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Katalonien: Puigdemont geht ins Risiko

Exilpräsident Kataloniens knüpft sein politisches Schicksal an Sieg bei den Regionalwahlen

  • Ralf Streck, Tarragona
  • Lesedauer: 4 Min.
In Argelès-sur-Mer wird Carles Puigdemont von seinen Anhängern gefeiert.
In Argelès-sur-Mer wird Carles Puigdemont von seinen Anhängern gefeiert.

Eine Meldung führte am Mittwoch zu schallendem Gelächter in der Wahlkampf-Endphase in Katalonien. Am Sonntag wird in vorgezogenen Neuwahlen das Regionalparlament gewählt mit potenziellen Auswirkungen auf die spanische Regierung, die für Mehrheiten in Madrid auf die Stimmen katalanischer Unabhängigkeitsparteien angewiesen ist. Und dabei nicht nur auf die der linksrepublikanischen ERC, sondern auch auf die der liberalen Junts von Carles Puigdemont, der im EU-Parlament sitzt. Und just in Sachen Puigdemont hatte die spanische Polizei dem Obersten Gerichtshof in Madrid mitgeteilt, Interpol sei es nicht gelungen, den Aufenthaltsort von Puigdemont zu ermitteln. Dabei zierte Puigdemonts Konterfei die aktuelle Ausgabe der Wochenzeitung »Politico«, in der auch zu lesen war, dass der Exilpräsident sein Hauptquartier in Perpignan »in einem Coworking-Center in einem Industriegebiet in einer der ärmsten Städte Frankreichs« hat. Der Gerichtshof wollte ihn zu Terrorismusvorwürfen vernehmen, die ein spanischer Richter gegen ihn erhebt, um die Amnestie auszuhebeln, bei der in der Gesetzesvorlage Terrorismus an internationale Definitionen gebunden ist. Das Gesetz steht kurz vor der endgültigen Verabschiedung im Madrider Parlament.

Puigdemont bereitet seine Rückkehr vor

Puigdemont muss nicht gesucht werden. Er floh nach dem Unabhängigkeitsreferendum 2017 ins belgische Exil, um seinen Häschern zu entgehen. Nun bereitet er seine Rückkehr in die Heimat vor. Seine Wahlkampf-Auftritte werden offen angekündigt, zu denen aus dem Süden Kataloniens fast täglich Tausende Anhänger nach Argelès-sur-Mer anreisen. Dorthin begaben sich Republikaner und Internationale Brigaden ab 1938 ins Exil, nachdem die Franco-Putschtruppen Katalonien übernommen hatten. Sie wurden in »Strandlagern« interniert und landeten später oft in Nazi-Konzentrationslagern.

Für eine der Spitzenkandidatinnen von Puigdemonts Junts (Gemeinsam für Katalonien) hat Argelès (katalanisch Argelers) nun eine neue Bedeutung. Nach der verlorenen Ebro-Schlacht war auch der Großvater von Mònica Sales dort interniert. »Dieses Leiden, das Argelers für uns bedeutete, hat sich in Hoffnung verwandelt: Die Hoffnung, die die Rückkehr von Präsident Puigdemont ermöglicht«, sagte sie bei ihrem Auftritt dort.

Puigdemont wird den Wahlkampf in Elna (französisch Elne) beenden. In der kleinen Gemeinde, in der vorrangig Katalanisch gesprochen wird, wird er am Freitag um Wählerstimmen werben. Staatsmännisch und siegessicher ist er per Großbildleinwand auch in Barcelona, Tarragona oder Girona zu sehen. Er will die Wahlen gewinnen, obwohl bisher alle Umfragen dem Sozialdemokraten Salvador Illa von der PSC einen Sieg vorhersagen. Von einer Mehrheit der 68 Sitze ist Illa allerdings weit entfernt. Umfragen sehen die PSC bei in etwa 40 Sitzen, gefolgt von Junts mit rund 35 und der ERC mit 28, die derzeit mit Pere Aragonès noch den Regierungschef stellt. Im bisherigen Parlament hatte das Unabhängigkeitslager aus ERC, Junts und der linksradikalen CUP eine absolute Mehrheit, die sich dieses Mal nicht abzeichnet. Überraschungen sind freilich nicht ausgeschlossen und Junts verzeichnet seit Puigdemonts Kandidatur einen Aufwärtstrend.

Puigdemont fürchtet sich nicht vor einer Verhaftung

Puigdemont hat seine Rückkehr angekündigt, obwohl er in Spanien trotz der Amnestie angesichts einer von der spanischen Rechten kontrollierten Justiz mit einer Inhaftierung rechnen muss. »Ich fürchte mich nicht vor einer Verhaftung«, erklärt er. Mit der Amnestie »sinkt« nur die Gefahr, sei aber nicht weg. Er tritt zwar an, um die »Unabhängigkeit zu vollenden«, die er 2017 Ende Oktober ein paar Wochen nach dem Referendum ausgerufen hatte. Aber er wirbt auch um die Stimmen derer, die dem skeptisch gegenüberstehen. Nur er könne die Belange »aller Katalanen« gegenüber Madrid durchsetzen, die Finanzierung und die Lebensbedingungen der Menschen verbessern.

Der Noch-Regierungschef Pere Aragonès blieb im Wahlkampf blass. Angestammte ERC-Wähler nehmen Aragonès seine Versprechen nach einem »Referendum, einer singulären Finanzierung und Stärkung der katalanischen Sprache« nicht ab. Der Umgang mit der schweren Dürre und mit umstrittenen Projekten wie dem geplanten größten Casino Europas stößt viele vor den Kopf. Sogar ERC-Mitglieder fragen sich im Gespräch mit »nd«, warum die Versprechen nicht schon eingelöst wurden. Dem charismatischen Puigdemont, der seinen Überzeugungen treu geblieben ist, gelingt es offenbar, in die Wählerschaft der ERC und sogar in die der CUP einzudringen. Wie tief, wird sich am Sonntag zeigen. Wird er im Nachgang der Wahlen nicht zum Präsidenten gewählt, will Puigdemont der aktiven Politik den Rücken kehren: »Es macht wenig Sinn, Oppositionschef zu werden.«

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