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»Simpsons«: Was wir sind
Wissenswertes über die »Simpsons«: Eine Serie, die so wirkt wie ein schöner Tag am Meer
Ein Grund, warum George Bush senior 1992 die Wahl zum US-Präsidenten gegen Bill Clinton verlor, war eine Fehleinschätzung. Im Wahlkampf meinte er, dass die Amerikaner besser »wie die Waltons« sein sollten – und nicht so »wie die Simpsons«. Das war das alte Amerika gegen das neue Amerika: tradierte Langeweile gegen moderne Unterhaltung. Die »Waltons« spielen in der Zeit der großen Depression, die »Simpsons« in der Gegenwart. Und Bill Clinton spielte Saxofon wie Lisa Simpson.
Ins Bundesrepublikanische übersetzt war das ungefähr so, als wenn die CDU behaupten würde, Eisbein und Sauerkraut wären besser als italienisches Essen. Das schmeckt irgendwie immer, wenn es gut gemacht ist, was man von Eisbein und Sauerkraut nicht behaupten kann, auch wenn es gut gemacht ist. Die »Simpsons« sind grundsätzlich gut gemacht und gefallen fast immer. Die »Waltons« liegen schwer im Magen und sind zurecht vergessen.
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Im Dezember werden die »Simpsons« 35 Jahre alt, halb so alt wie ihr Erfinder Matt Groening im Februar geworden ist. Beide Geburtstage werden in einer Dortmunder Ausstellung gefeiert, für die der Kurator, der Kunstwissenschaftler und Comicforscher Alexander Braun, einen sehr guten Katalog verfasst hat.
Die »Simpsons« sind eine der erfolgreichsten Fernsehserien der Welt. So erfolgreich, dass sogar die Schauspieler, die den Trickfilmfiguren ihre Stimmen leihen, über die Jahrzehnte zu Multimillionären geworden sind. Was macht diese Serie so durchschlagend? Über ihr postmodernes Wesen, den Kapitalismus als lustigen Supermarkt zu präsentieren und sich seine Geschichte, seine Trends und seine Stars anzuverwandeln und darüber Scherze zu treiben, ist schon viel geschrieben worden. Insbesondere über den fluiden Charakter von Springfield, wo sich alles abspielt: eine Kleinstadt, die für jede Folge ihr Erscheinungsbild ändert wie sonst nur Entenhausen in den Donald-Duck-Comics. Mal liegt sie am Meer, mal in den Bergen, nur das Haus der Familie Simpson bleibt stets gleich wie auch die Familie letztendlich intakt. Ist der Familienname Simpson ein Allerweltsname, ist auch Springfield eine Anytown in den USA, es könnte überall sein. Tatsächlich gibt es in 43 Bundesstaaten 48 Städte, die Springfield heißen. Groening meinte einmal, Springfield sei weniger eine Stadt als ein »mentaler Zustand«. Kurator Braun geht noch weiter: »Springfield ist ganz Amerika. Springfield ist die gesamte westliche Welt. Springfield sind wir alle«.
Die Durchschnittlichkeit ist Trumpf. Ursprünglich gingen Groening und seine Firma davon aus, dass das wilde Kind Bart Simpson der Publikumsliebling werden würde, stattdessen wurde es sein verfressener und tumber Vater Homer, der sich noch nicht einmal merken kann, dass der Typ aus den Gottesdiensten Jesus heißt und nicht etwa »Jebus«, wie er meint, weil er in der Kirche sofort einschläft. »Der Dümmste hat das Rennen gemacht!«, jubelt Kurator Braun, denn der schlichte Homer sei eben »der Liebenswerteste«. Homers Schlichtheit schillert in jeder Folge neu, in den schönsten Farben des Unsinns. Stan Laurel war nur schwarz-weiß.
In einem Aufsatz in der »Spex« von 1999 hat Diedrich Diederichsen darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Eheleuten Homer und Marge Simpson die »beiden Elemente von '68«, nämlich die »sinnlich-triebhafte Befreiung und politische Umwertung der Werte« als »stereotype Geschlechterrollen« aufgespalten wurden: Homer vertritt einen »infantilen Hedonismus« und Marge einen »Moralismus«, ohne jede Entwicklung. Stattdessen springen diese beiden Ansätze ständig in die alten Zeiten zurück und werden damit immer wieder aufs Neue mobilisierbar. Ihre Kinder Bart und Lisa treiben diese Spaltung weiter und »unterscheiden sich von ihren Eltern lediglich darin, dass sie in den entsprechenden Disziplinen besser und zeitgemäßer sind, vielleicht auch kitschferner«. Aus diesem Grund betrachtet Diederichsen die Serie als eine Art Traumarbeit – wie der Traum bei Sigmund Freud zwischen Verlangen und Anspruch oszilliert.
