1. FC Union Berlin: Kulturkampf in Köpenick, Kellerkrimi in Köln

Fehler im Erfolg: Wie sich der Berliner Bundesligist in eine bedrohliche Situation gebracht hat

Führungskräfte mit Fehlern: Präsident Dirk Zingler (l.) und Sportchef Oliver Ruhnert
Führungskräfte mit Fehlern: Präsident Dirk Zingler (l.) und Sportchef Oliver Ruhnert

Es gibt tatsächlich Orte an der Alten Försterei, die Dirk Zingler am liebsten nicht betreten würde. »Das ist kein gutes Zeichen«, sagte der Präsident des 1. FC Union Berlin, »dass ich hier in dieser Saison jetzt schon zum dritten Mal stehe.« Im Presseraum des Bundesligisten nahm er am Dienstag Stellung »zur gestrigen Trainerentscheidung des Vereins«, wie Medienchef Christian Arbeit das Frage-und-Antwort-Spiel eröffnete. Und so wurde vieles rund um die Entlassung von Nenad Bjelica besprochen, manches nur angedeutet. Einiges blieb aber auch unbeantwortet, was ebenso kein gutes Zeichen ist – für den Zustand des Vereins.

Fehler des Vereins

Die sportliche Situation hat nicht allein Bjelica zu verantworten. Als Zingler am 15. November im Presseraum stand, musste er über die Trennung von Erfolgstrainer Urs Fischer sprechen. Damals waren Unions Fußballer am Tabellenende der ersten Liga angekommen. Jetzt ist das Team Viertletzter und kann an diesem Sonnabend im Kellerduell beim Vorletzten, dem 1. FC Köln, zumindest den direkten Abstieg verhindern. Höher hinaus konnte es in Köpenick gar nicht gehen, »diese historische Saison«, wie der Präsident erneut betonte, führte Union in der Champions League zu den größten Klubs des Kontinents. Der Absturz lässt sich allerdings nicht nur damit erklären, dass die Mannschaft nicht beständig über ihrem Limit spielen kann – er ist vor allem Ausdruck der Fehler des Vereins, die bekanntlich meist im Erfolg gemacht werden.

Niederlagen gehören im Fußball zum Alltag, einige wirken wesentlich. Eine Trennung sei immer eine Niederlage für den Verein, sagte Zingler. Ebenso entscheidend ist die Neubesetzung der Trainerposition. Wie schon nach der Trennung von Fischer übernimmt Unions U19-Trainer Marco Grote diese Aufgabe. Damals holten er und seine Assistentin Marie-Louise Eta beim 1:1 gegen den FC Augsburg nach neun Niederlagen in Folge den ersten Punkt für Union. Jetzt bleiben beiden – zusammen mit Co-Trainer Sebastian Bönig – zumindest zwei Spiele, um erneut die Wende zum Guten einzuleiten. Und die Berliner können den Klassenerhalt ja noch immer aus eigener Kraft schaffen. Grote traut sich das zu. »Unsere Mannschaft kenne ich gut und weiß, dass wir mit vereinten Kräften in der Lage sind, die nötigen Punkte zu holen«, sagte er nach seiner erneuten Beförderung.

Desinteresse an Sorgen der Fans

Vielleicht ist es die Schwere solcher Entscheidungen, deren Entstehen teilweise zu großem Unverständnis führt. Am vergangenen Sonntag, nach der herben 3:4-Niederlage gegen den VfL Bochum, hatte der Präsident vor laufender Fernsehkamera noch ein Treuebekenntnis zu Bjelica abgegeben, keine 24 Stunden später war der Trainer seinen Job los. Wiederum einen Tag später versuchte er das zu erklären: »Jeder Mitarbeiter erhält bis zur letzten Sekunde meine vollste Unterstützung.« Dies galt auch für den kroatischen Coach, »bis wir einen neuen Cheftrainer installieren«, so Zingler. Wollte er damit die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit zerstreuen, es ist ihm nicht gelungen. Denn neben seiner Kritik an der spekulativen Arbeitsweise der Medien, die ihm »richtig auf den Zeiger geht«, verbannte er im Nachsatz gleich alle Kritiker in die Bedeutungslosigkeit. Es tangiere ihn überhaupt nicht, was namenlose User in irgendwelchen Foren schreiben, meinte der Präsident. Damit bewies er ein erstaunliches Desinteresse an den Sorgen der Fans – und degradierte sie zu reinen Konsumenten. Kleiner Kreis statt große Union-Familie? Ihn interessiert jedenfalls nur das, »was Menschen auf direktem Weg besprechen und besprochen haben«.

Das ein oder andere unbedachte Wort mag der Situation geschuldet sein. Die große Anspannung im Abstiegskampf ist jedenfalls allgegenwärtig. Eigentlich sollte der Verein darauf vorbereitet sein. In einem Nebensatz erinnerte Zingler an das ausgegebene Saisonziel: Klassenerhalt. Wurde im kleinen Kreis doch anderes geplant? Sicher ist, dass sich der Verein nach Jahren des sportlichen Aufstiegs und wirtschaftlichen Wachsens verändert hat. Dafür genügt ein Blick in die Mannschaft. Nur zwei Beispiele: Nationalspieler Robin Gosens ist bestimmt nicht nach Berlin gekommen, um gegen den Abstieg zu spielen. Ein Europameister ebenso wenig, allerdings ist Leonardo Bonucci schon wieder weg.

