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Digital Detox in Vorarlberg: Glücksgefühle im echten Leben
Selbstversuch beim Smartphoneverzicht-Ferienseminar für Digital Detox im österreichischen Montafon
Jemand hat die Käfige bemerkt. Sie machen alles noch schlimmer. Ein paar Teilnehmer verkriechen sich in den Ecken. Ein letztes Bild, eine kurze Nachricht, ein finaler Post. »Jetzt ist es so weit, ich schalte ab.« Danach platziert jeder sein Smartphone in einem der Käfige. Da sind Menschen, die kaum loslassen können, sie halten das Ding noch fest, obwohl es schon zwischen den Gitterstäben liegt. Dort bleibt es für die kommenden fünf Tage. Die Ansage ist klar: Offline. Ohne Handy. Auch kein Computer. Keine Verbindung zur Außenwelt. Man kann die Angst spüren.
Natürlich sind die Teilnehmer freiwillig ins Montafon gekommen, um an diesem Ferien-Seminar der besonderen Art teilzunehmen. Sie sind in den letzten Winkel Vorarlbergs gereist, der sich bis an die Schweizer Grenze schmiegt. Hier in Gargellen, wo die Straße endet, beginnt nun der neue Weg.
Das Smartphone ist für viele zum Lebensinhalt geworden. Mit dabei sind Influencer und Blogger, die auf Bildschirmzeiten von acht Stunden und mehr pro Tag kommen. Sie haben Kindersicherungen eingebaut, damit das Smartphone zumindest nach 20 Uhr stillgelegt ist. Jemand hat ausgerechnet, dass er volle drei Monate eines Jahres in der Internet-Welt verbringt. Eine Teilnehmerin blieb gestern bis spät in die Nacht auf, um alle Social-Media-Kontakte über ihre Offline-Zeit zu informieren. »Danach habe ich gleich eine Kopfweh-Tablette eingeworfen, weil mir der Schädel so gebrummt hat.«
Bei der Offline-Woche in Gargellen geht es darum, einen gesünderen Umgang mit dem Gerät zu lernen. Und das geht nur über den totalen Verzicht. Sagt zumindest Linda Meixner, die das Offline-Institut gegründet und die Woche organisiert hat. Sie ist selbst Influencerin, hatte schon weit mehr als 100 000 Follower. Sie ist nach eigener Aussage schleichend hineingerutscht und fühlte sich irgendwann gefangen. »Man ahnt nicht, was Instagram mit einem macht.« Der ständige Druck, neue, bessere, überraschende Bilder zu liefern, habe ihr stark zugesetzt. Sie verordnete sich eine Smartphone- und Internet-Auszeit von 66 Tagen. Es war zugleich der Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere. Linda Meixner arbeitet jetzt an ihrer Doktorarbeit, die sich um den gesunden Umgang mit dem Handy dreht.
Der totale Smartphone-Verzicht bedeutet zunächst einmal, dass alle viel mehr Zeit haben. Zeit, um sich Sorgen zu machen, ob bei Instagram oder Tiktok irgendetwas abgeht, das man nicht verpassen darf. Oder Zeit, um sich mit der Natur, mit anderen Menschen, mit der eigenen Person zu befassen. »Die ersten 48 Stunden sind die schwierigsten, deshalb haben wir das Programm vollgepackt«, sagt Linda Meixner. Es geht los mit einem Achtsamkeitstraining. Wir wandern durchs Tal, konzentrieren uns auf die Laute der Tiere, das Rauschen des Baches. »So holen wir den Geist ins Hier, weil die Geräusche nur jetzt stattfinden«, sagt die Trainerin. Danach geht es ab in den Wald, Pilze und Kräuter sammeln. Als jemand mit Pfifferlingen ums Eck kommt, scherzt ein Teilnehmer: »Wie lauten die Google-Maps-Daten für den Standort?« Es ist früher Nachmittag, als wir im Wald stehen, wo wir Bäume zerlegen dürfen. Wer will, lässt die Kettensäge heulen und teilt die Fichte in Stücke zu 33 Zentimetern. Die anderen Teilnehmer spalten das Holz und stapeln es am Wegesrand.
Es geht aber nicht nur um Ablenkung, nicht nur darum, die viele Zeit sinnvoll und gewinnbringend zu füllen. Die Offline-Tage folgen dabei einem simplen, aber hoffnungsvollen Prinzip. Der Smartphone-Mensch soll wieder lernen, welche Gefühle und Glücksmomente das echte Leben freisetzen kann. Vier Themen hat Linda Meixner als besonders wichtig identifiziert: Kreativität, Bewegung, Entspannung und soziale Kontakte. Lindas Motto: »Wir holen uns das Glück woanders.«
Das Dilemma mit dem Smartphone ist nämlich: Es ermöglicht eine hohe Frequenz sozialer Interaktion, die zu jeder Menge Dopamin im Gehirn führt. Dopamin ist ein natürliches Glückshormon beim Menschen. Es wird beim Essen, Trinken oder beim Sex ausgeschüttet. Deshalb können viele die Finger nicht mehr vom Mobiltelefon lassen, der Suchtfaktor ist nicht abzustreiten.
Am zweiten Tag berichten einzelne Teilnehmer von einer Art »Heimweh«. Was sie vermissen steckt aber in einem Käfig im Hotelkeller fest. Andere klagen über Phantomschmerzen. Der linke Arm, mit dem sie sonst immer nach dem Telefon greifen, tut weh. Das bleibt uns zum Glück erspart. Aber wir ertappen uns ständig selbst: Die Hand rutscht in die Hosentasche, die Augen scannen das Zimmer, die Ohren warten auf ein Pling-pling. Wo ist das Smartphone? Warum müssen wir uns ständig an dem Ding festhalten?
