• Berlin
  • Wirtschaftskriminalität

Millionenschaden durch irreguläre Beschäftigung in der Baubranche

Gericht stellt Beteiligten eines »Schwarzarbeit-Systems« am Bau Haftstrafen in Aussicht

Zollbeamte inspizieren eine Baustelle in Berlin.
Zollbeamte inspizieren eine Baustelle in Berlin.

Von einem »System der Schwarzarbeit« spricht der Vorsitzende Richter Meyer am Mittwoch zur Eröffnung eines Strafverfahrens am Berliner Landgericht. Angeklagt sind vier Beschuldigte, die von 2014 bis 2018 im Kontext einer Baufirma, der Necko Hoch- und Tiefbau GmbH, Arbeiter*innen irregulär beschäftigt haben sollen. Dadurch seien den zuständigen Trägern Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 32,8 Millionen Euro vorenthalten worden. Zusätzlich gibt die Staatsanwaltschaft eine Schadenssumme von 6,8 Millionen Euro an, die dem Staat als Lohnsteuern entgangen seien. Die Necko sei für kleinere Firmen und große Generalunternehmer tätig gewesen.

Die Schadenssumme ordnet Richter Meyer als »deutlich höher als bei vergleichbaren Fällen« ein. Zwei der Beschuldigten sind die ehemaligen Geschäftsführer der Necko. Sie seien zwar formal die Hauptverantwortlichen, allerdings so merkt Richter Meyer an, fehle der »Elefant im Raum«, der eigentliche wirtschaftliche Profiteur. Die beiden Angeklagten seien als Geschäftsführer eingesetzt worden, um einen weiteren Bauunternehmer, der eine Zeit lang auch als Gesellschafter der Necko fungierte, im Hintergrund zu halten. Dennoch seien die beiden Angeklagten nicht als reine »Strohgeschäftsführer« zu beurteilen. Sie seien maßgeblich an der organisierten Schwarzarbeit beteiligt gewesen.

Den anderen Beklagten wirft die Staatsanwaltschaft Beihilfe vor. Beide seien als Geschäftsführer weiterer Unternehmen tätig gewesen, die der Necko Scheinrechungen ausgestellt hätten. Die Unternehmen seien laut Staatsanwaltschaft als »Zweckbetriebe zur Verschleierung von Schwarzlohn« geführt worden. Dabei habe einer der beiden Beschuldigten 548 Scheinrechungen ausgestellt. Der andere, so Richter Meyer, habe innerhalb eines Jahres mehrmals je 50 000 Euro in Taschen aus der Bank getragen, die anschließend an die Arbeiter*innen ausbezahlt wurden.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

Um das Verfahren, für das 17 weitere Termine vorgesehen sind, nach Möglichkeit abzukürzen, stellt das Gericht den Prozessbeteiligten ein zu erwartendes Strafmaß in Aussicht für den Fall, dass sie sich geständig zeigen. Dabei müssten die ehemaligen Geschäftsführer mit Haftstrafen bis zu vier Jahren und sechs Monaten beziehungsweise drei Jahren und neun Monaten rechnen. Die der Beihilfe Beschuldigten hätten bis zu drei Jahre sowie bis zu zwei Jahre und drei Monate Haft zu erwarten. Die Staatsanwaltschaft wie auch die Angeklagten und ihre insgesamt sieben Verteidiger*innen ließen am Mittwoch offen, ob sie auf die Verständigungsangebote eingehen werden.

Strafmildernd ist laut Richter Meyer anzurechnen, dass die tatsächliche Summe des Schadens als insgesamt niedriger einzuschätzen sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass die vollen per Scheinrechnungen ausgestellten Beträge an die irregulär Beschäftigten gezahlt wurden. Vielmehr müsse einberechnet werden, dass die an dem System Beteiligten Teilbeträge einbehielten. Die ehemaligen Geschäftsführer hätten zudem im Ermittlungsverfahren weitgehende Aussagen auch zu anderen Verfahrenskomplexen gemacht, weshalb für sie als Kronzeugen das Strafmaß abzusenken sei.

Das Verfahren wird am 17. Mai fortgesetzt. Gegenstand in dem Strafverfahren ist lediglich der mutmaßlich dem Staat zugefügte Schaden. Die um ihren Lohn und ihre Versicherungsleistung geprellten Arbeitnehmer*innen hätten mögliche eigene Forderungen bereits vor Jahren vor dem Arbeitsgericht vortragen müssen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.