Drogensucht: »Die Büchse der Pandora ist längst offen«

30 Jahre Suchtberatung in Brandenburg – Ruf nach stabiler Finanzierung

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.
Nach wie vor Suchtproblem Nummer eins: der Alkohol
Nach wie vor Suchtproblem Nummer eins: der Alkohol

Seit drei Jahrzehnten besteht in Brandenburg eine Koordinierungsstelle für die Suchtberatung und -aufklärung. Sie hat einst mit anderthalb festen Arbeitsplätzen begonnen und verfügt inzwischen über 13 Jobs. Im Bundesland sind 18 Beratungsstellen eingerichtet.

Zur Feier des 30. Jubiläums der Koordinierungsstelle in Brandenburg vor einigen Tagen sprach die Moderatorin bei der festlichen Zusammenkunft im großen Saal des Potsdam-Museums von einer Erfolgsgeschichte der Suchtberatung und Suchtbehandlung. Das Fachpublikum war mit dieser Einschätzung einverstanden und applaudierte.

Allerdings gab es aus dem Publikum heraus dann auch weniger begeisterte Stimmen. So wurde gefragt, ob es nicht nachdenklich stimmen müsse, dass es mit der Zeit immer mehr Klienten gegeben habe, und nicht einiges dafür spreche, dass es künftig noch viel mehr werden. Corinna Mäder-Linke von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen erwähnte, dass weniger die Finanzierung als vielmehr ein Mangel an Fachpersonal dazu führe, dass in Deutschland Klinikbetten abgebaut und stationäre Suchtabteilungen geschlossen werden müssen.

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In seinem Grußwort erwähnte Thomas Götz, Staatssekretär im brandenburgischen Gesundheitsministerium, dass die heutige Landesstelle für Suchfragen 1994 als »Landesstelle gegen die Suchtgefahren« gegründet worden sei und also auch einen Namenswechsel hinter sich gebracht habe. »Gott sei Dank« habe sich die damalige Befürchtung nicht bewahrheitet, dass eine riesige Drogenwelle von West nach Ost rollen und über den neuen Bundesländern zusammenschlagen werde. Vielmehr seien die Themen heute überall die gleichen. Alkoholmissbrauch und Nikotinsucht würden – ungeachtet einiger Erfolge vor allem beim Zurückdrängen des Rauchens – den Reigen der Probleme nach wie vor anführen. Cannabis und synthetische Drogen kämen dazu. Bei den Spielotheken und Spielbanken, also der Spielsucht, habe der Osten längst »Westniveau« erreicht.

Drogen und die Sucht nach ihnen seien stetige Begleiter der Menschheit gewesen. Es helfe nicht, den Blick davon abzuwenden, erklärte Götz. Auch in Zukunft werden sie zur Gesellschaft dazugehören. Es werde auch »weiter getrunken, gestorben, gestohlen und vernachlässigt«. Dem gelte es ungebrochenen Widerstand entgegenzusetzen. Er hoffe bei der fachlichen Hilfe für die Betroffenen auf ein »Weiter so«, unterstrich der Staatssekretär.

Mit dem Internet habe sich ein neues Feld der »nicht stoffgebundenen Drogen« aufgetan. Auch hier herrsche eine Suchtgefahr nicht zuletzt bei Kindern. Götz erinnerte daran, dass das Land Brandenburg auf freiwilliger Basis pro Jahr zwei Millionen Euro für den Kampf gegen den Drogenmissbrauch zur Verfügung stelle.

Dabei handelt es sich nicht um eine Pflichtaufgabe des Landes. Dies wurde in der Zuhörerschaft anerkannt. Es gab aber den Hinweis, dass sich die Summe nicht erhöht habe. Angesichts der allgemeinen Kostensteigerung werde es also immer schwerer, das Notwendige davon zu bezahlen. Die feste Zusage von wesentlich mehr Geld schimmerte als Forderung in einigen Redebeiträgen durch.