An manche seiner Worte konnte oder wollte sich Zingler am Dienstag im Presseraum nicht erinnern. Dabei hatte er im November an gleicher Stelle auf Nachfrage von »nd« tatsächlich und verständlicherweise auch von seiner Angst vor den Tagen nach der Trennung von Urs Fischer gesprochen. Denn klar war: Nichts wird mehr so sein, wie es war. Nun ließ er die Frage unbeantwortet, welche seiner Befürchtungen sich bewahrheitet haben. Den Verdacht, dass abhanden gekommen ist, was Union groß gemacht hat, verstärkte die Pressemitteilung zu Bjelicas Entlassung am Montag mit folgender präsidialer Einlassung: »Wir brauchen im Kampf um den Verbleib in der Bundesliga die Kraft des gesamten Vereins.« Wird eine jahrelange Selbstverständlichkeit derart betont, muss einiges im Argen liegen.

Kosten ohne Nutzen

Für den sportlichen Absturz muss Oliver Ruhnert die Verantwortung übernehmen. Unions Sportchef machte nach vielen beachtlichen Entscheidungen in dieser Saison einige Fehler. Angefangen bei der Transferpolitik im vergangenen Sommer mit folgendem Plan: »Wir sind heute in einer Situation, entscheiden zu können, was gut für unseren Klub ist. Beim Aufstieg in die Bundesliga mussten wir Sachen machen, um konkurrenzfähig zu sein.« Gut für die Köpenicker war die auch kostspielige Einkaufstour nicht, viele Spieler passten nicht in das erfolgreiche System von Urs Fischer. Im Köpenicker Winter gab Union dann mit Sheraldo Becker und Kevin Behrens seine besten Angreifer ab. Seitdem fehle ein zentraler Mittelstürmer, kritisierten Offensivspieler immer wieder in Gesprächen. Der dafür von Ruhnert verpflichtete Chris Bedia kam bislang auf gerade mal 102 Einsatzminuten.

Das erfolgreiche Spiel von Union beruhte immer mehr auf mannschaftlicher Stärke als individueller Qualität. Die Pflege der gewinnbringenden Gemeinschaft gelang Ruhnert in dieser Saison nicht. Neben dem Italiener Bonucci hielt es beispielsweise den zwischenzeitlich sogar suspendierten David Fofana auch nur ein halbes Jahr in Berlin. Der Sportchef entschied sich bei seinen Spielerverpflichtungen diesmal für mehr Qualität und weniger Charakter. Bei Bjelica schien beides nicht zu passen. Ein Trainer, der das eigene Wirken lobt und die Gründe für Niederlagen öffentlich bei seinen Spielern sucht? Ja, so kann man sich täuschen. Langanhaltende Gerüchte, dass die Mannschaft mit »Methoden und Inhalten des Trainings« unzufrieden war, bestätigte Zingler am Dienstag.

Stumme Vereinslegende

In der Pressemitteilung zum Trainerwechsel wurde sehr viel mehr über Marco Grote geschrieben, Bjelica kaum erwähnt. Selbst kam er gar nicht zu Wort. Gleiches geschah Michael Parensen Anfang April, als das Ende der Zusammenarbeit zwischen dem langjährigen Spieler und späteren Technischen Direktor der Profiabteilung verkündet wurde. Weil Union aber »für eine schöne Verabschiedungskultur bekannt ist«, wie Zingler am Dienstag betonte, »können Sie sich ja vorstellen, woran das liegt«. Nun ja, zu einer Beziehung gehören immer zwei, mindestens. Vor allem der klanglose Abschied einer Vereinslegende wie Parensen zeigt, dass Union um seine Erfolgskultur wieder kämpfen muss. Auch in diesem Fall wurden die Fans mit ihrer Fassungslosigkeit allein gelassen. Deren Sorgen um Werte scheinen den Verein nicht mehr allzu sehr zu kümmern: Ein Heimspiel im falschen Trikot? Kein Problem! Der Sponsor ist zufrieden.

Die vollste Unterstützung des Präsidenten genießt jetzt jedenfalls der neue Trainer: »Marco Grote und seinem Team trauen wir zu, unsere Spieler wieder an ihre Leistungsgrenze zu führen, um die verbleibenden Partien bis zum Saisonende erfolgreich zu gestalten.« Der Interimscoach sei auch im November schon ein Kandidat für den Chefposten gewesen, verriet Zingler, »und er ist es auch wieder im Sommer«. Treffen wird die Entscheidung dann wahrscheinlich wieder Oliver Ruhnert, mit dem die Zusammenarbeit laut Aussage des Präsidenten fortgesetzt wird. Warum auch nicht, Fehler sind ja auch dazu da, um aus ihnen zu lernen.

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