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EU-Rechte im Aufschwung: Schwarz-braun ist die Gefahr

In vielen EU-Staaten verschwimmen die Grenzen zwischen extrem rechter und konservativer Politik

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.
Rechtstrend in der EU – EU-Rechte im Aufschwung: Schwarz-braun ist die Gefahr

Der Bahnhof Opatija-Matulji befindet sich auf einem Gebirgsmassiv. Wer hier auf den Zug wartet, blickt auf die zerklüftete, felsige kroatische Adriaküste, auf die Kvarner Bucht. »Ah Opatija, Habsburg«, sagt ein älterer Herr, ein einheimischer Kroate. Er strahlt. Früher gehörte das Seebad zur österreichisch-ungarischen Donaumonarchie, noch heute dominieren hier die Bauten aus den Zeiten der Habsburger Herrscher. »Das muss eine schöne Zeit gewesen sein«, sagt der grauhaarige Mann in perfektem Deutsch mit Wiener Dialekt zu einer Touristin, die ihn nach der Abfahrtzeit des Zuges gefragt hat. »Wenn es Österreich-Ungarn noch geben würde mit seinen vielen europäischen Völkern, bräuchten wir keine Europäische Union«, fährt er fort. In Europa gebe es »zu viele Araber und Afrikaner«. »Wir verlieren Europa«, sagt der Kroate, seufzt und steigt in den Zug, der gerade in den Bahnhof eingefahren ist.

Europawahl 2024

Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl

Wenige Wochen später, am 17. April, finden Parlamentswahlen in dem Balkanland statt, die erneut die konservative Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) gewinnt. Der Mann am Bahnhof hatte das ausgesprochen, was viele Wähler von konservativen und rechten Parteien wollen: ein gemeinsames Europa, aber autoritär regiert, mit schwachen Gewerkschaften, christlich-konservativ und ohne Geflüchtete, die aus dem Süden und Südosten kommen und in den Staaten der EU Schutz vor Verfolgung, Kriegen und Hunger suchen.

In diesen Fragen bestehen zwischen vielen rechten und konservativen Parteien in der EU keine großen Differenzen. Hoffähig wurden die Rechten auch deswegen, weil viele von ihnen in die konservative europäische Parteienfamilie, die Europäische Volkspartei EVP, aufgenommen wurden. Dafür haben sich auch CDU und CSU, die mächtigsten Mitglieder der EVP, eingesetzt. Somit sicherten sie sich einst Mehrheiten im EU-Parlament und eine enge Bindung an Regierungsparteien osteuropäischer Staaten, die für deutsche Unternehmen als Absatzmärkte und günstige Produktionsstandorte fungieren. Hinzu kommt, dass die Polizeiapparate unerwünschte Migration abwehren. So sind etwa an der kroatischen EU-Außengrenze die Pushback-Praktiken gegenüber Geflüchteten von Menschenrechtsorganisationen gut dokumentiert. Es kommt zu Misshandlungen und sexueller Gewalt. Trotz dieser Menschenrechtsverletzungen wurde HDZ-Parteichef und Ministerpräsident Andrej Plenkovic nach seinem Wahlsieg in Kroatien von zahlreichen deutschen Medien als Mann der »politischen Mitte« bezeichnet.

Seine Partei, die HDZ, in der sich viele radikale kroatische Nationalisten tummeln, ist Mitglied in der EVP und gehört dort zum rechten Flügel. Das gilt auch für die Forza Italia, die einst vom im vergangenen Jahr verstorbenen Silvio Berlusconi gegründet wurde. Sein Werk als Parteichef setzt Antonio Tajani fort, heute italienischer Außenminister unter der faschistischen Regierungschefin Giorgia Meloni von Fratelli d’Italia.

In Spanien hat der konservative Partido Popular, ebenfalls eine Schwesterpartei von CDU und CSU, seine Wurzeln in der faschistischen Franco-Diktatur. Die Führungsebene des Partido Popular besteht zum Teil aus Kindern und Enkeln der franquistischen politischen Elite.

So verwundert es nicht, dass es inzwischen in zahlreichen europäischen Ländern auf kommunaler oder auch nationaler Ebene zur Zusammenarbeit zwischen diesen konservativen und rechtsradikalen Parteien kommt, nicht nur in Süd- und Osteuropa, sondern inzwischen auch im Norden, wie etwa in Finnland.

Allerdings gibt es auch rote Linien, die aus Sicht der EVP nicht überschritten werden dürfen, wenn eine Partei bei ihr aufgenommen oder als Bündnispartnerin einer ihrer Mitgliedsparteien akzeptiert wird. Diese Linie verläuft bei der Frage, welche Haltung zum Krieg in der Ukraine und zur Nato eingenommen wird, und ob die Parteien dem Projekt der Europäischen Union grundsätzlich offen oder skeptisch gegenüberstehen.

Europa to go

Ein Podcast, der dich anlässlich der Europawahl 2024 ins »Herz« der EU mitnimmt. Begleite uns nach Brüssel und erfahre mehr über Institutionen wie das Europäische Parlament, was dort entschieden wird und warum dich das etwas angeht. Der Podcast ist eine Kooperation von »nd«, Europa.Blog und die-zukunft.eu. Alle Folgen auf dasnd.de/europa

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gilt wegen seiner EU-Skepsis als disqualifiziert und seine Partei Fidesz wurde in den vergangenen Jahren aus der EVP gedrängt. Inzwischen macht sich Orbán bei Europas Konservativen wegen seiner anhaltenden Kooperation mit Russland in der Energiepolitik und seiner Kritik an Waffenlieferungen an die Ukraine unbeliebt. Die kürzlich in Polen abgewählte PiS-Partei steht zwar in Feindschaft zum Russland von Präsident Wladimir Putin, propagiert aber ein »Europa der Vaterländer« und weniger Macht für Brüssel in der EU. Wegen des letztgenannten Punktes ist sie für die EVP-Parteien keine Partnerin.

Diese Konfliktlinien zwischen EU-Skeptikern und EU-Befürwortern sowie zwischen Gegnern und Unterstützern der Aufrüstung der Ukraine im Krieg mit Russland verläuft nicht nur im konservativen und rechten Parteienspektrum der Europäischen Union, sondern auch in der Sozialdemokratie. Im Herbst vergangenen Jahres suspendierten die europäischen Sozialdemokraten ihre slowakischen Mitgliedsparteien Smer-SD und Hlas. Offizieller Grund war, dass die beiden slowakischen Parteien beschlossen hatten, eine Koalition mit der rechtsradikalen slowakischen Nationalpartei einzugehen. Für noch größeren Aufruhr im sozialdemokratischen Lager hatte die Ankündigung vom Parteivorsitzenden der Smer-SD und Ministerpräsident Robert Fico gesorgt, keine Waffen mehr an die Ukraine liefern zu wollen.

Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament Anfang Juni werden die rechten Parteien aller Voraussicht nach große Zugewinne verbuchen. Doch dieses Ergebnis wird die bisherige Politik der EU nicht ins Wanken bringen. Zu zerstritten ist das rechte Lager, das sich im EU-Parlament in drei Fraktionen sowie fraktionslose Abgeordnete aufteilt. Der Einfluss der EU-Skeptiker wird in geringem Maße wachsen. Dagegen lassen sich rechte Parteien in Spanien, Kroatien, Italien und einigen anderen Ländern ins bisherige Machtsystem integrieren. Bereits jetzt ist zu erkennen, dass die Grenzen zwischen extrem rechter und konservativer Politik in vielen EU-Mitgliedsländern verschwimmen.

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