Und wie ein Traum ist die Serie vollgestopft mit kulturellen Verweisen und Zeichen von Underground bis Mainstream. Bekanntlich treten diverse Stars und Promis als Zeichentrickfiguren auf, von The Who bis Elon Musk (und immer wieder Glenn Close). Für die Durchsetzung dieser Form von Fernsehen waren drei Dinge entscheidend, die aber nur aufgrund bestimmter Vorgeschichten wirksam wurden. Man könnte von einer ganz speziellen gelben Konstellation sprechen oder wie es Homer Simpson gegenüber seinem Sohn ausdrückt: »Bart, wir sind in Amerika! Hier kann jeder essen, was er will, solange er zu viel davon isst.«
Erstens: Matt Groening erschuf die »Simpsons«, als er im Vorzimmer darauf wartete, einen Vertrag über die Trickfilmrechte für seine Figur Binky, einen depressiven Hasen und die Hauptfigur seiner Comicserie »Life in Hell«, abzuschließen. Plötzlich glaubte er, den Untergrundcharme von Binky vor der Kommerzialisierung retten zu müssen. Ersatzweise erfand er spontan die Simpsons als Satire auf die Sitcoms. Ihren Mitgliedern gab er auf die Schnelle die Vornamen seiner eigenen Familie. Sein Vater heißt Homer, seine Mutter Marge, seine Schwestern Maggie und Lisa. Es war eine auf »Krawall gebürstete Familienaufstellung« (Braun). Die »Life in Hell«-Comics zeichnete er bis 2012.
Und hier die Vorgeschichte: Groening wollte eigentlich Journalist werden. Er studierte in den 70ern an einem linken Hippie-College in Olympia, Washington, wo er sich nebenbei autodidaktisch das Comiczeichnen beibrachte – nach Cartoon-Lehrbüchern, einfach nur, weil Comiczeichnen gerade hip war. Binky entstand als ein selbst gemachtes Punk-Comic, als Groening nach der Uni in einem angesagten Plattenladen in West Hollywood jobbte, weil er vom Journalismus überhaupt nicht leben konnte. Los Angeles war voll mit lauter Typen wie ihm, auf ihn hatte niemand gewartet. Comics waren besser. Vorgeschichte der Vorgeschichte: Sein Vater, der Original-Homer, hatte ebenfalls Cartoons gezeichnet, sein Geld aber als unkonventioneller Werbefilmer verdient. Und das, obwohl er an Gott glaubte. Sein Sohn bezeichnet sich hingegen als Agnostiker, der aber an die Hölle glaube, weil er das US-TV-Programm kennt.
Zweitens: Die neue Trickfilmserie »Simpsons« lief bei einem neuen nationalen Fernsehsender, in dem noch keine Routinen die Kreativität niederdrückten. Zunächst waren die »Simpsons« einminütige Folgen in einer Sketch-Sendung, wurden dann sukzessive länger und schließlich zu einer eigenen Sendung. Es war 1989 die erste Trickfilmserie zur Primetime, seit die »Familie Feuerstein« 1966 geendet hatte. Vorgeschichte: Der neue Sender war Fox und gehörte dem rechten Medienverbund von Robert Murdoch, der später mit Fox News einen noch rechteren Schwestersender schuf, den Donald Trump lange als Propagandamedium schätzte und nutzte.
Drittens: Groening und sein Team ließen sich in ihren Vertrag die Garantie schreiben, dass Fox sich niemals in den Inhalt der Serie einmischen dürfe. Sie durften machen, was sie wollten. Denn Fox war schon kurz nach dem Start fast pleite und akzeptierte aus der Not heraus auch außergewöhnliche Konzepte. Zum Beispiel den Trick, im Trickfilm keine Gags für die Kinder zu machen, sondern für die Eltern, die die Sendung mit ihren Kindern zusammen gucken. Vorgeschichte: Unterstützt wurden solche Ansätze von James L. Brooks als Produzent. Er war etwas älter als Groening, im Film- und Fernsehgeschäft schon sehr erfahren und vor allem erfolgreich: 1984 hatte er als Regisseur mit »Zeit der Zärtlichkeit« fünf Oscars gewonnen.
Die »Simpsons« waren also für alle Beteiligten eine »Once-in-a-lifetime-Chance«. Sie mussten nur Erfolg haben. Und den hatten sie. Aber was hat das zu bedeuten? In seiner Einleitung macht Alexander Braun einen einleuchtenden Vorschlag zur Komplexitätsreduktion: »Denken Sie sich die Kulturgeschichte der Menschheit als ein gewaltiges Meer. Jetzt stellen Sie sich die Beach Boys an einem idealen Tag am Strand von Malibu vor, mit perfekten Wellen, auf denen die Brüder von morgens bis abends surfen.« Und wenn sie dann erschöpft und glücklich zu Hause ankommen, werden sie neunmalklug gefragt: »Was ist das Meer?«, worauf Beach-Boys-Chef Brian Wilson antwortet: »Keine Ahnung, aber wir hatten einen irren Spaß!«
Übrigens: Zuerst wird der Ton gemacht und dann das Bild. Erst wird gesprochen und dann gezeichnet. Die Dialoge werden illustriert. Oder wie es »Jebus« sagen würde: Am Anfang war der Witz, nichts ist ohne den Witz entstanden.
Alexander Braun: Die Simpsons. Gelber wird’s nicht. Panini. 336 S., geb., 39 €. Ausstellung: bis zum 27.10. im schauraum: comic + cartoon, Max-von-der-Grün-Platz 7, Dortmund
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