hausgerätewerk in Nauen, das Waschmaschinen fertigt. »Das ist in hohem Grade ungerecht und trägt mit Sicherheit nicht zur Zufriedenheit der Bevölkerung in Brandenburg bei.«
Als Problem benennt Professor Schulten, dass Arbeitgeberverbände Unternehmen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung anbieten, was es früher nicht gegeben habe. Auf der anderen Seite sinkt die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften, wenn sie Mitglieder verlieren. Im Jahr 2001 waren noch 241 000 Brandenburger gewerkschaftlich organisiert, im vergangenen Jahr lediglich noch 127 000, auch wenn die Zahlen zuletzt wieder etwas nach oben gegangen sind.
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