- Kultur
- ARD-Serie
»Die Zweiflers«: Klischeefreier Blick in modernes jüdisches Leben
Die ARD-Serie porträtiert die normal durchgeknallte jüdische Familie Zweifler
»Dieses Land ist voller Arschlöcher. Arbeite einfach genauso hart weiter, dann zeigst du ihnen, dass sie nutzlos sind«, sagt Dana Zweifler (Deleila Piasko) in der Serie »Die Zweiflers« zu ihrem jüngeren Bruder Leon (Leo Altaras), als sie dessen Vernissage in einer Frankfurter Gruppen-Ausstellung besucht. Dort gibt es noch eine idiotische Installation von einem anderen Künstler, die einen Zusammenhang zwischen Hühner-Schreddern und der Shoa herstellen will (sehr zum Ärger aller Zweiflers), und irgendein Besucher hat einen antisemitischen Kommentar auf das Gemälde ihres Bruders geschmiert.
Die jüdische Familie Zweifler aus Frankfurt am Main, die im Bahnhofsviertel einen gut gehenden Delikatessenladen mit Restaurant betreibt, steht eh gerade ziemlich unter Druck. Ein Investor soll den Laden übernehmen, aber die örtliche Presse schießt sich auf das Familienoberhaupt, den Auschwitz-Überlebenden, Großvater Symcha Zweifler (Mike Burstyn) und dessen Vergangenheit im Rotlichtmilieu ein.
»Die Zweiflers« ist eine außergewöhnliche Serie. Der ARD-Sechsteiler hat das diesjährige Serienfestival in Cannes gewonnen und ist handwerklich gut gemachtes High-End-Fernsehen mit einer guten, wenngleich überkandidelten Story, die aber überzeugt, mit tollen Bildern und begnadet eingesetzter Musik, für die es ebenfalls einen Preis gab und die die rasante und nie langweilige Handlung vorantreibt.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Familie Zweifler lebt generationenübergreifend in mehreren Wohnungen in einem Haus in Frankfurt zusammen und zankt sich den lieben langen Tag, genauso wie sie auch stets loyal zusammenstehen. Neben Großvater Symcha und Frau Lilka (Eleanor Reissa), sind das drei Enkelkinder: Musikproduzent Samuel (Aaron Altaras), der in Berlin lebt, sein kleiner Künstlerbruder Leon, der große satirische Ölschinken malt, auf denen die Familienmitglieder mit ihren legendären selbst produzierten koscheren Würsten zu sehen sind, und Schwester Dana, die gerade ihren Ehemann in Israel verlassen hat und zurück nach Frankfurt kommt. Ihre Eltern, Mutter Mimi (Sunnyi Melles), die im Delikatessenladen arbeitet, und Vater Jackie (Mark Ivanir), der eine psychotherapeutische Praxis betreibt, liegen im heftigen Eheclinch, bei dem geschrien, viel geweint und mit Geschirr geworfen wird.
Während der Großvater versucht, Enkel Samuel entweder beim Verkauf des Ladens oder als Nachfolger im Geschäft an seiner Seite zu haben, verliebt der sich in die britisch-jamaikanische Köchin Saba (Saffron Coomber), die schwanger wird und eigentlich auf dem Weg nach Japan ist, um dort ein schickes Luxus-Restaurant zu übernehmen.
Im Hintergrund lauert stets der gerade aus dem Knast entlassene Siggi, ehemaliger Kumpel von Symcha, der die Familie erpresst, da er über die Leichen im Keller der Zweiflers Bescheid weiß. Denn bevor der Großvater zu seinem Laden kam, musste er dem vorherigen jüdischen Besitzer kurz nach dem Krieg gegen einige Nazis beistehen, die ihn bedrohten, und dabei kam auch jemand zu Tode. Seine Enkelkinder haben kein Problem damit, dass Opa kurz nach dem Krieg einen Nazi erschossen hat. »Was hätte er denn tun sollen, wenn es Probleme gab? Zu einem Richter gehen? Oder zur Polizei? Zu den gleichen Leuten, die zuvor noch überzeugte Nationalsozialisten waren? Sich an ein System wenden, das uns wenige Monate zuvor alle ausrotten wollte?«, fasst das Dana pointiert zusammen.
»Die Zweiflers«, diese satirische Serie mit großartigen Schauspielern, legt einen wagemutigen Spagat hin und lässt ihre Figuren auch ganz ernst über die Shoa, die traumatisierenden Erlebnisse in den Lagern und den Umgang der Deutschen mit Geschichte reden. Das wirkt nicht aufgesetzt, obwohl die ganze Familie Zweifler inklusive der hippen jungen Freunde ziemlich durchgeknallt ist und stellenweise eher an die Portnoys oder Zuckermans aus den Romanen von Philip Roth erinnert.
Mal wird über die Beschneidung des Nachwuchses oder über das Delikatessengeschäft gestritten, die jungen Zweifler konsumieren fleißig Drogen, Samuels Albträume sehen wie Szenen aus einem mysteriösen Fantasy-Film aus, und Oma Lilka weigert sich, zu einem deutschen Arzt zu gehen. Ein Großteil der flotten Dialoge ist auf Jiddisch, auch viel Englisch ist in dieser Serie zu hören, und Vater Jackie hat am Friedhof einen dreiminütigen herzergreifenden Monolog auf Russisch.
Diese rasante Großstadt-Serie zwischen Komödie und Tragödie, in der es um Rassismus, Antisemitismus, kollektive Traumata, koschere Würste, Romantik, Begehren, Treue, den Kampf um die eigene Identität und die erdrückende Liebe einer Familie geht, ist absolut sehenswert.
Ab 3. Mai in der ARD-Mediathek.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.