Kündigungswelle in Berlin: Mieter haben Eigenbedarf

Mehr Eigenbedarfskündigungen in der Hauptstadt, die Rechtslage benachteiligt Mieter

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist schwer, dem Vermieter den Stinkefinger zu zeigen, wenn der Eigenbedarf reklamiert.
Es ist schwer, dem Vermieter den Stinkefinger zu zeigen, wenn der Eigenbedarf reklamiert.

Es ist ein eindrückliches Beispiel, das Knut Beyer erzählt. Er ist Geschäftsführer der Firma Asum, die unter anderem in der Mieterberatung tätig ist. Man müsse sich vorstellen, wie ein Kind in seinem Zuhause spielt, während eine andere Familie durch die Wohnung läuft und zu ihrem eigenen Kind sagt: Das wird einmal dein Zimmer.

So was komme immer wieder vor, wenn Wohnungen, die noch vermietet sind, als Eigentumswohnungen verkauft und Mieter wegen Eigenbedarfs gekündigt werden. »Eigenbedarf ist existenzgefährdend«, sagt Beyer. Wer umziehen muss, für den zerbricht das soziale Netzwerk. Oft müssen Menschen Berlin aufgrund des Wohnraummangels auch verlassen. »Wer gekündigt wird, ist raus aus der Stadt«, sagt Beyer bei einem Fachgespräch, zu dem die Abgeordnete Katrin Schmidberger (Grüne) eingeladen hat.

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Es ist ein Pulverfass, auf dem Berlins Mieter sitzen. Seit den 1990er Jahren sind über 330 000 Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Zwar ist die Zahl der Umwandlungen drastisch gesunken, seitdem 2022 eine Art Umwandlungsverbot erlassen wurde. Doch viele der bereits umgewandelten Wohnungen sind noch nicht abverkauft worden. Stück für Stück kommen diese auf den Markt. Laut Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin sind 2023 mehr Eigentumswohnungen in Berlin als Mietwohnungen inseriert worden.

Das wirkt sich auch auf die Eigenbedarfskündigungen und Räumungsklagen aus. »Es ist auf jeden Fall so, dass die Zahlen gestiegen sind«, sagt Florian Schärdel, Richter am Amtsgericht Schöneberg. Wenn das Gericht der Auffassung ist, dass der Eigenbedarf gerechtfertigt ist, können dennoch bei manchen Härtefällen Räumungsklagen vor Gericht abgewendet werden. Ein Grund können körperliche und psychische Erkrankungen sein. Der betreffende Mieter müsse aber selbst ein entsprechendes fachärztliches Attest vorlegen und sich dessen bewusst sein, dass das Gericht einen Sachverständigen mit der Überprüfung beauftragen werde, erläutert Schärdel.

Ein anderer Härtefall ist der Mangel an Ersatzwohnraum. »Auf einem entspannten Mietmarkt sind Eigenbedarfskündigungen kein Problem. Ich kannte Personen, die sind vor 20 Jahren in Berlin jedes Jahr umgezogen, weil sie keine Lust hatten, Fenster zu putzen«, erinnert sich Schärdel. Diese Zeiten sind längst vorbei. Doch die allgemein bekannte Wohnungsnot reicht nicht aus, um einen Härtefall vor Gericht zu begründen. Der Mieter muss beweisen, dass er sich auf andere Wohnungen beworben hat, die Absagen dokumentieren, damit bereits direkt nach der Kündigung beginnen und nicht erst vor dem Gerichtsverfahren.

Mieteranwältin Carola Handwerg hat Anfang des Jahres solch einen viel beachteten Fall vor dem Landgericht Berlin gewonnen. Ihr Mandant hatte alle seine Wohnungsbewerbungen protokolliert und mit Bestätigung auf der Seite eines Immobilienportals abgespeichert. »Erst haben wir dem Gericht eine Tabelle vorgelegt, und als der Eigentümer diese angezweifelt hat, haben wir ein 500 Seiten umfassendes PDF zusammengestellt. Das musste das Gericht ernst nehmen«, sagt Handwerg.

Doch auch das allein reichte nicht. Vom Bezirk musste noch eine Bestätigung angefragt werden, dass im geschützten Marktsegment keine Wohnung verfügbar sei. Und ein Gutachter bewarb sich drei Wochen lang auf jede erdenkliche Wohnung, die in etwa der jetzigen Wohnung des Mieters entspricht. Dann erkannte das Gericht die Mangellage an und gewährte dem Mieter zwei Jahre Aufschub, um die Wohnung zu verlassen.

Ein Einzelfall. Die Rechtssprechung mache es Eigentümern bisher viel zu einfach, sagt Anwältin Handwerg. Immer wieder bekomme sie von Mandanten im Nachhinein erzählt, was aus den Wohnungen geworden sei. Oft werden diese gar nicht wie behauptet für Verwandte genutzt, sondern mit erheblichen Preissprüngen neu inseriert.

Doch Handhabe gegen vorgetäuschten Eigenbedarf gebe es kaum. Der Mieter müsste beweisen, dass Eigenbedarf gar nicht bestand. Wenn aber beispielsweise die Wohnung für die Tochter des Eigentümers vorgesehen ist, diese sich aber nach kurzer Zeit entschließt, doch woanders hinzuziehen und die Wohnung inseriert wird, dann lasse sich da kaum etwas machen.

Es bräuchte Gesetzesänderungen. Rechtsanwalt Benjamin Raabe fordert unter anderem, dass der Kreis der Personen, für die ein Eigentümer Eigenbedarf geltend machen kann, von Verwandten bis zum dritten Grad einschränkt wird auf den Eigentümer selbst, den Partner und Verwandte ersten Grades. Auch müsste ausgeschlossen werden, dass jemand einem Mieter wegen Eigenbedarfs kündigen darf, wenn er die Wohnung bereits vermietet gekauft habe. Doch ob solche mieterfreundlichen Gesetzesänderungen eine Chance haben, ist mehr als fraglich. Oder wie Politikerin Schmidberger sagt: »Wir müssen nicht nur dicke Bretter bohren, sondern Betonwände durchbrechen.«

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