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Kolumbien: »Hier kämpfen Indígenas gegen Indígenas«

Die kolumbianische Regierung von Gustavo Petro tut sich schwer damit, das Land zu befrieden

  • Knut Henkel, Cauca
  • Lesedauer: 7 Min.
Vielerorts eskaliert die Gewalt in der Provinz Cauca. Die indigene Selbstorganisation Guardia Indígena versucht, die Konflikte friedlich zu entschärfen.
Vielerorts eskaliert die Gewalt in der Provinz Cauca. Die indigene Selbstorganisation Guardia Indígena versucht, die Konflikte friedlich zu entschärfen.

Juan Rivera Caso stehen die Sorgen ins Gesicht geschrieben. Er leitet die Selbsthilfeorganisation Guardia Indígena von Pueblo Nuevo und muss zusehen, wie sich die Situation in der Provinz Cauca zuspitzt. Im Februar war er für die Sicherheit rund um den 53. Gründungstag des indigenen Rates im Cauca (Cric) verantwortlich. Viel Verantwortung lastete auf ihn, denn er hatte den Einsatz von knapp sechshundert Mitgliedern der Guardia Indígena zu koordinieren, um die Großveranstaltung mit rund 11 000 Teilnehmenden zu schützen. Dem Rat gehören alle elf indigenen Ethnien des Verwaltungsbezirks an, der sich südlich der Metropole Cali befindet. Die Provinz Cauca ist eine Zone Roja, eine Hochrisikozone, wo immer wieder Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen ermordet werden – darunter viele Indigene.

Das Treffen in Pueblo Nuevo sollte ein Zeichen setzen. »Von ihm sollte das Signal ausgehen, dass wir geeint sind, dem Terror, der hier in der Region zugenommen hat, zu widerstehen«, erzählt Caso. Er stellte Kontrollposten an den Zugängen nach Pueblo Nuevo auf und schickte Patrouillen der unbewaffneten und nur mit Funkgerät, Mobiltelefon sowie dem Bastón, dem silberbeschlagenen Holzstock der Guardia Indígena, ausgestatteten Freiwilligen in die weitere Umgebung.

Rund 10 000 Freiwillige gehören der Guardia Indígena im Cauca an. Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder, die nicht nur Sicherheitstrainings erhalten, sondern denen auch indigene Traditionen und Werte vermittelt werden. Aufgabe der Guardia Indígena ist es, das Leben und das indigene Territorium zu schützen. Das ist seit einigen Monaten vielen Regionen des Cauca immer schwerer geworden. Die Präsenz von bewaffneten Gruppen habe zugenommen, erklärt Oveimar Tenorio. Der drahtige 30-Jährige ist seit Dezember 2023 der politische Koordinator der Guardia Indígena und im gesamten Cauca unterwegs.

Im Kreuzfeuer der bewaffneten Akteure

»Derzeit dreht sich fast alles darum, unsere Anführer zu schützen, die Guardia besser auszubilden und effektiver zu machen«, sagt Tenorio. Die Gewalt hat zuletzt zugenommen. Das liegt an zwei Dingen: Zum einen sind die indigenen Strukturen den bewaffneten Akteuren ein Dorn im Auge. »Wir sind im Weg, weil wir unser Territorium verteidigen und dem Schmuggel- und Drogenanbau im Wege stehen. Das stört die Interessen der Bewaffneten.« Zum anderen hat die Regierung von Gustavo Petro ihre Strategie gewechselt. Nach langen, zähen und letztlich erfolglosen Verhandlungen geht die Armee auf Weisung des Präsidenten wieder militärisch gegen bewaffnete Akteure vor, die sich am Verhandlungstisch zu nichts verpflichten wollen. Auslöser für den Strategiewechsel war der Angriff einer mobilen Kolonne der Farc-Abspaltung Estado Mayor Central (EMC) auf eine Gruppe von Indigenen, bei dem sie einen Jungen entführte.

Tenorio hält den Strategiewechsel der Regierung für angebracht, denn er zeigt dem EMC, der im Norden des Cauca aktiv ist und mit anderen bewaffneten Akteuren um die Kontrolle des Marihuana-Handels konkurriert, nicht verhandlungsbereit zu sein. »Das gilt für mehrere der Akteure, mit denen in den letzten 18 Monaten letztlich erfolglos verhandelt wurde.« Die Zivilgesellschaft leidet unter dem Stillstand. »Seit Januar haben wir 200 Morde an indigenen Menschen registriert, 260 Jugendliche wurden von den bewaffneten Akteuren rekrutiert – oft unter Zwang«, berichtet der Angehörige der Nasa, einer der elf indigenen Ethnien des Cauca. »Es fehlt an Schutz durch staatliche Institutionen, aber auch an neuen Konzepten, Einigkeit und klaren Strategien.« Mit seiner Kritik ist Tenorio nicht allein.

Auch Feliciano Valencia gehört zu denen, die zu einer Neuausrichtung des Cric anregt. Der 58-Jährige ist Senator im Parlament in Bogotá für die alternative indigene und soziale Bewegung Mais (Movimiento alternativo indígena y social), eine schillernde Figur der indigenen Bewegung. Als Redner trat er in Pueblo Nuevo für eine grundlegende Erneuerung innerhalb der indigenen Bewegung ein. »Die Situation im Cauca ist sehr komplex, weil das Friedensabkommen mit der Farc vom November 2016 von einem Teil der Frentes der Farc nicht unterzeichnet wurde. Außerdem wurde es nicht von der rechtsnationalen Regierung unter Iván Duque implementiert.« Geduldig beantwortete der Senator, auf den bereits mehrere Anschläge verübt wurden, im Februar auf dem Treffen viele Fragen der Teilnehmer*innen und suchte den Dialog mit den Verantwortlichen des indigenen Rates und der Guardia Indigéna.