Jörg Pietsch vom Büro des Beauftragten für Sucht- und Drogenfragen beim Bundesgesundheitsministerium wies allerdings darauf hin, dass es die verfassungsmäßig festgelegte Aufgabenverteilung sei, die es dem Bund verbiete, die kommunale Suchtbekämpfung zu finanzieren – es sei denn ausnahmsweise als Modellprojekt. Aber eben nicht dauerhaft.

So fiel denn auch in der Debatte der Satz, dass Bund und Land sich letztlich heraushalten und die Kommunen mit dem Problem mehr oder weniger allein fertig werden müssten.

Der Teilzulassung von Cannabis standen die versammelten Psychologen, Polizisten und andere Experten insgesamt positiv gegenüber. Natürlich nicht, weil der Cannabis-Rausch zu begrüßen wäre, sondern weil die mit dem neuen Gesetz einhergehende »Entkriminalisierung« Aufklärung, Prävention und Gesundheitsschutz erleichtert.

Am Beispiel Kanadas erläuterte der Therapeut Andreas Gantner, dass eine gewaltige Zunahme des Cannabis-Konsums nicht zu erwarten sei. Die Zunahme habe vielmehr in der Vergangenheit unter den Bedingungen der Illegalität stattgefunden. »Die Büchse der Pandora ist längst offen.« Mittels kontrollierter Verabreichung könne die Weitergabe verunreinigter, also wesentlich gefährlicherer Substanzen verhindert werden.

Laut Staatssekretär Götz ist die bisherige Drogenpolitik an die »Grenze der Realität« gestoßen. Wenn jetzt Prozesskosten bei der Strafverfolgung wegfallen und diese finanziellen Mittel frei werden, wäre es wünschenswert, dieses Geld in die Drogenprävention zu stecken. Aber selbst wenn dafür ein Weg gefunden würde, wäre es »ein langer Weg«.

Die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg habe sich die Unterstützung angelegen sein lassen, sagte ihr Vertreter Christian Wolff. Rund 90 000 Euro im Jahr gewähre sie der Koordinierungsstelle, immerhin 2,6 Millionen seien da zusammengekommen. Etwa 70 Prozent der pro Jahr rund 3400 Anträge auf finanzielle Unterstützung bescheide die Versicherung positiv. Aber auch Wolff hinterfragte die Darstellung, es sei eine »Erfolgsgeschichte«. Denn ihm Vergleich zu den alten Bundesländern bestehe im Osten bei der Suchtbekämpfung immer noch eine Unterversorgung.

Andreas Kaczynski von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Brandenburg bezeichnete die 18 Beratungsstellen im Bundesland als eine »Minimalausstattung«. Die Vorstellung, man könne die Suchtprävention aus üppigen Spenden finanzieren, sei überholt: »Es gibt sie nicht mehr.« Bund und Land müssten nachsteuern. Angesichts des Streites um die Cannabis-Legalisierung sprach Kaczynski von einer »vielleicht gemachten Aufregung« in den Medien.

Zur Sprache kam auch, dass das Niveau der Drogenprävention stark von der finanziellen Situation der jeweiligen Kommune abhänge. In armen Kommunen stehe die ambulante Versorgung »mit dem Rücken zur Wand«.

Cannabis – Zahlen und Fakten
  • Jeder elfte Jugendliche und jeder zweite bis dritte Erwachsene hat schon einmal Cannabis zu sich genommen.
  • 4 Prozent der Neuntklässler konsumieren regelmäßig Cannabis.
  • Auch nach der Teillegalisierung ist der Konsum von Cannabis für Minder­jährige, also für unter 18-Jährige, verboten.
  • Cannabis kann zu Angststörungen, Depressionen, bipolaren Störungen und Psychosen führen. Hinzu treten Lern- und Gedächtnisschwierigkeiten.
  • Etwa 9 Prozent der Menschen, die Cannabis konsumieren, entwickeln eine Abhängigkeit von dieser Droge.
  • Cannabis-Konsumenten sind mit 13 Pro­zent nach den Alkoholkranken (65 Prozent)die zweitgrößte Behand­lungs­gruppe in der ambulanten Suchthilfe Branden­burgs. mkr
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