Durbuy nennt sich die kleinste Stadt der Welt

Mehr als 1,5 Millionen Besucher jährlich strömen in das verwinkelte Fleckchen an der Ourthe

  • Karsten-Thilo Raab
  • Lesedauer: 4 Min.
Besucher im Parc des Topiaires
Besucher im Parc des Topiaires

Der Superlativ wirft Fragen auf, hat zugleich aber auch Magnetwirkung: Das belgische Durbuy gibt vor, die kleinste Stadt der Welt zu sein. Ein Titel, den allein in Europa mit Hum in Kroatien und Arnis in Schleswig-Holstein zwei weitere Kleinstädte für sich reklamieren. Doch das stört in Durbuy niemanden. Wohl auch weil jährlich mehr als 1,5 Millionen Besucher eindrucksvoll mit den Füßen abstimmen und in das verwinkelte Fleckchen an der Ourthe strömen.

Rund 45 Kilometer von Lüttich in der Provinz Luxemburg gelegen, besticht Durbuy durch kopfsteingepflasterte Gassen, in denen sich überwiegend Gebäude aus lokalem Kalkstein dicht an dicht aneinanderschmiegen. Kleine Boutiquen und Läden mit Handwerkskunst oder lokalen Köstlichkeiten wechseln mit gemütlichen Cafés und einladenden Restaurants. Dabei ist das 400-Seelen-Nest mit seinen mehr als zwei Dutzend gastronomischen Einrichtungen nicht von ungefähr zu einem kleinen Mekka für Genießer geworden. Und von diesen tummeln sich vor allem an den Wochenenden einige in Durbuy.

Die Recherche wurde unterstützt von Belgien-Tourismus Wallonie.

Tipps
  • Lage: Durbuy liegt in der südbelgischen Provinz Luxemburg in den Ardennen ca. 45 Kilometer südlich von Lüttich. Zu erreichen ist Durbuy von dort über die N86. Aus Richtung Luxemburg ist Durbuy über die N66 und weiter über die N86 zu erreichen.
  • Parc des Topiaires: Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr, im Winter bis 17 Uhr. Der Eintritt beträgt 6 Euro. www.topiaires.be
  • Informationen: www.visitwallonia.de und www.durbuy.be

So wie das etwas betagtere, elegant gekleidete Pärchen. Er trägt einen sommerlichen Strohhut, ein helles Jacket, ein blaues Hemd und eine beige Hose. Sie hat sich für Kork-Plateauschuhe, eine elegante rote Bluse und eine weiße Hose entschieden. Es ist 14 Uhr. Das ältere, offensichtlich gut situierte Pärchen sitzt auf der Terrasse im Le Grand Café am Place aux foires. Einträchtig genießen die rüstigen Rentner aus großen schwarzen Töpfen üppige Portionen an Austern und Muscheln. Dazu lassen sie sich zwei Flaschen kühlen Weißwein munden.

Zwei Stunden und keine 200 Meter Luftlinie weiter: Die Wiedersehensfreude ist groß. Mit einem fröhlichen »’Alo, ’Alo« hebt das Seniorenpärchen das Glas zum Gruße. Stilvoll schlürfen sie im Le Sanglier des Ardennes ihren Champagner. Dann gibt die feine Dame dem Kellner ein Küsschen auf die Wange – schon steigt das ob des guten Weines sichtlich beseelte Gespann in seine Nobelkarosse und braust lächelnd mit quietschenden Reifen davon.

»Stammgäste«, sagt der amüsierte Kellner kurz und knapp, wohl wissend, dass es davon in Durbuy viele gibt. Denn die kleinste Stadt der Welt wartet mit einer zum Teil exquisiten Cuisine auf. Zudem finden Genussmenschen in den kleinen Läden allerlei lokale Köstlichkeiten. Neben dem bekannten Ardennenschinken finden sich vor allem die Marmeladen und Gelees der Confiturerie Saint-Amour auf dem Einkaufszettel der meisten Besucher wieder. Auch eine Kostprobe des Durbuy-Bieres ist neben dem fast schon obligatorischen Verzehr einer belgischen Waffel ein Muss.

Doch die Kleinstadt inmitten des Unesco Global Geoparks Famenne-Ardenne weiß nicht nur mit Gaumenfreuden zu punkten. Die schmalen, verwinkelten Gassen mit ihren vielfach berankten Häusern, die sich ein wenig windschief an die Reste der alten Stadtmauer schmiegen, sorgen für eine idyllische Atmosphäre. Und über allem thront das Chateau d’Ursel, dessen Geschichte bis in das 11. Jahrhundert zurückreicht. Das weithin sichtbare Schloss am Ufer der Ourthe ist noch heute im Besitz des gleichnamigen Grafen und der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Tatsächlich ist Durbuy ein städtischer Zwerg, kann bequem in 25 bis 30 Minuten komplett durchlaufen werden und zwingt fast schon zur Entspannung. Bereits im Jahre 1331 erhielt das malerische Fleckchen die Stadtrechte verliehen. Seither scheint die Zeit hier ein wenig stillzustehen.

Ganz anders im Parc des Topiaires. Der größte Formgarten der Welt präsentiert auf 10 000 Quadratmetern mehr als 250 pflanzliche Kunstwerke, die überwiegend aus Buchsbaumgewächsen bestehen. Dabei spiegeln die kunstvoll geschnittenen Hecken nicht nur die Kreativität der Gärtner wider, sondern auch ein Stück Zeitgeist. Besonders beeindruckend sind eine badende Dame und die zwei fraulichen Figuren, die so wie Gott – oder besser gesagt Parkgründer Albert Navez – sie geschaffen hat, ein Sonnenbad nehmen. Wobei eine ob ihrer üppigen Oberweite das pflanzliche Abbild von Pamela Anderson darstellen soll.

Daneben zieren ein betender Mann, Springpferde mit Jockeys im Sattel, Schildkröten, Bären, Eichhörnchen, Schwäne und Pfauen, aber auch Kaffeetassen, Gießkannen, ein Riesenherz sowie ein vier Meter hoher Elefant die insgesamt 39 verschiedenen Pflanzbereiche. Da wird eine Katze von einer Meute Hunde, die skurrile Haltungen annehmen, aufgeschreckt. Da geht Manneken Pis in einer Ecke des Gartens dem gleichen Zeitvertreib wie sein berühmter Zwillingsbruder in Brüssel nach und ist mit 58 Zentimetern Höhe exakt so groß wie dieser.

Am Ausgang des Parks warten »Die Freunde von Jeanne Calment«. Das Pärchen auf der gepflanzten Parkbank erhielt seinen Namen in Anlehnung an Frankreichs älteste Frau, die 120 Jahre alt wurde. Freundlich winkend, scheinen die beiden Greise leise »Au revoir!« zu sagen, wohl wissend, dass viele Besucher immer wieder gerne zu einem großen kulinarischen Wochenende in die vermeintlich kleinste Stadt der Welt kommen.

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