»Das Leben zieht an einem vorbei, wenn man ständig auf den kleinen Bildschirm blickt«, erklärt Linda Meixner. Wie intensiv das Leben sein kann, erlebt die Gruppe am zweiten Tag. Der Valzifenzbach plätschert gelangweilt vor sich hin. Niemand würde ihm seine Aufmerksamkeit schenken, wäre da nicht der Typ, der mit Badehose in dem eiskalten Wasser steht. 10 Minuten, 15 Minuten. »Ich würde das auch noch länger aushalten. Aber jetzt seid ihr dran«, sagt Josef Köberl, der sich Eis-Bademeister nennt. Die ersten trauen sich. »Man muss sich langsam vortasten. Zuerst tut es weh, dann lässt es nach. Dann kann man weiter hineingehen.« Am Ende schafft jeder mehrere Minuten im acht Grad kalten Wasser.
Und was bringt das für die Smartphone-Diät? Resilienz und Widerstandsfähigkeit. Man lernt stark zu sein und nicht dauernd zum Handy zu greifen. Das gilt auch für die Atem-Meditation, in der wir die Stopp-Funktion üben. Wenn wir zu Hause wieder mal die Hand nach dem Smartphone ausstrecken, sollen wir kurz innehalten und uns fragen, ob es das jetzt wirklich schon wieder braucht.
Bis vor Kurzem hätten wir immer mit Ja geantwortet. Natürlich braucht es das. Gleich nach dem Aufstehen müssen wir die Mails checken. Nach dem Frühstück sofort wieder ran ans Gerät. Bestimmt sind die ersten Whatsapp-Nachrichten da.
Aber jetzt, ohne Handy mitten in Gargellen, starren wir ins Zimmer und stellen uns Fragen, die uns vor 72 Stunden nie und nimmer in den Sinn gekommen wären. Sind wir ohne Smartphone ein besserer und gesünderer Mensch? Die Antwort klingt vermessen, aber sie lautet tatsächlich: ja. Wenn wir gemeinsam Holzhacken oder beim Abendessen sitzen, zieht niemand sein Mobiltelefon raus und schickt eine sinnlose Nachricht durch die Welt. Wir beschäftigen uns mit den anderen, ihrem Leben, ihrem Leiden. Volle Aufmerksamkeit statt halbes Ohr, weil gerade bei Instagram ein Foto steil geht. Und: echte Belohnung. Niemand kriegt ein Like oder ein gelbes Daumenhoch, sondern Schulterklopfen, wenn er mit der Kettensäge einen Baum zu Brennholz verarbeitet. Das ist echte menschliche Wärme, die von Herzen kommt und ins Herz geht und mit einem Emoji, übermittelt auf einem Bildschirm voller kaltem, blauem Licht, nicht ansatzweise vergleichbar.
Dass wir im Offline-Camp gesünder leben, lässt sich schon am Sportprogramm ablesen. Regelmäßig geht es raus zum Wandern oder Klettern. Das Herz-Kreislauf-System freut sich. Aber für den Kopf, für die Psyche, für die Seele sind die Tage eine Art Wunderpille. Die Morgen-Meditation lässt uns locker starten, danach ist Zeit, um sich mit der Natur zu beschäftigen, mit Bäumen, die 200 Jahre und älter sind und unser Dasein winzig erscheinen lassen. Mit jeder Minute draußen steigt die Demut vor den Pflanzen und Tieren, die Dankbarkeit für das eigene wertvolle Leben. Empathie ist jetzt nicht mehr nur ein schwer zu schreibendes Fremdwort, sondern eine erstrebenswerte Haltung anderen und der Natur gegenüber. Wir schaffen es, alle Sorgen fallen zu lassen, fühlen uns frei und rein. Die Tage sind voller Glück, wir strotzen vor Kraft und Selbstbewusstsein.
Ab dem vierten Tag wird es für einige Teilnehmer schwieriger. »Jetzt gibt es mehr Me-Time. Ihr habt ja schon Strategien gelernt, wie man ohne Smartphone mit sich selbst klarkommt.« Für uns ist das Rezept einfach: Wir gehen raus und beobachten die Vögel, die Berge, den Regen. Und dennoch schwebt eine Frage über uns, die so schwer lastet wie die dicken Wolken am Himmel: Was ist, wenn wir wieder zu Hause sind?
Natürlich haben nicht alle Vorsätze gehalten. Aber wir haben viele kleine Dinge geändert, die unseren Alltag entspannter, gesünder, ja: besser machen. Das Smartphone hat einen festen Platz im Haus. Nur dort greifen wir es an und daddeln rum. Wenn wir zu einem Termin oder zu Freunden eilen, tragen wir es nicht mehr am Körper, sondern im Rucksack oder einer Tasche. Je weiter weg es von den Fingern ist, je schwieriger es zu erreichen ist, desto besser. Kurze Wartezeiten an der Bushaltestelle nutzen wir, um den Himmel, die Natur, unsere Umwelt zu betrachten. Oder eben alle anderen, die in gebückter Haltung auf einen kleinen Bildschirm starren.
Die Recherche wurde unterstützt von Montafon Tourismus.
- Anreise: Per Bahn nach Schruns (Umstieg in Bludenz). Weiter mit dem Bus nach Gargellen. Mit dem Auto über Lindau/Bodensee ins Montafon.
- Unterkunft: Hotel Madrisa mit historischem Charme, renovierten Zimmern und feiner Kulinarik. www.madrisahotel.com
- Nächster Termin: 8. bis 13. September. Workshops, Veranstaltungen, Kurse, Vorbereitung, Nachbetreuung, Unterkunft und Verpflegung. www.offline-institute.com
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