Den Haag: Flower Power in der Stadt des Friedens

Wohl nirgends auf der Welt lockt so viel geballte Blumenpracht wie auf dem Keukenhof

  • Christian Haas
  • Lesedauer: 5 Min.

Mehr als 7000 Kilo Grassamen haben Luud ter Laak und seine rund 70 Gärtnerkollegen in den vergangenen Monaten ausgesät – sowie sieben Millionen Zwiebeln unter die Erde gebracht, »in drei Lagen«, wie der 56-Jährige erklärt. »Einige in etwa 15, andere in 7,5 bis 10 Zentimeter Tiefe, manche dicht unter der Oberfläche.«

Der Grund für diese Schichtarbeit: In den acht Frühlingswochen, in denen der 32 Hektar große Keukenhof-Park geöffnet hat (2024: bis 12. Mai) soll stets etwas blühen. Und das wird es: »Jede Woche sieht es hier komplett anders aus«, weiß Luud. Los geht es in der Regel mit Krokussen, gefolgt von Hyazinthen, Narzissen, Chrysanthemen, Rosen und vor allem Tulpen. Von den 1600 verwendeten Blumenzwiebelarten entfällt allein die Hälfte auf das beliebte Liliengewächs. In Hunderten Beeten und Rabatten können die Besucher – 2023 kamen 1,4 Millionen – über deren und andere enorme Formen und Farben staunen.

»In diesem Jahr«, so Luud, »gibt es besonders viel zu sehen, schließlich feiern wir 75-Jähriges.« Dazu wurde ein 250 Quadratmeter großes Tulpenmosaik gepflanzt, ferner erzählt eine Jubiläumsausstellung die Entwicklung zum »größten Frühlingsgarten der Welt« – geschichtsträchtige Objekte und Fotos inklusive. Zumindest als »größtes Frühlingsfest der Niederlande« bezeichnet sich der Bollenstreek-Blumenkorso. Dieser wird zwar nicht vom Keukenhof veranstaltet, aber er führt daran vorbei und selbstverständlich schmücken Luuds Kollegen einen der zahlreichen XXL-Wagen. Unter großem Jubel machen diese sich von Noordwijk, durch das am Vorabend zudem ein beleuchteter Korso zieht, nach Haarlem auf den Weg. Zwölf Stunden Flower Power auf 42 Kilometer Länge.

Strecke machen lässt sich auch auf dem erweiterten Gelände des Keukenhofs. »Auf 15 Kilometer Wegen kann man locker einen ganzen Tag verbummeln«, meint Luud. Der englische Landschaftsgarten, der französische Barockgarten, die großen Pavillons, die Windmühle: Es gibt viel zu sehen. Und dann sind da ja noch 16 denkmalgeschützte Gebäude, darunter das 1641 erbaute Schloss sowie der aus rund 100 Werken bestehende Skulpturenpark. »Wer nicht zu Fuß oder mit dem Rad fahren will, mietet sich ein Flüsterboot«, rät Luud. Mit E-Antrieb geht es dann auf Kanälen auch durch die Blumenfelder der Umgebung. Dass es hier im Bollenstreek, dem Epizentrum des Schnittblumenexports, an allen Ecken blüht, liegt nicht zuletzt an den sandigen Böden. Und apropos Sand, zur Nordsee ist es nie weit. »Herrlich«, findet Luud, »bei ausgedehnten Dünenspaziergängen am Strand Noordwijk bekomme ich so richtig den Kopf frei.«

Land- und Seeluft: schön. Aber Stadtluft hat auch was. Und da bestehen gleich mehrere Optionen im 45-Autominuten-Radius, darunter die alte Königsstadt Den Haag. Im Vergleich zum supermodernen Rotterdam und dem touristischen Dauerbrenner Amsterdam wirkt die mit rund 560 000 Einwohnern drittgrößte Stadt der Niederlande nahezu kuschelig. Was nicht mit langweilig zu verwechseln ist, weist Den Haag doch die landesweit meisten Sehenswürdigkeiten pro Quadratkilometer auf: Paläste, Kirchen, Museen, Jugendstilbauten und überdurchschnittlich viele Denkmäler. Eines der bekanntesten ist das Standbild von Wilhelm I., Prinz von Oranien, Begründer der niederländischen Unabhängigkeit und damit der Begeisterung für die Farbe »Oranje«. Die Königsfamilie, die in Den Haag wohnt und regiert, ist ohnehin sehr präsent. Ganz besonders in »ihrem« Paleis Noordeinde aus dem 16. Jahrhundert – Besuch dringend empfohlen.

Nicht weit davon entfernt lockt die wunderschön restaurierte De Passage mit ihrer hohen Glaskuppel und den Marmorböden aus dem Jahr 1885. Vom ältesten Shoppingzentrum der Niederlande ist es dann nicht weit zum vom Star-Architekten Richard Meier erbauten schneeweißen Stadhuis. Das auch Eispalast genannte Gebäude beherbergt neben dem Neuen Rathaus auch eine Bibliothek, Cafés und die Touristinfo. Dort können sich Gäste noch mal den Weg erklären lassen zum Binnenhof mit dem Ridderzaal aus dem 13. Jahrhundert, wo mit dem Parlament das Herz der holländischen Demokratie schlägt. Das größte gotische Profangebäude des Kontinents war im 17. Jahrhundert sogar das Zentrum der europäischen Diplomatie. Als Sitz des Ständigen Schiedsgerichtshofs und des Internationalen Gerichtshofs knüpft Den Haag an diese stolze Vergangenheit an. Untergebracht sind beide Institutionen übrigens im Friedenspalast, der, im Stil der Neo-Renaissance erbaut, das meistfotografierte Gebäude der Stadt darstellen dürfte.

Frieden respektive Ruhe versprechen auch die 115 städtischen Innenhöfe. Dank ihnen und der Grachten, Kanäle und dem kilometerlangen Strand von Scheveningen, zu dem es gerade einmal 20 Leihrad-Minuten sind, und erst recht dank der vielen Parks erklärt sich auch der Beiname »grüne Stadt am Meer«. Orange würde freilich auch passen, siehe oben.

Einen weiteren Grund, in diesem Frühling nach Den Haag zu reisen, stellt die bis 19. Mai stattfindende große Ausstellung »Max Beckmanns Raumdarstellungen« dar. Das Kunstmuseum würdigt, passend zu seinem 140. Geburtstag, einen der eigenwilligsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Es genießt auch so einen Top-Ruf, ebenso wie das Mauritshuis. In dem hängen neben Vermeers »Mädchen mit dem Perlenohrring« und Rembrandts »Anatomiestunde« noch zahlreiche weitere Hochkaräter holländischer Meister.

Dem Meister der perspektivischen Unmöglichkeiten hingegen huldigt die weltgrößte Escher-Museumssammlung. Zur Erinnerung: M.C. Escher war der Grafiker, der Wasser nach oben fließen ließ und Treppen gleichzeitig nach oben und unten führte. Auch Blumen widmete er sich gelegentlich in seinen Werken. Wenig verwunderlich für jemanden, der in Holland geboren ist.

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