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Bayer Leverkusen: Unbesiegbar wie im Märchen
Die Werkself bleibt Spezialist für späte Tore: Auch Stuttgart kann Bayer nicht bezwingen
Der Moment, in dem der gelebte Wahnsinn um ihn herum in die nächste Runde ging, entlockte Xabi Alonso eine geradezu rührende Reaktion. Links und rechts von ihm hüpften, rannten und sprangen Leverkusener Spieler, Betreuer und Offizielle wie von Sinnen über den Rasen, weil es tatsächlich schon wieder passiert war: Ein Treffer tief in der Nachspielzeit, diesmal zum 2:2 gegen Stuttgart, der das moderne Fußballmärchen von der Unbesiegbarkeit des Deutschen Meisters weiter fortschrieb. Und was machte Alonso, der Chefdompteur dieses unglaublichen Ensembles? Legte eine elegante Drehung ein, den Blick weg von den jubelnden Kickern. Dann lächelte er etwas ungläubig und rieb sich mit beiden Händen kurz über den Hinterkopf.
Verlegen wie ein Teenager bei seinem ersten Date wirkte der 42-Jährige da – und später kramte er dann ein wenig in seinen Erinnerungen. Einen WM- und zwei EM-Titel gewann er mit Spanien, triumphierte mit Real Madrid und Liverpool in der Champions League. Und nun, in seiner ersten kompletten Saison als Coach der Werkself, die nicht nur drauf und dran ist, neben der Meisterschaft noch zwei weitere Trophäen an die Dhünn zu holen, sondern das Ganze Woche für Woche auch noch mit reichlich Drama und Emotionen würzt? »Es gibt keine Erklärung dafür, warum so etwas im Fußball passiert«, hob Alonso nur staunend die Schultern. Und: »Ich habe so etwas noch nicht so oft erlebt.«
So etwas – das sind nach dem Remis gegen den VfB mittlerweile 46 Pflichtspiele in Folge ohne Niederlage, ein einmaliger Wert in Europas Top-Ligen. Vor allem aber sind es die Treffer in der Extrazeit, die seine Mannschaft wie am Fließband produziert. Allein seit sich die Leverkusener vor zwei Wochen die nationale Krone aufgesetzt haben, glichen sie in jeder der drei nachfolgenden Partien spät aus: Beim 1:1 bei West Ham United im Viertelfinale der Europa League nach 89 Minuten. Und dann vor einer Woche in Dortmund und nun gegen die Schwaben wirklich auf den allerletzten Drücker: Im Duell mit dem BVB köpfte Josip Stanisic in der 97. Minute das 1:1, gegen Stuttgart traf Robert Andrich in der 96. Minute.
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Die Stuttgarter mit ihrem klugen und ambitionierten Trainer Sebastian Hoeneß lieferten Alonsos Team in dieser Saison bereits zweimal heroische Duelle: Beim Hinspiel-1:1 in der Liga im Dezember – und beim 2:3 im Pokal-Viertelfinale im März, als Bayer, nach zweimaliger VfB-Führung, ebenfalls erst ganz am Schluss zum Sieg traf.
Für multiplen Stuttgarter Ärger sorgte die Vorgeschichte zu Andrichs Last-Minute-Ausgleich: Zunächst hatte der frisch eingewechselte Pascal Stenzel mit einem eher sanften, aber eben auch ungeschickten Foul an Adli einen Freistoß verursacht. Als der dann vor das Tor gesegelt war, drückte erst Bayer-Angreifer Victor Boniface seinen Gegenspieler Anthony Rouault von hinten weg und dann sprang der Ball, ehe er vor Andrichs Füßen landete, noch an die – angelegte – Hand von Leverkusens Innenverteidiger Piero Hincapie.
Den Schiedsrichter-Frust von VfB-Coach Hoeneß (»Leider waren es nur die Spieler, die richtig gut waren«) wischte Torschütze Andrich später dezent mit dem Hinweis auf die Last-Minute-Kräfte des eigenen Teams beiseite. »Das scheint kein Zufall zu sein, das ist einfach brutaler Wille«, erklärte der Nationalspieler – ehe auch Lukas Hradecky noch einige grundsätzliche Gedanken beisteuerte.
»Eigentlich habe ich keine Worte dafür, dass dieser Wahnsinn weitergeht«, begann Leverkusens behandschuhter Kapitän, dem dann aber gewohnheitsgemäß doch noch sehr viel einfiel. So lobte er die Fans, die dafür gesorgt hätten, »dass die Arena weiterkocht«, freute sich zudem über das frisch gewonnene »Adrenalin für die nächste Woche«. Am Donnerstag steht bei der AS Rom schließlich das Halbfinal-Hinspiel in der Europa League an – und nicht erst seit diesem Wochenende ist für Keeper Hradecky klar: »Unsere Mannschaft kennt kein Limit.«
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