Drei Tage hatte sich der kleine Mann mit dem dünnen Pferdeschwanz und dem eleganten Strohhut, den ein grün-rotes Band in den Farben des Cric ziert, Zeit für das wichtigste indigene Treffen des Jahres genommen. »Wir haben es im Cauca nicht nur mit der EMC zu tun«, sagt er. »Auch die Segunda Marquetalia ist präsent, eine weitere Farc-Abspaltung, die wegen der Nichtumsetzung des Friedensabkommens mit der Farc wieder zu den Waffen gegriffen hat sowie die Guerilla der ELN.« Hinzu kommen extrem brutal agierende Drogenbanden, Paramilitärs und die staatlichen Sicherheitskräfte, die seit Mitte März wieder militärisch agieren und gegen einzelne Kolonnen des EMC vorgehen. »Diese Vielzahl an Akteuren sorgen für eine extrem unübersichtliche Situation.« Zentrales Problem dabei ist, dass es nach den Friedensverhandlungen zwar Waffenstillstände zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der EMC oder anderer Gruppen gibt, nicht aber zwischen den betreffenden Akteuren, kritisiert Valencia ebenso wie Joe Sauca, Sprecher des CRIC. »Für die ländliche Zivilbevölkerung ist das eine konkrete Bedrohung«, sagt der Sprecher des Cric. »Sie gerät immer wieder ins Kreuzfeuer.«

Fehler in der Regierungsstraegie

Für Sauca und Valencia ist das ein Konstruktionsfehler in der Strategie des Paz Total, des totalen Friedens, der Regierung von Gustavo Petro. Die will eine umfassende Friedenslösung am Verhandlungstisch erzielen. Doch eine zentrale Voraussetzung dafür ist, dass die bewaffneten Akteure dazu bereit sind. Genau das bezweifeln immer mehr indigene Repräsentanten. Sauca hat auf einer Pressekonferenz Anfang Februar in Popayán erstmals offen multilaterale und nicht mehr bilaterale Waffenstillstandsabkommen mit den bewaffneten Akteuren eingefordert. Die sind aber in der Drogenproduktion, bei der Förderung von Gold sowie im Schmuggel von Waffen und anderen Gütern aktiv. Und diese Betätigungsfelder sind derart lukrativ, dass sie meistens daran festhalten wollen, wie gerade ein Communiqué der ELN bestätigt hat. Die Guerilla finanziert sich zum Teil mit Entführungen und der Erpressung von Lösegeld. Hinzu kommt, dass vor allem der Norden des Cauca, der von zwei Anden-Kordilleren zerschnitten wird, militärisch kaum zu kontrollieren ist.

Zerklüftete Bergrücken und tiefe Täler prägen die Region von Pueblo Nuevo, wo vor allem Kaffee, aber auch Maniok, Bananen und die Fique-Pflanze angebaut wird, aus deren Fasern Säcke für den Kaffeeexport produziert werden. Eigentlich gute Perspektiven für die lokale Wirtschaft, erklärt Juan Rivera Caso von der Guardia Indígena in Pueblo Nuevo. »Wir müssen unserer eigenen Jugend mehr Perspektiven aufzeigen, die eigene Identität fördern und so die Angebote der bewaffneten Akteure, die mit Geld oder dem eigenen Motorrad winken, unterlaufen«, meint der Mann, der sich freut, dass am Cric-Kongress viele Jugendliche teilgenommen haben. Er spricht von einem Anteil von 30 bis 40 Prozent.

Die Jugend erreichen, die Strukturen innerhalb des Cric und der Guardia erneuern, sie wieder stärker politisch zu prägen, das sind für Feliciano Valencia zentrale Herausforderungen. Er kritisiert, dass der indigene Rat Cric als politische Bewegung an Dynamik verloren habe, »weil er eine Administration aufgebaut hat, Jobs zu vergeben hat sowie öffentliche Gelder erhält und diese verteilt«. Das dämpfe das politische Engagement. Hinzu komme, dass Nachfolgeorganisationen der Farc längst in den indigenen Territorien präsent sind und der Konflikt immer öfter direkt in den Dörfern stattfindet. »Die mehrheitlich indigenen Kämpfer der verschiedenen Guerillas halten den Kontakt zu ihren Familien. Sie kennen die Region, etablieren neue Schmuggelrouten für Drogen, Chemikalien oder Waffen. Sie wurden rekrutiert und stehen nun der Guardia Indígena direkt gegenüber«, erklärt der Senator. Indigene bekämpfen Indigene – das sei früher nicht der Fall gewesen.

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Die unmittelbare Folge ist eine gestiegene Mordrate und die hohe Zahl von Rekrutierungen seit Anfang des Jahres. Die Zuspitzung der Situation macht eine Neuausrichtung der indigenen Strukturen notwendig. Tenorio und Valencia sind optimistisch, dass dies gelingt. Beide haben auf dem Cric-Treffen viel Beifall erhalten. Sie hoffen, dass die indigene Bewegung sich umfassend erneuert und landesweit wieder politische Impulse geben kann.

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