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Abstiegskampf: Union Berlin mit viel Testosteron gegen Freiburg
Die Köpenicker gehen mit Heimvorteil ins Saisonfinale, die drei Konkurrenten positiv motiviert
Entscheidet der Kopf im Fußball über Sieg und Niederlage? Aus sportpsychologischer Sicht besteht daran kein Zweifel. Allein über den Anteil wird gestritten. Mentaltrainerin Ella Renz meint, es seien 80 Prozent, ihr Kollege Thomas Zerlauth zählt zehn Prozent weniger auf. An diesem Sonnabend wird die Wissenschaft widerlegt: Der Abstiegskampf in der Bundesliga hat sich in den vergangenen Wochen derart zugespitzt, dass der letzte Spieltag zum dramatischen Finale wird. Mittendrin der 1. FC Union. Die Berliner schweben auf dem Relegationsrang zwischen den Welten, können noch direkt absteigen oder sich retten – zum Klassenerhalt oder in die Relegation. Und darüber entscheidet im Vierkampf mit dem 1. FC Köln, Mainz 05 und dem VfL Bochum nicht nur das Heimspiel in der Alten Försterei gegen den SC Freiburg.
Sportpsychologin auf dem Trainingsplatz
Wenn der Ball ab 15.30 Uhr in allen Stadien rollt, ist das Spiel diesmal eine hundertprozentige Kopfsache. Alles oder nichts: In diesen 90 Minuten gibt es viel zu verlieren – die Arbeit einer ganzen Saison oder gar mehrerer Jahre. Deshalb wurden in der Vorbereitung auf die Psychospiele im Abstiegskampf auch spezielle Maßnahmen ergriffen. Der VfL Bochum hatte am Freitag die Fans zum Abschlusstraining eingeladen, um die Mannschaft mit einem besonderen Gefühl zum Auswärtsspiel nach Bremen zu verabschieden. In Berlin wurde in dieser Woche die Sportpsychologin Renate Eichenberger auf dem Trainingsplatz gesehen. Sogar der ganze Verein kam noch mal zusammen: Auf Initiative des Präsidiums trafen sich alle Mitarbeiter des 1. FC Union am Mittwochabend zu einem gemeinsamen Essen. Und als »besonderer Motivationsschub«, wie Trainer Marco Grote erklärte, wurde am Donnerstag die Vertragsverlängerung mit Kapitän Christopher Trimmel verkündet.
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Ganz offensichtlich scheint bei Union die Verzweiflung am größten zu sein. Kein Wunder: Im November am Tabellenende angekommen, trennten sich der Verein und Erfolgstrainer Urs Fischer. Präsident Dirk Zingler sprach damals davon, dass die »Leistungen der Mannschaft ein Kopfproblem« seien. Fischers Nachfolger Nenad Bjelica überstand nicht mal ein halbes Jahr in Berlin, seine Analyse vor seiner Entlassung: »Die Spieler haben ein mentales Problem.« Gründe dafür, dass sich nicht wirklich etwas geändert hat, gibt es genug.
Relegation als Chance
Fast 20 Jahre lang, seit dem letzten Abstieg im Jahr 2005, gab es für die Köpenicker nur eine Richtung: nach oben. Zwar wurde vernünftigerweise nach dem Aufstieg in die Bundesliga und der Eroberung Europas immer wieder der Klassenerhalt als Saisonziel ausgerufen, aber der Verein hat vielleicht vergessen, wie es sich anfühlt. Und die aktuelle Mannschaft ist dem Druck im Abstiegskampf augenscheinlich nicht gewachsen. Die vielen namhaften Neuzugänge im Sommer ließen auf andere Ziele schließen, die Unruhe in der Saison mit Suspendierungen und darauf folgenden Abgängen im Winter sind weitere Ergebnisse einer verfehlten Transferpolitik.
Die große Linie zieht beim 1. FC Union Berlin der Präsident. Angst sei kein guter Ratgeber, sagte Dirk Zingler nach der Entlassung von Trainer Nenad Bjelica auf Nachfrage von »nd«. Und er wollte jedem im Verein vermitteln, dass die »Relegation eine Chance ist, mit zwei weiteren Spielen unser Ziel zu erreichen«.
Es wirkte schon etwas verzweifelt, als Unions Medienchef Christian Arbeit am Donnerstag auf der Pressekonferenz noch einmal nachdrücklich an die Worte des Präsidenten erinnerte. Und so sagte Marco Grote dann: »Angst habe ich nicht.« Er glaube an jeden einzelnen seiner Spieler. Indirekt aber zweifelte der Trainer daran, dass auch die Spieler an sich selbst glauben. Mit Rückblick auf das zuletzt verlorene Spiel in Köln forderte er im nun entscheidenden Spiel gegen den SC Freiburg den »letzten Funken« von seiner Mannschaft: »Es ist eben nicht nach 85 Minuten zu Ende.« In der Schlussphase hatte Union den Sieg beim direkten Konkurrenten und damit zumindest die sichere Relegation noch verspielt. Ebenso verunsichert waren die Berliner zuvor gegen Bochum aufgetreten: Das 0:3 nach desolaten ersten 45 Minuten war trotz einer guten zweiten Halbzeit nicht mehr aufzuholen.
Tobender Trainer
Wenn der Fußball nun zur reinen Kopfsache wird, dann scheinen die Berliner die schlechtesten Karten im Vierkampf um den Klassenerhalt zu haben. In Köln gehen sie lustvoll in das Duell beim 1. FC Heidenheim: »Wir haben nur eine Richtung: nach vorne«, sagte Stürmer Stefan Tigges. Die Mainzer werden in Wolfsburg wieder von ihrem positiv tobenden Trainer Bo Henriksen motiviert, die Bochumer von ihren Fans beim Abschlusstraining. Angst gelähmt wirkte zuletzt das Team von Union.
Immerhin haben die Köpenicker als einzige im Abstiegsfinale den Heimvorteil. Da wiederum macht die Wissenschaft Mut. Die britischen Forscher Nick Neave und Sandy Wolfson haben in einer Studie belegt, dass ein lautstarkes Publikum bei der Heimmannschaft einen Testosteronschub auslöst. »Testosteron ist bei Tieren mit Dominanz und Aggression verbunden«, erklärten sie evolutionsbiologisch: »Wer zu Hause spielt, verteidigt in gewissem Sinne sein Territorium.« Allerdings scheint auch die eiserne Heimstärke bei zuletzt vier Niederlagen in fünf Spielen an der Alten Försterei gebrochen. Vielleicht hilft ja der Fußballgott – davon gibt es ja genug in Köpenick.
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